Ken Follett ist sauer über den Brexit„Das wird ein Desaster für unser Land“
- Der englische Bestseller-Autor Ken Follett hat einen neuen Mittelalter-Roman verfasst. In „Der Morgen einer neuen Zeit” erzählt er die Vorgeschichte seines Weltbestsellers „Die Säulen der Erde”.
- Das Mittelalter lässt den 71-Jährigen nicht los. Doch er hat auch eine klare Meinung zur Gegenwart. Dem britischen Premierminister Boris Johnson stellt er ein vernichtendes Urteil aus.
- Außerdem verrät er in unserem Interview, was er jedes Mal macht, wenn er nach Köln kommt.
Herr Follett, bevor wir über Ihren neuen Roman sprechen, wüsste ich gerne, wie Sie die vergangenen Monate erlebt haben? Wie hat die Pandemie Ihr Leben beeinflusst?
Mein Arbeitsleben wurde gar nicht davon beeinflusst. Ich sitze den ganzen Tag da, wo ich immer sitze und schreibe. So ist mein Leben seit 45 Jahren. Aber mein soziales Leben ist komplett verschwunden. Ich kann nicht mehr mit meinen Freunden in Restaurants gehen, essen und Wein trinken. Das vermisse ich. Aber am meisten macht mir zu schaffen, dass ich meine Kinder und Enkelkinder nicht sehen kann. Ich freue mich schon sehr darauf, wenn das endlich wieder möglich ist.
Wie kommt England denn durch die Pandemie?
Die Regierungen aller Länder sehen sich mit einer großen Herausforderung konfrontiert. Einige begegnen ihr besser als andere. Und unsere Regierung macht es wirklich nicht besonders gut. Ein Teil des Problems ist, dass es eine wissenschaftliche Frage ist, wie man mit dem Virus umgeht. Es geht um Nachweise. Und die Regierung, die wir im Moment haben, gründet ihre Popularität darauf, dass sie diese ignoriert. Ihr Erfolg hat mit dem Brexit zu tun. Der Brexit ist eine fürchterliche Idee, der ein Desaster für unser Land sein wird, aber diese Leute sind beliebt, weil sie vorgegeben haben, der Brexit werde keine Katastrophe. Und Menschen, deren ganze Karriere darauf beruht, dass sie Belege ignorieren, können sich nicht plötzlich einem neuen Problem zuwenden und sagen, hier müssen wir jetzt ganz strikt die Fakten interpretieren.
Sie nennen den Brexit ein Desaster. Könnte uns der Blick in die Vergangenheit, wie Sie es in Ihren Romanen tun, helfen zu verstehen, wie wichtig die Idee der EU ist und dass Nationalismus nicht die Lösung für unsere Probleme ist?
Nationalismus ist im 21. Jahrhundert auf nichts die Antwort. Das zu glauben, ist ein schrecklicher Fehler, den viele Menschen im Moment machen. Und ich kann nicht verstehen, warum sie das tun. Nationalismus ist ein Phänomen des 18. und 19. Jahrhunderts. Er war ja auch mal eine gute Sache. Viele antikolonialistische Bewegungen nutzten Nationalismus als ein Argument für Unabhängigkeit. Aber natürlich heißt Nationalismus heute, vorzugeben, dein Land sei besser als alle anderen. Und das ist ein Desaster.
Vielleicht ist ein Problem, dass der Zweite Weltkrieg schon so lange her ist und vielen Menschen nicht mehr klar ist, welch ein Geschenk ein vereintes Europa ist.
Ich stimme Ihnen da völlig zu. Die Menschen vergessen. Es gibt nicht mehr viele, die im Krieg kämpften, die sich daran erinnern können, wie es war, im Zweiten Weltkrieg zu leben. Als ich ein Junge war, sagte ich immer, es wäre großartig in der Armee zu sein, in einem Krieg zu kämpfen. Meine Mutter erwiderte: „Sag das nie. Du hast keine Ahnung, wie das ist.“ Und sie hatte Recht. Meine Mutter wusste, wie es war, nichts zu essen zu haben und sich vor den Bomben zu fürchten. Aber jetzt sind nur noch wenige da, die sich daran erinnern können. Die Welt ist voller Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg geboren wurden – und sie sind nicht so angstvoll, wie sie sein sollten.
