Katharina Grosse wurde mit Sprühbildern im Stadtraum bekannt. Das Kunstmuseum Bonn zeigt jetzt eine Werkschau ihrer Atelierarbeiten.
Katharina Grosse in BonnHier sind alte Machogesten noch ein Erfolgsrezept
Auf der Suche nach Katharina Grosses Vorbildern muss man nicht tief graben. Ein kurzes Piksen der Kuratorin Sabine Eckmann genügt, und schon sprudelt es aus ihr heraus: Martha Argerich, die Pianistin, Odysseus, der listenreiche, Edvard Munch, der Maler, „der Torschütze beim WM-Finale Deutschland gegen Holland“ (Gerd Müller, vermutlich), und Walter Dahn, „der wilde Mann aus der Provinz“, den sie in Köln-Mülheim besuchte, als gehöre er zum Stamm der Hopi. Eigentlich, so Grosse, habe sie sich mit allen Figuren ihrer Jugend identifiziert und damals nie einen Unterschied zwischen sich und anderen gemacht.
Der anekdotische Zugang zum künstlerischen Werk ist eigentlich verpönt. Aber im Fall von Katharina Grosse erklärt er doch sehr schön, was das Postmoderne an ihren weltweit bestaunten abstrakten Großformaten ist: Sie hat sich auch als Malerin einfach geweigert, eine Grenze zwischen sich und vor allem den berühmten Künstlern der Moderne zu ziehen, hat die Angst vor der Beeinflussung umarmt und zu ihrer Stärke gemacht. Wenn man durch die aktuelle Grosse-Werkschau im Kunstmuseum Bonn schlendert, begegnen einem überall gemalte Antworten auf Fragen, die sich schon antike Künstler stellten und die Jahrhunderte später von Malern wie Lucio Fontana, Mark Rothko oder Gotthard Graubner aufgegriffen wurden. Dass ihre eigenen Bilder dabei ziemlich großspurig daherkommen und mitunter ganze Wände füllen, hat Grosse bereits den Vorwurf eingetragen, sich der Machoattitüde alter weißer Männer zu bedienen. Aber diese Kritik steht ihr so gut wie eine Auszeichnung.
Katharina Grosses Bilder sind „männliche“ Anwendungen einer staubtrockenen Theorie
Katharina Grosses Bilder sind auch in einem weiteren Sinne „männlich“: Sie sind virtuose Anwendungen einer staubtrockenen Theorie. Für Grosse erschafft die Malerei keine anderen Wirklichkeiten, sondern Raumwirkungen, die jeweils schmale Teile der Realität verdecken oder verdrängen. Das ist als Gedanke so abstrakt, wie es sich liest, und vermutlich greift Grosse genau deswegen auf die Mittel der ungegenständlichen Malerei zurück. Auf die Leinwand übersetzt erschien die Theorie gerade in den Anfängen von Grosses Karriere erstaunlich einfach: Blaue, grüne, rote und orange Streifen kämpfen um ihren Raum auf der gemeinsamen Leinwand, die Farbfelder pressen und drängeln, strecken ihren Bauch heraus und schieben sich übereinander. Diesen Effekt erreichte die junge Grosse, indem sie die Farben in mehreren Schichten auftrug. Das Bild bekommt Tiefe, allerdings nicht durch eine perspektivische Illusion. Sondern, weil die übermalten Farben durch die oberen Schichten schimmern.
Diese Bilder entstanden noch als gewöhnliche Ölgemälde, auch wenn Grosse sie bevorzugt mit breiten Pinseln malte, die sie an langen Stöcken führte. In den 2000er Jahren entdeckte sie dann die Sprühfarbe aus der Dose, mit der sich Farbnebel und andere Unschärfen erzeugen lassen. Außerdem passte die Sprayer-Attitüde besser zu Grosses Sehnsucht nach dem öffentlichen Raum: Während man im Atelier immer nur weiße Leinwand verdrängt, schiebt sich die Farbe in der Stadt vor echtes Leben oder wenigstens, wie am Eingang zum Kunstmuseum Bonn, vor Architekturbeton.
Das gebogene Riesenschild ließ Stephan Berg zu seinem Einstand als Direktor des Bonner Kunstmuseums installieren. Dabei scheint er Grosses Arbeiten im Außenraum gar nicht so gut zu finden, oder jedenfalls weniger überzeugend, als die Studioarbeiten, die nun als Endstation einer internationalen Ausstellungstournee in seinem Haus zu sehen sind. Wer Grosses Pseudograffiti-Bemalung der KVB-Station am Chlodwigplatz vor Augen hat, wird Berg darin leicht zustimmen. Sie gehört zu den wenigen permanenten Grosse-Arbeiten im Außenraum. Häufiger werden sie auf Zeit in Blumenbeete oder in den Straßendreck gestellt, um anschließend zurück ins Atelier zu wandern. In Bonn sind einige dieser Bilder zu sehen, auf denen sich der abstrakte Malraum als Schmutzfänger mit Ruß- und Realitätspartikeln vollgesogen hat.
In den 2010er Jahren wurden Grosses Bilder zusehends prächtiger und ähnelten Farbexplosionen
Als Ateliermalerin hat Grosse ihre Palette an Raumwirkungen methodisch erweitert. Sie kombiniert verschiedene Malweisen und Muster, etwa indem sie verlaufende Farben über scharf konturierte Karomuster setzt; die Schlieren scheinen die Leinwand zu schlitzen wie die Messer Lucio Fontanas. Auf anderen Bildreihen „brannte“ sie weiße Löcher in durch Kritzeleien aufgemischte Farbnebel, oder sie platzierte Bilderrahmen ins Bild und schuf so einen weiteren Raum im gemalten Raum.
In den 2010er Jahren wurden Grosses Raumexperimente und -exerzitien zusehends prächtiger und ähnelten immer häufiger expressionistischen Farbexplosionen. Diese Bilder machen sich auch auf Messeständen und in Privathaushalten ganz wunderbar, weshalb Grosse vielleicht bewusst gegensteuerte und die Raumwirkungen ihrer Bilder zuletzt buchstäblich in die dritte Dimension verlängerte. Auf einigen ihrer jüngsten Arbeiten hängen mehrere übereinander befestigte Leinwände in Fetzen von der Wand, was, wie Stephan Berg betont, keinesfalls eine Zweitverwertung misslungener Werke sei. Vielmehr wäre alles genau geplant, und Grosse bestehe darauf, die Fetzen stets als identischen Faltenwurf zu präsentieren.
Ein Fest für Museumsrestauratoren sind vor allem diejenigen Fetzenbilder, in die mit Farbe besprühte Zweige verknotet wurden. Mit ihnen holt Grosse die äußere Wirklichkeit ganz konkret ins Bild, ohne dass dieses deswegen gleich figurativ zu nennen wären. Auf anderen Gemälden scheint sie wiederum Krakelee zu simulieren, also die haarfeinen Risse, die sich im Laufe des Alters durch die Farboberfläche ziehen. Oder sind es Glaswürmer auf einer psychedelischen Mikroskopaufnahme? Auch das gehört zu Katharina Grosses Erfolgsrezept: Solange man Dinge sieht, die gar nicht da sind, braucht einem um die abstrakte Kunst nicht bange zu sein.
„Katharina Grosse. Studio Paintings 1988-2023“, Kunstmuseum Bonn, Museumsmeile, bis 22. September 2024. Der Katalog zur Ausstellung kostet im Museum 35 Euro.