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Joseph Stiglitz über die Corona-Krise„Trump macht alles nur noch schlimmer“

Lesezeit 8 Minuten
Trump afp neu

US-Präsident Donald Trump

  1. Die weltweiten Märkte spielen verrückt. Die aggressiven Maßnahmen der US-Notenbank zeigen wenig Wirkung. Wie sehr wird das Coronavirus die Weltwirtschaft durcheinanderwirbeln?
  2. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz ist sich sicher: „Keine Bank wird von den Auswirkungen eines größeren wirtschaftlichen Abschwungs verschont bleiben.“
  3. Im Interview spricht er über die Corona-Krise, die Politik des US-Präsidenten und seine Ideen für mehr Gerechtigkeit.

Professor Stiglitz, die Märkte spielen weltweit angesichts der Corona-Krise verrückt. Die US-Notenbank hat aggressive Maßnahmen ergriffen. Reicht das aus?

Sie reichen offensichtlich nicht aus, um den USA zu helfen, einen durch den Coronavirus-Ausbruch verursachten Abschwung abzuwenden. Wegen der Unsicherheiten und der plötzlich fehlenden Einkommen so vieler Menschen kann sie bestenfalls zur Stabilisierung der Finanzmärkte beitragen. Wie wir sehen, hat sie das nicht getan.

Warum nicht?

Das Problem ist, dass wir es mit einer anderen Art von Krise zu tun haben als bei normalen Krisen. Es geht diesmal nicht darum, die Gesamtnachfrage zu steigern, da die Menschen ihre Geschäfte schließen müssen. Mehr Nachfrage wird dieses spezielle Problem nicht lösen.

Sind die Banken sicher?

Keine Bank wird von den Auswirkungen eines größeren wirtschaftlichen Abschwungs verschont bleiben, selbst wenn sie ausreichend kapitalisiert wäre. Das Geschäftsmodell der Banken ist sehr konjunkturanfällig. Deshalb werden wir eine gezielte Finanzpolitik benötigen. Wir werden sehr große Geldbeträge für die Menschen aufbringen müssen, die am stärksten unter der Situation leiden.

Es sind enorme Summen, die erforderlich sein werden.

Ja, aber das Defizit ist etwas, mit dem wir uns erst in der Zukunft befassen sollten. Als wir in den Zweiten Weltkrieg zogen, fragten wir auch nicht, ob wir uns das leisten können. Wir gaben das Geld aus, wie wir es brauchten. Wir müssen jedoch sicherstellen, dass wir nicht in dem Sinne zu viel ausgeben, dass eine Inflation die Folge ist. Wir müssen die Wirtschaft richtig managen.

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Joseph Stiglitz wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet.

Zu Person und Buch

Joseph Stiglitz, geboren 1943, war Professor für Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford, bevor er 1993 zu einem Wirtschaftsberater der Clinton-Regierung wurde. Anschließend ging er als Chefvolkswirt zur Weltbank und wurde 2001 mit dem Nobelpreis für Wirtschaft ausgezeichnet. Heute lehrt er an der Columbia University in New York.

Sein Buch „Der Preis des Profits – Wir müssen den Kapitalismus vor sich selbst retten“ ist im Siedler-Verlag erschienen. Die Antworten zur Corona-Krise gab Stiglitz dem Sender CNBC und stellte sie dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zur Verfügung.

Haben die Reformen im Finanzmarkt geholfen?

Wir haben einen Weg zu einer besseren Regulierung, zu mehr Kapitalisierung beschritten. Leider werden einige dieser Reformen unter Trump zurückgenommen, die unter Obama gemacht wurden. Wir haben immer noch Probleme mit dem Finanzmarkt.

Die Wirtschaft ist Ihrer Meinung nach schon länger in keinem guten Zustand. Auch um Europa machen Sie sich Sorgen. Warum?