Zur Person
Ken Follett (71) wurde in Wales geboren und zog als Kind mit seiner Familie nach London. Er arbeitete nach dem Philosophie-Studium zunächst als Journalist. Dann wechselte er zu einem Verlag und veröffentlichte einige wenig erfolgreiche Romane. „Die Nadel“ wurde 1978 ein Bestseller. 1989 erschien „Die Säulen der Erde“, ein Roman über den Bau einer fiktiven Kathedrale im Mittelalter, der ihn weltberühmt machte. Follett hat mehr als 20 Bestseller veröffentlicht. Sein neuer Roman „Kingsbridge – Der Morgen einer neuen Zeit“ ist diese Woche bei Bastei Lübbe erschienen (1024 Seiten, 36 Euro). (amb)
Lassen sie uns über Ihren Roman sprechen. Sie haben 2014 in einem Interview gesagt, dass Sie nicht mehr über das Mittelalter schreiben wollen. Nun haben Sie es doch wieder getan. Warum kommen Sie nicht los von dieser Zeit?
Ich frage mich manchmal selbst, ob ich zu oft über das Mittelalter schreibe. Aber eine gute Geschichte ist einfach eine gute Geschichte, egal in welcher Zeit sie spielt. Das ist für mich das Wichtigste. Manchmal arbeite ich auch monatelang an einer Idee und stelle dann fest, sie ist nicht gut genug und verwerfe sie wieder. Wenn ich aber eine gute habe, dann bringe ich sie auch zu Ende.
Warum haben Sie sich – nach zwei Fortsetzungen – nun entschieden, die Vorgeschichte Ihres Bestsellers „Die Säulen der Erde“ zu schreiben?
Die Zeit, in der die Geschichte spielt, ist sehr dramatisch. Um das Jahr 1000 gab es drei mächtige Gruppen, die um die Kontrolle über England kämpften: die Angelsachsen, die Wikinger und die Normannen. Ein solcher Wettstreit mit drei Parteien ist immer interessant. Und ich war fasziniert von der Frage, wie Kingsbridge aussah, bevor es eine wichtige, große Stadt wurde.
Ihre Romane sind sehr umfangreich. Wie gehen Sie in der Entwicklung vor?
Die Handlung kommt immer als Erstes. Wenn ich eine Idee habe, schreibe ich sie auf. Vielleicht sind das nur zehn Zeilen. Und am nächsten Tag frage ich mich selbst: Welche Menschen sind das? Was mögen sie? Was wollen sie? Was passiert davor und danach? Und am zweiten Tag ist die Geschichte dann vielleicht eine Seite lang, am nächsten zwei. Manchmal gebe ich Handlungsstränge auf, manchmal füge ich neue hinzu. Dieser Prozess, die Geschichte zu entwickeln, dauert ein halbes Jahr bis ein Jahr. Außerdem recherchiere ich in dieser Phase über die Zeit, in der die Handlung spielt. Es beginnt also immer mit einer simplen Idee, die dann wächst und wächst.
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Wir wissen nun sehr wenig über das Leben von ganz gewöhnlichen Bauern oder Handwerkern in dieser Zeit. Wie nähern Sie sich einem Charakter an?
Ich glaube, dass die Menschen vor 1000 Jahren im Grunde genommen nicht sehr anders waren als wir heute. Natürlich waren ihre Lebensumstände anders, viel gefährlicher und brutaler. Aber die Hoffnungen und Ängste müssen doch dieselben gewesen sein. Menschen überall auf der Welt in jeder Epoche waren beschäftigt mit Liebe, Heirat und Sex, mit Arbeit und Geld, mit Krieg, Kämpfen und Revolution. Das haben alle Menschen zu allen Zeiten gemein. Ausgehend von der Annahme, dass ich weiß, wie ihre Hoffnungen und Träume aussahen, denke ich dann über die sehr unterschiedlichen Lebensumstände nach und frage mich, wie diese Menschen mit der Welt, die sie umgab, umgegangen sind.
Ich habe gelesen, dass Sie nicht an Gott glauben. Ist es da nicht merkwürdig, sich mit einer Zeit zu beschäftigen, in der Glaube und Religion so wichtig waren?
