Jenseits der Fjordromantik
Die Zeiten sind vorbei, da wohlmeinende Dirigenten Sergej Rachmaninows zweite Sinfonie großzügig einkürzten, um sie dem Publikum verdaulicher zu machen. Man mag ja durchaus daran zweifeln, ob die Substanz des Stückes seine Spieldauer von knapp einer Stunde rechtfertigt.
Aber daran macht sich eben auch die Qualität einer Aufführung fest: Hält sie den monumentalen spätromantischen Schinken im Fluss, kanalisiert sie den emotionalen Überdruck, umspannt sie den episodischen Verlauf mit einer starken formalen Klammer? All das gelang dem Oslo Philharmonic Orchestra unter seinem Chefdirigenten Vasily Petrenko geradezu mustergültig.
Der Kopfsatz badete nicht in slawischer Melancholie, ließ vielmehr die Stimme einer reizbaren, sprunghaften, neurotisch getriebenen Künstlerpersönlichkeit hören. Die süffige Schlagermelodie des Adagios drängte sich nicht permanent gefallsüchtig ins Ohr, sondern pulsierte in einem Netz sorgfältig gestaffelter Schwellwirkungen. Vorzüglich das alles. Aber das Stück ist natürlich trotzdem viel zu lang.
Besser auf den Punkt kamen zwei Beiträge des norwegischen Orchesterrepertoires. Arne Nordheims „Canzona“ von 1960 findet in ihrer ereignisdichten, geradezu thrillerhaften Spannungsdramaturgie einen ganz eigenen Mittelweg zwischen Tradition und Avantgarde – eine spezifisch skandinavische Moderne, die man hierzulande leider überhaupt nicht kennt.
Anders als Edvard Griegs Klavierkonzert a-Moll, das Leif Ove Andsnes mit seinem kernig-kraftvollen, glasklaren und gänzlich unsentimentalen Spiel von allen Anflügen pittoresker Fjordromantik reinigte. Der knallharte Handkantenschlag des Eingangstuschs gab das Startsignal zu einer Interpretation von enormer Spannkraft, die federnd und trittfest zugleich war, die sich nirgends unnötig aufhielt, aber auch an keinem poetischen Detail achtlos vorbeiging.
Dem norwegischen Nationalkomponisten galten selbstredend auch die Zugaben: Andsnes spielte den Norwegischen Bauernmarsch aus den „Lyrischen Stücken“; das Orchester fegte mit zwei Sätzen der „Peer Gynt“-Musik aus. Da sprangen die fiesen Trolle aus der Halle des Bergkönigs dem begeisterten Publikum geradewegs in den Nacken – und rissen es danach von den Sitzen.