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Jodel-AppSo funktioniert das anonyme Netzwerk

Lesezeit 5 Minuten
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Unter den Jodlern gibt es gute und lustige Beobachter.

Köln – Die Studenten von heute jodeln. Nicht in den Bergen und nicht in Tracht, sondern in einer App auf ihrem Handy. Bei „Jodel“ geht es nicht darum möglichst laut zu sein, sondern vielmehr um das virtuelle Echo der anderen.

Wer jodelt, will etwas loswerden, erzählen, fragen oder einfach nur unterhalten – und er will Reaktionen und Antworten. Und die bekommt er und zwar immer ganz aus seiner Nähe.

Vorteil von Jodel ist der Nachteil von Facebook, Twitter und Co.

Der Vorteil von Jodel ist der Nachteil von Facebook, Twitter und Co: die Anonymität. Fast jeder kennt den Spruch „das Internet vergisst nie“. Längst hat sich herumgesprochen, dass sich Social-Media-Plattformen nicht zum Teilen von allem eignen, was wir über den Tag hinweg sehen, erleben oder denken. Vielmehr sind sie zu den Visitenkarten der heutigen Zeit geworden. Für diese Nische hat Alessio Avellan Borgmeyer aus Aachen Jodel erfunden.

Statt etwas zu „posten“, wird in seiner App „gejodelt“. Zwei Wörter, die im Grunde das Gleiche beschreiben. User laden Bilder hoch oder schreiben kleine Texte, die sie dann mit anderen teilen.

Es gibt weder Profile, noch Freunde, noch Follower

Allerdings ist Jodel eine lokale App. Das heißt, dass die einzelnen Jodel nur von denen in der App gesehen werden können, die sich im Umkreis von maximal zehn Kilometern befinden. Dabei bleibt aber vollkommen geheim, wer den Jodel verbreitet hat – auch für Borgmeyer und sein Team.

Es gibt weder Profile, noch Freunde, noch Follower. Trotzdem sei die Anonymität nicht das Entscheidende, sagt Borgmeyer. Er will die Menschen mit der App näher zusammenbringen: „Es geht darum, dass man sich keine Sorgen machen muss und über alles reden kann und die Leute in der Umgebung sehr authentisch sind und man sich seiner Umgebung eher zugehörig fühlt“, sagt der 25-Jährige.

Frauen zogen obenrum blank

Seine Grundidee klingt in der Realität allerdings ein wenig zu idealistisch. Denn obwohl viele User die App nutzen, um ihren emotionalen Ballast abzuwerfen oder sich Rat einzuholen, tummeln sich auf der Plattform eben auch welche, die die Anonymität ausnutzen.

Gerade zu Beginn, nach dem Launch im Oktober 2014, war das ein großes Problem. Männer hielten ihr bestes Stück in die Kamera, Frauen zogen obenrum blank oder es wurden anrüchige Texte gepostet. Dagegen halfen auch die zehn Jodelgebote nicht. Die wurden von den Jodlern einfach übergangen.

Mittlerweile kümmert sich eine Firma in Indien um die Bilder. Sie kontrolliert jedes und entscheidet, ob es gelöscht wird. Gleichzeitig durchforsten verschiedene Securitysysteme die Texte der User. Unangebrachte Jodel werden sofort entfernt.

Kommentare, Up- und Downvotes und Karmapunkte

Die Daten der Jodler bleiben auch weiterhin geheim. Nicht einmal bei der Einrichtung der App muss sich der User registrieren oder einloggen – weder mit Mailadresse, noch mit seinem Namen. Er kann sofort losjodeln oder auf andere Texte und Bilder reagieren. Das funktioniert in der App entweder über Kommentare oder über Up- und Downvotes. Gefällt ein Jodel, kann er hochgepusht werden, gefällt er nicht, bekommt er einen Pfeil nach unten.

Für ihre Aktivitäten bekommen die User Karmapunkte. Die sind allerdings eher etwas für das gute Gefühl und passen zu dem idealistischen Ansatz von Borgmeyer. Wer etwas Gutes tut, bekommt etwas Gutes zurück. Einen größeren Nutzen haben sie nicht.

