AboAbonnieren

„Kingsman“-Schauspieler Colin Firth im Interview„Es heißt, dass Engländer keinen Sex hätten – sondern Wärmflaschen“

Lesezeit 9 Minuten

Gilt als klassischer britischer Gentleman: Colin Firth

Colin Firth gilt als schwieriger Interview-Partner, weil er introvertiert und schwer aus der Reserve zu locken ist. Umso erfreulicher, dass ein ausgesprochen freundlicher und mitteilsamer Colin Firth zum Interview im Londoner Luxushotel Claridge’s erscheint. Auf Fragen antwortet er witzig-ironisch und mit typisch britischem Understatement. Firth ist ganz in Schwarz gekleidet: Sakko, T-Shirt, Hose. Nur sein goldener Ehering blitzt ab und zu auf.

Mr. Firth, lieben Sie Züge?

Wie kommen Sie denn darauf?

Es heißt doch, dass Engländer Züge über alles lieben...

Es heißt auch, dass Engländer keinen Sex hätten – sondern Wärmflaschen. Lassen wir doch diese Klischees beiseite.

Was hat Sie dann an dem Film „The Railway Man“ gereizt?

Der Film basiert auf den Memoiren von Eric Lomax, der im Zweiten Weltkrieg als britischer Offizier von den Japanern gefangen genommen und dazu gezwungen wurde, die Eisenbahn in Burma aufzubauen. Während dieser Zeit wurden er und seine Leidensgenossen furchtbar gedemütigt und gefoltert. Um dieses Trauma zu verarbeiten, beschließt er viele Jahre nach Kriegsende, zusammen mit seiner Frau seinen Peiniger aufzusuchen und ihn mit seiner Vergangenheit zu konfrontieren. Das musste ich unbedingt spielen.

Colin Firth, Jahrgang 1960, hat 2011 für seine Darstellung des stotternden britischen Königs George VI. (in „The King’s Speech“) einen Oscar gewonnen. Einem breiten Publikum wurde der Engländer 2001 und 2004 durch die „Bridget Jones“-Komödien bekannt, in denen er den nur auf den ersten Blick langweiligen Anwalt Mark Darcy spielte.

Seit 17 Jahren ist Firth mit der italienischen Dokumentarfilmerin Livia Giuggioli verheiratet. Das Paar hat zwei Söhne. (ksta)

Zur Vorbereitung haben Sie den echten Eric Lomax getroffen…

… was eine ganz wunderbare Begegnung war. Er hatte sich trotz seiner 92 Jahre immer noch etwas von einem kleinen Jungen bewahrt, der sich – da stimmt Ihre Vermutung – total für die Eisenbahn begeistern konnte. Er hat mir nicht nur von den schrecklichen Qualen erzählt, die er erleiden musste, sondern auch vom großen Abenteuer, an der Thailand–Burma–Eisenbahnlinie mitzubauen.

Klingt sehr nach dem Stoff, aus dem David Lean „Die Brücke am Kwai“ machte.

Das war natürlich einer unserer Orientierungspunkte bei den Dreharbeiten.

Sie haben auch schon früher reale Personen dargestellt: Wir erinnern an den holländischen Maler Vermeer in „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ und an den stotternden britischen König George VI. in „The King’s Speech“.

Die waren allerdings schon tot und konnten sich meiner Interpretation nicht mehr erwehren (lacht). Ich kann Ihnen versichern, dass ich jede Rolle sehr ernst nehme. Egal, ob sie erfunden oder historisch ist.

Dann ist die Schauspielerei in Ihren Augen doch ein ehrenhafter Beruf?

Worauf wollen Sie hinaus?

Sie sagten mal, alle Schauspieler wären Dragqueens.

Als ich das sagte, wollte ich mit dem Mythos aufräumen, Schauspieler wollten mit ihrer Arbeit die Welt retten oder durch ihre Kunst die wunde Seele der Menschheit heilen. Das ist doch ein großer Krampf! Im Grunde genommen wollen wir Schauspieler uns doch nur verkleiden und tanzen. Und wir sehnen uns danach, dass uns dabei hoffentlich jemand zuschaut.

Hamlet als Rampensau?

(lacht) Wenn Sie so wollen.

Das sagt jemand, der selbst mal Hamlet auf der Bühne war.

Ja, ich weiß, das klingt etwas vermessen.

Gibt es für Sie als Schauspieler prinzipiell einen Unterschied zwischen Hamlet und – sagen wir – Eric Lomax?

Prinzipiell nein. Aber es ist natürlich immer Schauspielerei. Und wissen Sie, jede Rolle – ganz egal, ob beim Film oder am Theater – ist ein Sprung ins eiskalte Wasser.

Dagegen hilft auch kein Oscar, kein Stern auf dem Hollywood Walk of Fame?

Machen Sie Witze? Ich denke jedes Mal: Jetzt ist es so weit. Jetzt werden alle erkennen, was für ein Nichtskönner und Blender du bist!