Ich mache mir ja schon lange Sorgen um Europa, weil der Euro den Ländern nicht die Flexibilität gibt, die sie brauchen. Besonders in Deutschland gab es einen zu starken Fokus auf Staatsdefizite und Austerität. Es wurde nicht genug öffentlich investiert. Das alles bedeutet, dass Europa sehr zerbrechlich ist, politisch wie ökonomisch. Das geht einher mit einer wachsenden Ungleichheit, die in bestimmten Ländern stärker ausgeprägt ist als in anderen. Das ist ein Problem für die Funktionsfähigkeit der Länder und für die Funktionsfähigkeit der EU.

Auch die Wirtschaftspolitik von Trump wird von Ihnen kritisiert. Dabei befand sich die US-Wirtschaft im längsten Aufschwung aller Zeiten und die Aktienmärkte eilten von Rekord zu Rekord.

Wenn Sie einen Blick auf die US-Wirtschaft werfen, sind diese Zahlen nicht mehr als eine glänzende Fassade. Dahinter sieht es längst nicht so gut aus, wie eine Reihe von Daten belegt. Es wurden in Trumps Amtszeit viele Stellen geschaffen. Aber unter Obama war das Job-Wachstum am Ende stärker. Ebenso das Wirtschaftswachstum. Wir haben ein Billion-Dollar-Defizit als Stimulus für die Wirtschaft, die Zinsen liegen bei fast Null Prozent. Und trotzdem verdient ein männlicher Arbeitnehmer im Mittel weniger als vor 42 Jahren. Die Reallöhne am unteren Ende der Einkommensverteilung sind auf dem gleichen Niveau wie vor 60 Jahren. Wir haben keine Steigerung der Einkommen, obwohl es kaum Arbeitslosigkeit gibt. Man darf aber nicht nur auf die Arbeitslosenzahlen schauen, viele Leute sind aus dem Arbeitsmarkt verschwunden, ohne in der Arbeitslosenstatistik aufzutauchen. Oder sie sitzen im Gefängnis. Und auch die Wachstumsraten waren alles andere als gut. Vor allen Dingen gibt es kein nachhaltiges Wachstum. Zudem haben viele Amerikaner ihre Gesundheitsversicherung verloren und die Lebenserwartung sinkt.

Die Steuersenkungen waren keine gute Idee?

Sie wurden vor allem falsch eingesetzt und dienen nur denjenigen, die weit oben stehen. Dabei hätte man sie durchaus für ein besseres Gesundheitssystem, mehr Bildungschancen auch für Menschen aus ärmeren Familien und die Grundlagenforschung ausgeben können. Das hätte den USA mehr geholfen. Die Steuersenkungen haben zu hohen Defiziten geführt, aber die Wirtschaft ist längst nicht so stark gewachsen, wie die Regierung versprochen hat. Davon profitiert allein das oberste Prozent der Gesellschaft. Doch diese Leute können gar nicht mehr investieren deswegen. Zugleich explodiert das Staatsdefizit. Und das in einer Phase der Hochkonjunktur. Spätere Generationen werden deswegen leiden und für Trump teuer bezahlen müssen!

In Ihrem Buch schlagen Sie viele Maßnahmen vor, die auch die stärkere Rolle des Staates betonen. Wie realistisch ist das für ein Land, in dem staatliches Handeln als „sozialistisch“ gilt?

Absolut, denn faktisch werden zwei Drittel der von mir gemachten Vorschläge von den meisten Amerikanern unterstützt. Wenn Sie fragen, ob wir eine Erhöhung des Mindestlohns brauchen, sagen zwei Drittel der Amerikaner ja . Wenn Sie fragen, ob alle einen leichteren Zugang zu Bildung haben sollten und ob Menschen, die arm sind, Zugang zur College-Bildung haben sollten, ist eine große Mehrheit dafür. Viele der Programme erfordern auch keine große staatliche Unterstützung. Allein wenn unser Steuersystem gerechter wäre, hätten wir Billionen Dollar mehr zur Verfügung. Das gleiche gilt für die Besteuerung von CO2 , was zu Billionen Dollar an Einnahmen führen würde, die wir für den Klimaschutz verwenden könnten. Die meisten Menschen in den USA unterstützen diese Ideen, und ich bin sehr optimistisch, dass sie sich umsetzen ließen. Der Staat kann das sehr wohl leisten. Auch wenn Präsident Trump dabei ist, den Staat zu schwächen.

