Mit „American Prospects“ wurde der Fotograf Joel Sternfeld berühmt. In der Kölner Galerie Zander zeigt er jetzt unbekannte Bilder der Serie.
Joel Sternfeld in KölnDas wahre Amerika ist auf diesen Bildern ein Niemandsland
Auf der Suche nach dem wahren Amerika endet man entweder im Gedränge der Großstadtschluchten, vor einem endlosen Horizont oder an den bewohnten Rändern eines Niemandslands. Jeder Wahrheit entspricht dabei ein Genre der Fotografie, das allein durch die Kraft der Bilder zu einem uramerikanischen wurde. Landschaften und Straßenszenen gab es als Fotomotive natürlich auch in der alten Welt. Aber in der neuen schien auch auf kleinen Abzügen alles größer, dramatischer und moderner zu sein.
Joel Sternfeld suchte das wahre Amerika zunächst auf den Straßen seiner Heimatstadt New York, die er in den frühen 1970er Jahren mit einer Kleinbildkamera durchstreifte. Aber das flüchtige Massentheater der Großstadt scheint ihm nicht gelegen zu haben, jedenfalls ging er 1978 „on the road“, auf eine lange Entdeckungsreise durchs eigene, fremde Land. Er suchte die Spuren der „Frontier“, der mythischen, von den europäischen Siedlern immer weiter nach Westen verschobenen Grenze zwischen Wildnis und Zivilisation, und er suchte nach Bildern, die entlang dieser Reise nicht schon von den Pionieren der US-Fotografie gemacht worden waren. Die Lösung war denkbar einfach und denkbar kompliziert: Sternfeld fotografierte seine „American Prospects“ in Farbe, als dies noch ein ästhetisches (und technisches) Wagnis war.
Die „American Prospects“ machten Joel Sternfeld schlagartig berühmt
Jetzt sind eine Reihe dieser „amerikanischen Aussichten“ in der Kölner Galerie Zander zu sehen – allerdings nicht die längst klassisch gewordenen Aufnahmen, sondern Motive, die bislang in den Schubladen liegen geblieben waren. „American Prospects“ machte Sternfeld berühmt, das 1987 im Steidl Verlag erschienene Buch wurde sofort zum Klassiker, eine zeitgemäße Fortsetzung von Robert Franks legendärem Bildband „The Americans“. Es zeigte, dass die neue „Frontier“ zwischen Arm und Reich verläuft. Wer in Sternfelds Amerika unterwegs ist, ist kein Pionier mehr, sondern heimatlos. Die weite Landschaft hinter den Häusern ist bei ihm kein Versprechen. Sie ist eine letzte Zuflucht.
Es ist also durchaus gewagt, wenn der 79-Jährige sein frühes Meisterwerk jetzt um einige eigentlich unnötige Aufnahmen ergänzt. Allerdings muss kein Sternfeld-Jünger den Besuch bei Zander scheuen. Die nachträglich einsortierten Bilder fügen sich mühelos ins (mitgedachte) Ganze und der Grenzland-Thematik einige schöne Symbolbilder hinzu: Eine vielköpfige Familie ist aus ihrem Auto eigentlich längst herausgewachsen; ein Junge hockt neben einem gebrechlichen alten Lastwagen, der einen ganzen Hausstand zu transportieren scheint; ein frisch vermähltes Ehepaar verlässt ein trostloses Motel, um am Steuer sein neues Leben zu beginnen. Wie Sternfeld selbst sind die meisten Menschen auf seinen Bildern unterwegs. Aber der Zauber des Aufbruchs ist dahin.
Sternfeld kommt den Menschen selten so nah, dass seine Aufnahmen den Charakter von Landschaftsbildern verlieren. Er macht seine Fotografien aus größerer Distanz, die Reisenden erscheinen als Teil eines Ganzen, in dem sie lediglich verschwinden können, sobald sie sich in Bewegung setzen. Mitunter erzählen nur noch Autowracks am Wegesrand vom alten „On the Road“-Mythos; auf einer Aufnahme sind als historische Referenz die Reste einer Pferdekutsche zu sehen. Aus einer anderen Welt scheint daneben eine vor Alaskagletscher abgestellte Luxuslimousine zu kommen. Es ist eine der wenigen „späten“ Aufnahmen, in denen Sternfeld seiner Neigung für kuriose Zusammentreffen folgt.
Wie in „American Prospects“ gibt es auch in der Kölner Ausstellung einige Anleihen bei der Straßenfotografie; mit ihnen wird aus den Landschaftskulissen eine Bühne flüchtiger Begegnungen. Auf einer etwas hämischen Aufnahme beobachtet Sternfeld eine reiche Autofahrerin im Gespräch mit einem Straßenpolizisten (sie scheint wenig beeindruckt von seiner Autorität zu sein), auf einer anderen erwischt er einen Rettungsschwimmer, der auf seinem Ausguck selbstvergessen für zwei junge Frauen posiert, und anlässlich eines „Bikini Contests“ in Fort Lauderdale, Florida, versuchte er sich sogar erfolgreich als Wimmelfotograf. Sein Blick gilt dem Publikum und der Erkenntnis, dass man in einer Menschenmenge niemals nur Zuschauer, sondern immer auch (unfreiwilliger) Darsteller ist.
Eigentlich wollte er nur den Jahreszeiten durch das Land folgen, hat Joel Sternfeld einmal über die Anfänge von „American Prospects“ gesagt. Aber dann fand er offenbar mehr, als er erwartet hatte: „Die Ängste wurden in Schönheit übersetzt, die Sorgen in Ironie.“ Seine Kölner Ausstellung zeigt, dass die Reise für ihn noch nicht beendet ist. Offenbar legt es Sternfeld nicht darauf an, dass seine „Aussichten“ als Robert Frank’scher Monolith in der Bilderlandschaft stehen.
„Joel Sternfeld. American Prospects“, Galerie Zander (Zweite Etage), Schönhauser Str. 8. Köln, Di.-Fr. 11-18 Uhr, Sa. 11-17 Uhr, bis 1. März 2024