Die Studenten der Kölner Kunsthochschule für Medien zeigen ihre aktuellen Werke. Das bietet der KHM-Rundgang 2024.
KHM-Rundgang 2024Von falschen Schönheitsidealen zum geheimen Wissen der Tiere
Verglichen mit dem technischen Fortschritt ist die Kunstgeschichte eine Schnecke. Aber dafür sind ihre Spuren im Idealfall für die Ewigkeit oder wenigstens nicht schon morgen überholt. Selbst an der technikaffinen Kölner Kunsthochschule für Medien (KHM) sehen die Studenten der rasenden Entwicklung der künstlichen Intelligenz mit einer gewissen Gelassenheit hinterher: Für ihre Diplomarbeit „The Hands Problem“ halten Alex Simon Klug und Kristina Lenz einen Zwischenzustand der KI-Forschung fest, nämlich die wenigen Monate, in denen die KI lernen musste, dass Hände in der Regel fünf Finger haben.
Die momentane Fehleranfälligkeit der KI haben Klug und Lenz buchstäblich in Beton gegossen, mit surrealen Handkreationen, die nun wie archäologische Fossile an der Wand hängen. Ihre Reliefs ineinander fließender oder miteinander verwachsender Hände sehen aus wie „Fehler“ – oder wie künstlerischer Eigensinn, den man der künstlichen Intelligenz mittlerweile leider ausgetrieben hat.
Die Betongüsse finden sich im neuen Hauptgebäude der KHM, einem der Schauplätze des aktuellen Rundgangs. In dessen Rahmen stellen Studenten und Absolventen aktuelle Seminar- und Abschlussarbeiten vor – 2024 umfasst der Ausstellungsparcours mehr als 100 Werke, vor allem aus dem technoiden Kunstspektrum. Gemälde und altes Handwerk gibt es vielleicht noch an der Düsseldorfer Kunstakademie. Die KHM ist eine feste Burg von Mixed-Media-Installationen, Sound Art, Videokunst und Virtual Reality. Beinahe klassisch erscheint in Köln hingegen die Filmausbildung; zehn Kinoprogramme finden in der Hochschulaula statt, zwei im Filmforum im Museum Ludwig.
Für Helen Brechts Stadtguerilla-Arbeit müsste man eigentlich nach Bottrop fahren. Brecht hat die dortige Stadtverwaltung offenbar dazu überredet, Parkscheine mit poetischen Kurzbotschaften zu versüßen. Einige Beispiele hängen nun am Heumarkt im KHM-Foyer an der Fensterscheibe, gemeinsam mit anderen Beweisstücken. Deutlich mehr Aufwand betreiben Hyeseon Jeong und Seongmin Yuk mit ihrer raumfüllenden Multimedia-Installation „The Backpack of Wings“. Auf mehreren Leinwänden und Modellen geht es um aktuelle Versuche, das Wissen von Vögeln mithilfe von Sendern anzuzapfen und aus den gewonnenen Bewegungsdaten ein Frühwarnsystem gegen Natur- und Umweltkatastrophen zu entwickeln.
Um die geheime Kommunikation von Tieren und Pflanzen geht es beim „Multispecies Storytelling“
Um die geheime Kommunikation von Tieren und Pflanzen geht es auch in den Seminararbeiten zum „Multispecies Storytelling“. Hier mischt sich das Banale (seinem Lieblingsvierbeiner eine Kamera umschnallen) mit dem Ökokuriosen (eine Landkarte Kölns aus Moos) und dem Psychologischen (die Identifikation mit einem felligen Spielavatar). Mit dem Menschlich-Allzumenschlichen befasst sich dagegen Gina Bojahr. Sie greift den „No Make-up“-Schönheitstrend auf und hintertreibt die unerfüllbare Sehnsucht nach reiner Haut mit großformatigen Collagen, die Aufnahmen von 3D-Gesichtsmodellen in mikroskopische Gebirgslandschaften verwandeln.
Unsere Schönheitsideale hinterfragt auch Luise Flügge in einer Fotoserie aus Selbstporträts, die sich überwiegend auf Vorbilder der Malerei beziehen. Auf einem eindrucksvollen „Selfie“ stellt sie Diego Velázquez‘ „Venus vor dem Spiegel“ nach, allerdings erst, nachdem die gemalte Nackte von der kanadischen Suffragette Mary Richardson mit Messerstichen attackiert worden war. Dieser Protest gegen eine misogyne Welt wurde 1914 umgehend ins Pathologische umgemünzt; bis heute ist Richardson als „Slasher Mary“ bekannt.
Steht die KHM als Ausbildungsstätte für Bildende Kunst im Schatten der Düsseldorfer Kunstakademie, sammeln ihre Filmabsolventen verlässlich Preise und Festivalteilnahmen ein. In Rasam Nooris „Everything About a Mutual Acquaintance“ verpasst ein junger Soldat seinen Bus und steht verloren auf einer iranischen Hochebene. Ein Autofahrer, der in ihm den Sohn eines verstorbenen Freundes erkennt, nimmt ihn mit, und während der langen Fahrt durch eine unwirtliche Landschaft lernt der Soldat seinen Vater von einer ihm unbekannten Seite kennen. „Mein Vater war für mich ein Fremder“, sagt er, um seine Verwunderung zu erklären.
Faris Aljroobs „The Red Sea Makes Me Wanna Cry“ erlebte seine Uraufführung in Cannes
Es ist, als würden die beiden nicht von demselben Menschen sprechen, eine Möglichkeit, die Noori elegant in seine Dialoge verwebt. Wenn sich die Sache schließlich klärt, geht es in diesem klugen Film schon um ganz andere Dinge: etwa um die Frage, wie deutlich man die Möglichkeit einer Liebe unter iranischen Männern im Kino ansprechen kann. „Everything About a Mutual Acquaintance“ lief bereits bei den Kurzfilmtagen Oberhausen und wurde dort mit dem 3sat-Förderpreis prämiert.
Faris Aljroobs „The Red Sea Makes Me Wanna Cry“ erlebte seine Uraufführung sogar bei der Quinzaine in Cannes. In seinem 21-minütigen Diplomfilm reist eine junge Frau aus Köln nach Jordanien, um die Unfallstelle ihres tödlich verunglückten Freundes zu besuchen. Aus dem Off erzählt der Verstorbene von seiner Heimat, der „Insel der Toten“, einem Landstrich, den die Regierung durch Industrialisierung beleben wollte, bevor der Terror alle Pläne zunichtemachte.
Erst vor Ort scheint die Frau zu erfahren, dass ihr Freund mit dem Auto in eine Schlucht stürzte – als Beifahrer einer ihr unbekannten Frau. Um die Natur dieser Beziehung zu umschreiben, genügt Alrjoob ein Seitenblick auf das Telefon des Toten, und auch sonst belässt er es bei Andeutungen, wo andere Regisseure vielleicht mehr erklärt hätten, als nötig gewesen wäre. Am Ende hängt ein Geheimnis über dem Land und über dem Film. Die junge Frau nimmt Abschied von ihrem Freund, indem sie in „seinem“ Hotel absteigt und bestellt, was er sich bestellte. Aber nahe kommt sie ihm nicht mehr – der Tod hat sich als großer Unbekannter zwischen sie geschoben.
Rundgang 2024, Kunsthochschule für Medien Köln, Hochschulcampus, Filzengraben, Do.-So. 14-20 Uhr, bis 7. Juli. Eröffnung: 3. Juli, 18 Uhr. Eintritt frei.