Eine Million Downloads in einem Jahr

Das Konzept von Jodel geht auf. Im Oktober 2014 hat Borgmeyer die App in Berlin gelauncht. Ein Jahr später hatte sie über eine Millionen Downloads. Wie viele es heute sind, verrät der Gründer nicht. Wohl aber, dass weltweit jeden Tag etwa 1 Millionen Mal gejodelt wird.

Der Großteil der User ist im Studentenalter. Jedenfalls gehen Borgmeyer und sein Team davon aus. Die Themen sind vollkommen gemischt. Die Jodler erzählen von Erlebnissen in der Bahn, fragen nach der besten Party am Abend oder wollen einfach nur ihren Herzschmerz niederschreiben.

Jodel soll weiterentwickelt werden

Wie wahrscheinlich viele, liest Borgmeyer witzige, unterhaltsame Jodel besonders gern. Seine Favoriten haben in der Regel aber eher weniger Votes. „Ich finde es am besten, wenn jemand fragt: ´wo kann ich mein Auto reparieren lassen?` und die Leute darunter gute Tipps geben“, sagt er.

Er selbst kommentiert nach eigener Aussage alle zwei Tage so etwa vier bis fünf Jodel – natürlich auch anonym. Jodelt der User, der den Jodel verfasst hat zurück, wird das in der App mit einer Krone und einem „OJ“ für „Original Jodler“ gekennzeichnet.

Für die Finanzierung hat sich Borgmeyer einen Investor an die Seite geholt. Der Berliner Christoph Maire ist bei Jodel eingestiegen. Wie viel Geld er in das Unternehmen gesteckt hat, bleibt ein Geheimnis. Borgmeyer hat sich aber bereits nach einem halben Jahr das erste Mal Gehalt gezahlt.

Jodel hat oberste Priorität

Sein Studium hat er geschmissen. Im Sommer 2013 habe er das letzte Mal dafür gelernt, sagt er. Damals hat er an der RWTH in Aachen Wirtschaftsingenieurwesen mit der Fachrichtung Maschinenbau studiert. Doch jetzt hat Jodel oberste Priorität. Außerdem ist das Team mittlerweile von Aachen nach Berlin gezogen. Etwa 25 Leute arbeiten für Borgmeyer. Ein Mix aus Freelancern und einigen Festangestellten, darunter auch zwei Entwickler in Riga und Polen.

Da sich die App noch weiterentwickeln soll, probieren Borgmeyer und sein Team immer wieder neue Features aus. „Wir überlegen, wie man den Content breiter machen kann“, sagt er. Unter ihre Jodel schreiben viele User schon jetzt Hashtags. Bisher nur als Erweiterung für ihren Beitrag.

In der App selbst nutzen die ihnen nichts. Sie lassen sich weder anklicken, noch kann man nach ihnen suchen. Das soll sich aber ändern. Auch sollen sich die Jodler in Zukunft in separaten virtuellen „Räumen“ treffen können. Indem sie zum Beispiel unter ihrem Jodel „@Sporthochschule“ tippen. Ob die User die Veränderung annehmen und gut finden, testet das Team am Heimatort der App, in Aachen.

Bildergalerie: Das jodeln die Kölner/Die 10 Jodel-Gebote

  1. Du sollst nicht deinen nächsten Jodler beschimpfen oder anfeinden.
  2. Du sollst nicht jodeln deines nächsten Telefonnummer, Adresse oder Namen.
  3. Du sollst nicht unzüchtige, erotische oder gewaltverherrlichende Bilder jodeln.
  4. Du sollst den Feed und deine Community ehren. Überschwemme diesen nicht mit unnützen oder bösartigen Jodel.
  5. Jene, die Spoiler jodeln, reservieren sich einen speziellen Platz in der Hölle.
  6. Es ist deine Pflicht schief klingende und unerwünschte Jodel runterzuvoten und gegebenenfalls zu melden, sollte dir ein solcher zu Ohren kommen.
  7. Jodler helfen sich gegenseitig wo sie nur können und stärken sich den Rücken.
  8. Sollten deine Jodel wiederholt von deiner Jodel Gemeinschaft runtergevotet und/oder gemeldet werden, so wirst du in eine einsame Hölle verbannt.
  9. Bringt dein Jodel die Gemeinschaft weiter, wirst du vom Jodelaya Universum belohnt, dein Karma steigt und wird seine Hand schützend über dich halten.
  10. Der Berg ruft, jetzt wird gejodelt. Joooolaahuuitiiii!