Jaki Liebezeit - A TributeKöln feiert in der Philharmonie seinen Schlagzeug-Helden
Köln – Ein Kampfkünstler am Schlagzeug sei Jaki Liebezeit gewesen, schwärmt Jah Wobble. Ein Zen-Meister. Der englische Bassist hatte Anfang der 80er Jahre, nach seiner Zeit bei John Lydons Public Image Ltd, mit den Can-Mitgliedern Holger Czukay und Liebezeit gespielt.
Beide sind vergangenes Jahr gestorben – und mit ihnen ein großes Stück der Kölner Popgeschichte – Czukay wurde im September im ehemaligen Can-Studio in Weilerswist tot aufgefunden, Liebezeit starb bereits im Januar an einer Lungenentzündung. Ihre Gräber liegen sich auf dem Melatenfriedhof schräg gegenüber.
Gewinn geht an ein Schulprojekt in Guinea-Bissau
Am Montagabend haben musikalische Weggefährten zum Jahresgedächtnis des Schlagzeugers unter dem Titel „Jaki Liebezeit – A Tribute“ in die Philharmonie geladen. Sie spielen unentgeltlich, Überschüsse gehen an ein Schulprojekt in Guinea-Bissau, das Liebezeit schon zu Lebezeiten unterstützt hatte.
Die Halle ist restlos ausverkauft; Angehörige, Freunde, Fans und Repräsentanten der Stadtgesellschaft, bis hin zur Oberbürgermeisterin, finden sich zu einer „erweiterten Familienfeier“ ein, wie Manos Tsangaris das zu Anfang des Konzertes formuliert.
Der Komponist trommelte seit den 80er Jahren zusammen mit Liebezeit im Percussion-Ensemble Drums Off Chaos. Das zum Trio geschrumpfte Projekt eröffnet nicht nur den Abend mit beschwörenden Rhythmen, es bildet gewissermaßen dessen Rückgrat, zusammen mit Liebezeits ehemaligen Kollegen aus der Phantomband, Rosko Gee, Helmut Zerlett und Dominik von Senger.
Jazz folgt auf Krautrock, Post-Punk auf Barock-Sonaten
Ein wenig Kontinuität ist auch dringend nötig, denn selten, wenn überhaupt, sind in einem Programm derart disparate Musikgenres aufeinander getroffen: Jazz folgt auf Krautrock, Post-Punk auf Barock-Sonaten und türkische Psychedelik, elektronische Klänge auf Neue Musik.
Auf dem Papier macht das wenig Sinn, im Live-Erlebnis bestätigt es eindrucksvoll die Einschätzung von Manos Tsangaris, dass Jaki Liebezeit gerade in seiner Reduktion ein Gelenk gewesen sei, dass unterschiedlichste Szenen und Ansätze miteinander verbinden konnte.
Mit Manfred Schoof in der Schüler-Band
Nachdem Hans Joachim Irmler von Faust – der nach Can, Neu! und Kraftwerk vierten deutschen Band von weltweitem Einfluss – die Drums Off Chaos am Synthesizer in kosmische Höhen geführt hat, betritt der Mann die Bühne, ohne den die Liebe zwischen Köln und Liebezeit nie zustande gekommen wäre. Er hätte schon 1956 mit Jaki in einer Kasseler Schülerband gespielt, erzählt Manfred Schoof.
Als der Jazz-Trompeter zwei Jahre darauf nach Köln wechselte, um beim Bigband-Leader Kurt Edelhagen zu studieren, zog Liebezeit drei Monate später hinterher, gemeinsam wohnten sie, erinnert sich Schoof, an der Deutzer Freiheit 107. Ab 1965 trieben sie gemeinsam im Manfred-Schoof-Quintett die Entwicklung des Free Jazz in Deutschland voran.
Elegie für ein fehlendes Schlagzeug
Schoof und sein alter Quintett-Kollege Gerd Dudek schlängeln zärtliche Phrasen aneinander, Zerlett und Gee begleiten, forcieren langsam den Rhythmus – aber es bleibt doch eine Elegie für ein fehlendes Schlagzeug. Ein gefühlvoll, menschlich spielender Percussionist sei Liebezeit gewesen, sagt Schoof im Anschluss, da sei es nicht verwunderlich, wie viele Künstler aus aller Welt mit ihm hätten spielen wollen.
Was zu beweisen ist: Auf den ausufernd dröhnenden Orientrock der Band Baba Zula – die Liebezeit immer wieder in Istanbul besucht hatte – folgen zwei klare. verspielte Stücke von Domenico Scarlatti, gespielt von der chinesischen Pianistin Pi-hsien Chen. Die hatte im Jahr 1968 im Schloss Nörvenich am Steinway geübt, während sich nebenan, in einer endlosen Jamsession, Can formierten.
Irmin Schmidt ist das einzig überlebende Gründungsmitglied
Nun ist der 80-jährige Irmin Schmidt das einzig überlebende Gründungsmitglied der Kölner Band. Er huldigt seinem verstorbenen Bandkollegen mit einem – naturgemäß – stark perkussivem Stück für präpariertes Klavier und Blätterrauschen vom Band.
Und es bleibt anders: Der Elektroniker Jono Podmore alias Kumo bringt mit seinem Theremin den Äther zum Zittern, Robert Coyne spielt das erste Stück, das 2011 er gemeinsam mit Liebezeit komponiert hat und auch die letzte gemeinsame Arbeit, einen Song namens „Cockney Mystic“: „I see the future, but I don’t see one for you“, lautete dessen letzte Zeile.
Darauf führt Damo Suzuki, dessen Zeit als Can-Sänger die kreativste Phase der Band markiert, den Abend zum kollektiven Freak-Out-Höhepunkt. An der Gitarre gastierte dazu eine weitere Legende: Michael Rother, der nach seiner Zeit bei Neu! mit „Flammende Herzen“ 1977 ein fantastisches Solodebüt veröffentlicht hatte. Raten Sie mal, wer ihn dabei am Schlagzeug unterstützte.
So exakt wie eine Maschine
Das Jaki-Liebezeit-Klischee besagt, dass er so exakt spielen konnte, wie eine Maschine. Das kann Jah Wobble nur bestätigen, beziehungsweise ergänzen: „und er swingte wie ein Motherfucker“. Und wenn es sein musste, konnte er auch gewaltig drauflosschlagen. Nachzuhören auf Gianna Nanninis von Conny Plank produzierten Erfolgsalbum „Latin Lover“.
Schon stürmt der italienische Superstar, Glitzerkonfetti werfend, die Bühne. Bei „Ragazzo dell’Europa“ fremdelt das Publikum noch ein wenig, beim „Latin Lover“ brechen alle Dämme, man wähnt sich im Rockpalast anno 1982. Ein herrlich kurioser, nichtsdestotrotz würdiger Abschluss.