Händler an der New Yorker Börse verfolgen die im Fernsehen übertragene Pressekonferenz von Donald Trump zur Corona-Krise.

Sie warnen vor den Folgen der wachsenden Ungleichheit. Warum wurde so wenig gegengesteuert?

Vor der Finanzkrise 2008 gab es ein großes Vertrauen, dass das System schon funktionieren wird: weniger Regulierung, geringere Steuern, der Markt wird es schon richten. Dann kam die Krise, von der alle gesagt haben, dass so etwas nicht passieren könnte. Und dann waren alle damit beschäftigt, das System zu retten. In beiden Phasen war es schwierig, die Aufmerksamkeit der Entscheider auf die weiter auseinandergehende Schere zwischen Arm und Reich zu lenken. Die Lebensaussichten junger Menschen sind enorm abhängig vom Einkommen und von der Bildung der Eltern – so extrem ist das fast in keinem anderen Industrieland. Und in den USA haben die Menschen unter den führenden Industrieländern mittlerweile die geringste Lebenserwartung.

Was hilft?

Selbst sehr reiche Menschen wie Warren Buffett sagen inzwischen, es sei falsch, dass er so wenige Steuern zahlen sollte. Mehr als 20 Prozent des gesamten Einkommens gehen auf das oberste Prozent, mehr als 40 Prozent des Reichtums werden von der Spitze gehalten. Früher hat man Steuern gezahlt, mit dem Geld könnte man viel Nützliches tun.

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Wann begann die Ungleichheit zu wachsen?

Den Beginn des Neoliberalismus datiere ich auf die Präsidentschaft von Ronald Reagan. Aber auch unter dem Präsidenten Bill Clinton gab es eine starke Deregulierung der Finanzmärkte. Er lag damit auf einer Linie mit den Republikanern. Leider hat dies zu einer noch größeren Ungleichheit geführt. Ich war bereits während meiner Tätigkeit als Berater von Clinton über die wachsende Ungleichheit beunruhigt. Aber erst seit dem Jahr 2000 hat das Problem erschreckende Ausmaße angenommen.

Wie können die USA gerechter werden?

Eine allgemeine Gesundheitsversorgung ist zentral, sonst sind die Menschen ständig besorgt. Es braucht mehr Bildung, um die soziale Mobilität zu erhöhen. Dann müssen wir auch gegen die Monopole vorgehen. Es gibt in den USA keinen Wettbewerb, wie ihn sich die Ökonomen im Lehrbuch vorstellen.

Welche Verantwortung trägt Trump?

An vielen Problemen unseres Landes ist er nicht schuld, er hat sie jedoch verschärft. Aber hätte Trump nicht die Bühne betreten, wäre irgendwann ein anderer gekommen. Demagogen warten nur darauf, Spaltungen für sich auszunutzen. Aber eines ist klar: Trump hat keinen Plan, das Land voranzubringen.

Und der Handelskrieg?

In diesem Handelskrieg verlieren alle. Wir haben die Welthandelsorganisation WTO, die fairen Handel sicherstellen soll. Die WTO könne angerufen werden, wenn ein Land die Freihandelsregeln verletzt. Es ist nicht Trumps Aufgabe, hier mit Deals zu prahlen.

Ein anderer Nobelpreisträger, Edmund Phelps, sagte, es fehlen die Innovationen, daher gibt es wenig Wachstum.

Ich würde es anders formulieren. Wir haben weniger Innovation, weil wir weniger Wettbewerb haben. Eines der Probleme ist, dass die Großkonzerne es für neue Firmen schwieriger machen, mit neuen Innovationen auf den Markt zu kommen. Das Geschäftsmodell ist, dass der Wettbewerb unterdrückt wird, indem Firmen mit Innovation bekämpft werden. Deshalb kann es auch kein Wachstum geben.