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Joan Miró in DüsseldorfDer Rhythmus der geträumten Sprache

Lesezeit 4 Minuten

Ausschnitt aus Joan Mirós Bild „Das Pferd, die Pfeife und die rote Blume“ aus dem Jahr 1920

Düsseldorf – Dadaistische Lautgedichte wirbelten seit den 1910er Jahren die Konzepte von bildender Kunst und Literatur durcheinander, von gesprochener, geschriebener oder gemalter, gehörter, von sinnvoller oder sinnentleerter Sprache. Die „écriture automatique“, jener traumwandlerische Schreibgestus der Surrealisten, hatte bald ebenfalls nicht nur die Dichtung, sondern auch das Textbild gründlich verändert. Texte wurden in Bilder überführt, Schrift in Malerei und Zeichnung, Ordnung und Regeln ausgehebelt, das Unbewusste galt plötzlich etwas.

Die Geschichte der Vermählung von Wort- und Bildkunst reicht weit zurück, haben doch schon die mittelalterlichen Buchmalereien den geschriebenen Texten in Darstellung und Ornament eindrucksvoll Gestalt gegeben. Die Erfindung des Buchdrucks im 15. Jahrhundert leitete eine Demokratisierung ein, die im 19. und dann im 20. Jahrhundert zu einer wahren Renaissance von Text-Bild-Werken führte. Kaum ein bedeutender Künstler, der sich nicht an den Bildfindungen zum geschriebenen Wort versucht hätte.

Alte Bilder im neuen Licht

Auch der spanische Maler Joan Miró (1893–1983) hat zeit seines Lebens nicht nur viel gelesen, sondern Literatur und Bildkunst in seinen Werken verschmolzen. Wie Schreiben und Zeichnen in seinem Œuvre ineinander übergehen, ist Thema der Ausstellung „Miró. Malerei als Poesie“ in der Kunstsammlung NRW, einer Schau, die auch all die bekannten Miró-Bilder in einem etwas anderen Licht zeigen will. An einigen Stellen gelingt das durchaus. Ob die Ausstellung mit der rekonstruierten Künstler-Wohnzimmer-Bibliothek allerdings wirklich viele neue Einblicke in das Schaffen Mirós gewährt, ist etwas fraglich. Dennoch ist der Einfluss, den Künstler wie Miró mit ihren Reflexionen über die Möglichkeiten der Malerei auf jüngere Kollegen gehabt haben, erkennbar.

Zu Beginn der 1920er Jahre, als Miró aus Barcelona nach Paris kommt, wandelt sich seine Bildsprache ins Zeichenhafte, Fantastische. Er entdeckt Guillaume Apollinaires Kalligramme und die französische Kunst. Im Atelierhaus in der Rue Blomet 45, wo er neben dem Maler und Bildhauer André Masson wohnt, trifft sich die literarische Avantgarde von Paris. Die Gespräche und Diskussionen über Literatur, seine Bekanntschaften mit den dadaistischen und surrealistischen Dichtern inspirieren den Maler nachhaltig. Zu seinen Freunden gehören avantgardistische Literaten und Intellektuelle, Tristan Tzara, Pierre Reverdy, Max Jacob, Antonin Artaud und Michel Leiris. Mit ihnen wird es in den kommenden Jahrzehnten viele Kooperationen geben, Mirós gefeierte „livres d’artiste“ (Künstlerbücher), in denen Malerei und Lyrik, Geschichten und Bilder eng umschlungen miteinander tanzen.

Joan Miró (1893–1983) wurde in Barcelona geboren, 1920 ging er in die Hochburg der künstlerischen Moderne nach Paris. Hier entstanden seine berühmten abstrakten Werke voller spielerischer Formen und Figuren. Letztere schmücken als Mosaiken auch zahlreiche Fassaden, vor allem in Mirós Heimat Spanien. In Düsseldorf wird jetzt der Einfluss der Literatur auf sein Werk untersucht.

„Miro. Malerei als Poesie“, Kunstsammlung NRW K20, Grabbeplatz, Düsseldorf, Di.-Fr. 10-18 Uhr, Sa.-So. 11-18 Uhr, bis 27. September.

Der Katalog zur Ausstellung kostet 29,90. (ksta)

Zwar gibt es in der Ausstellung im K 20 eine ganze Reihe dieser bibliophilen Schätze zu sehen, etwa „Es war einmal eine kleine Elster“ (von Lise Hirtz), „A toute épreuve“ (von Paul Éluard) oder „Constellations“ (mit André Breton), doch überwiegen die Gemälde deutlich. Obschon auch in diesen die Beschäftigung mit der Dichtkunst und die große Rolle, die das geschriebene Wort und der Rhythmus der gesprochenen Sprache für ihn gespielt haben, sichtbar wird, kennt man die meisten dieser Werke allzu gut. Die Künstlerbücher hingegen sind wahre Fundgruben. Dafür lohnt ein Ausstellungsbesuch allemal.

Die Freundlichkeit und Zugänglichkeit seiner Kunst (manch gehässige Stimme meint wohl auch ihre Harmlosigkeit) machen es den Menschen ja leicht, Miró zu mögen. Dass es neben den lichten Werken und all der Verspieltheit allerdings auch melancholische, kritische oder radikal moderne Arbeiten in seinem Œuvre gibt wie den Fries „Schlange des Aberglaubens“ (1947), wird gerne vergessen. Es heißt, diese Leinwand habe der Künstler als Schal bei der Eröffnung der letzten Surrealismus-Ausstellung 1947 in der Pariser Galerie Maeght getragen.