Ich habe viel über diese Frage nachgedacht. Die Leute sagen oft: Das Leben der Menschen im Mittelalter war dominiert von Religion, sie beeinflusste alles, was sie taten. Aber ich glaube das nicht. Denken Sie an die Verbrechen, die Menschen im Mittelalter begingen, die Morde, Entführungen, Übergriffe. Wenn sie wirklich gedacht hätten, dass Jesus in jeder Sekunde über ihre Schulter blickt, wie hätten sie dann all diese Dinge tun können? Es gab zehnmal mehr Morde als heute im Mittelalter. Die Leute hätten sich nicht so verhalten, wenn Sie geglaubt hätten, Gott beobachte sie die ganze Zeit. Natürlich hätten sie gesagt, dass sie an Gott glauben, dass sie nicht in die Hölle kommen wollen. Aber im Alltag haben sie das vergessen – genauso wie die Menschen heute.
Sie glauben zwar nicht an Gott, sind aber dennoch so fasziniert von Kathedralen, dass Sie Ihnen literarisch ein Denkmal gesetzt haben. Warum?
Ich liebe Kathedralen, weil sie wunderschön sind. Sie geben einem ein Gefühl von Frieden, wenn man hinein geht. Etwas an der Architektur und dem Fakt, dass diese Gebäude schon seit Jahrhunderten dort stehen, dass sie so ruhig sind, dass es immer recht kalt in ihnen ist, gibt mir ein Gefühl von Reinheit. Für mich haben sie Magie. Und ich denke an die Menschen, die sie mit so einfachen Werkzeugen erbaut haben. Und dennoch sind ihre Bauwerke schöner als alles, was heute gebaut wird.
Und was sagen Sie als Kathedralen-Experte zum Kölner Dom?
Ich mag ihn sehr. Immer, wenn ich in Köln bin, gehe ich hinein. Ich weiß natürlich, dass vieles wieder rekonstruiert wurde, weil es im Krieg zerstört worden war – von uns Briten zerstört. Es ist wunderbar, dass die Rekonstruktionen so gut geworden sind, es sieht so authentisch aus. Und ich finde das Richter-Fenster wunderschön.
Ihre Romane verkaufen sich sehr gut. Populäre Literatur steht oft in dem Ruf, nicht besonders gut oder tiefgründig zu sein. Wie gehen Sie mit diesem Vorwurf um?
Ich habe mich immer schon gefragt, wofür Literatur gut ist. Warum wollen Menschen lesen? Warum bezahlen sie für ein Buch Geld? Ich will Bücher schreiben, die Leute lesen wollen. Es gibt viele Menschen, für die Literatur eine hochintellektuelle Aktivität ist. Und ja, es gibt viele, die herabschauend und skeptisch auf populäre Kunst blicken. Aber sie sind nie gut darin zu erklären, was sie damit meinen. Wenn man sie fragt, warum die eine Literatur der anderen überlegen sein soll, kommt da nicht viel.
Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube, sie wissen es einfach nicht. Ich will literarische Fiktion nicht schlecht reden. Ich lese sie selbst gerne, aber ich sehe, warum sie nicht besonders populär ist. Ich habe nichts gegen diese Literatur, aber ich habe etwas gegen Menschen, die nichts von Literatur verstehen, die glauben, komplizierte Bücher seien den anderen überlegen. Mir tut es nicht weh, wenn Leute sagen, meine Bücher seien nicht besonders intellektuell. Ich glaube, es ist kein besonderer Vorteil, wenn Literatur intellektuell ist, sie muss emotional sein. Darum geht es doch.
Ihnen ist die Geschichte also wichtiger als der literarische Stil?
Ja, mich interessiert die Geschichte. Mein Ziel beim Schreiben ist es, dass man meinen Stil gar nicht bemerkt. Es soll wie eine Glasscheibe sein. Man schaut durch das Fenster und sieht die Welt. Man bemerkt meinen Stil nicht, weil man an der Geschichte interessiert ist. Ich will so verständlich schreiben, dass die Leser nie zurückgehen müssen, um den Sinn eines Satzes zu verstehen, dass sie sofort wissen, was ich meine. Es geht um Klarheit. Es gibt Autoren, bei denen ist das anders. Marcel Proust etwa will Ideen mit uns teilen. Er schreibt lange, sehr komplizierte Sätze. Aber das ist, weil die Ideen kompliziert sind. Es lohnt sich, sich die Zeit zu nehmen, Proust zu lesen, denn wenn man schließlich versteht, warum es ihm geht, ist das wundervoll und sehr interessant. Aber es ist nicht meine Art zu schreiben.