Das ist nicht Ihr Ernst.

Doch. Und ich kenne viele Schauspieler, denen es genauso geht.

Und da gibt es nichts, was Ihnen die Selbstzweifel nimmt?

Ich muss anfangen zu spielen. Im Laufe der Zeit beruhigen sich dann die Nerven wieder. Wissen Sie, was mir dann wirklich hilft? Wenn ich einen außerordentlich guten Text bekomme. Daran kann ich mich festhalten. Denn eigentlich werden wir Schauspieler auch oft falsch beurteilt. Oft werden wir für eine Rolle hochgelobt – weil der Text, den wir sagen, so phänomenal gut ist. Und man tritt uns in die Tonne, nur weil wir manchen Unsinn aufsagen müssen. Dabei sind wir letztlich doch nur das Sprachrohr des Autors. Wir liefern die Worte, die sich ein anderer ausgedacht hat. Ich behaupte nicht, dass Hamlet zu spielen einfach ist. Aber man bekommt da als Schauspieler einen ganzen Kosmos von Möglichkeiten mit auf den Weg. Und ganz nebenbei Shakespeares Intellekt – was ja nicht das Schlechteste ist.

Lesen Sie im nächsten Abschnitt, wie Colin Firth mit seinem Erfolg umgeht und was für ihn einen echten Mann ausmacht.

Warum wollten Sie eigentlich Schauspieler werden?

Mit 14 habe ich Paul Scofield als Thomas More in dem Film „Ein Mann zu jeder Jahreszeit“ gesehen. Das war für mich eine Offenbarung. Ich sah, wie man durch die Schauspielerei große Wahrheiten vermitteln konnte.

Widerspricht das jetzt nicht Ihrer „Dragqueen“-Philosophie?

Nicht unbedingt. Natürlich gibt es bei der Schauspielerei verschiedene Ebenen. Viele Leute glauben, es ginge darum, verschiedene Masken aufzusetzen. Doch zu den großen Privilegien eines Schauspielers gehört eher, die Maske abzunehmen. Das hat etwas – im wahrsten Sinne des Wortes – unheimlich Befreiendes. Natürlich ist das ein Paradox: Ich schlüpfe in eine fremde Gestalt, um mich selbst zu offenbaren. Und das ist immer ein Drahtseilakt.

Allerdings mit einem großen Sicherheitsnetz.

Mit einem kleinen. Vor Publikum die Hosen herunterzulassen ist nicht immer ganz einfach. Aber ich gebe zu, es geschieht im Kontext einer Rolle, einer Aufführung. Andererseits kann man sich dadurch auch emotional weit öffnen und sich nackt und schutzlos zeigen. Im wirklichen Leben haben wir alle unsere Schutzmechanismen. Da tragen wir alle Masken. Zum Beispiel jetzt, hier: Sie die Maske des Interviewers, ich die Maske des Interviewten. Da wird es ernst. Beim Film bekomme ich – auch als Mensch – für die Dauer der Dreharbeiten Asyl.

Schauspielerei als Experimentier-Labor?

Absolut. Wenn es gut läuft, kann ich mich voll und ganz entfalten…

… weil es nicht wirklich ernst ist?

Ja und nein. Wie gesagt, es ist ein Paradoxon. Aber ich will noch einen anderen Aspekt herausgreifen, warum ich so gerne Schauspieler bin: In welchem anderen Beruf arbeitet man mit Schauspielern, Regisseuren, Beleuchtern, Kameramännern, Elektrikern, Schneidern, Make-up-Künstlern, Schreinern und Kostümdesignern so eng zusammen? Ich finde das unglaublich faszinierend und sehr bereichernd.

Lassen Sie uns auf einen anderen Aspekt zu sprechen kommen: Für viele sind Sie der Prototyp des distinguierten, englischen Gentleman.

Mit diesem Image kann ich nun wirklich überhaupt nichts anfangen. Ich weiß auch gar nicht genau, was das sein soll. Melone, Regenschirm und die „Times“ unter dem Arm? Der etwas verschrobene, verklemmte Brite? Das habe ich wohl überwiegend meiner Rolle als Mark Darcy in den „Bridget Jones“-Filmen zu verdanken.

Leben Sie gern in London?

Sehr gern. London ist eine kosmopolitische Metropole. Das passt zu mir. Ich bin als Kind sehr viel in der Welt herumgekommen. Meine Eltern waren als Lehrer in Afrika und Amerika tätig und später auch in England. Ich gestehe: Ich trinke ab und zu ein Bier in einem typisch englischen Pub. Und ich mag Curry-Gerichte.

Was macht für Sie einen echten Mann aus?

Manieren. Das wäre mal ein guter Anfang, finden Sie nicht? Und ein gut sitzender Anzug mit den dazu passenden Schuhen kann auch nicht schaden. Was sind das für Fragen? Die könnte ich Ihnen nicht mal beantworten, wenn Sie mein Psychiater wären. Ich bin der festen Überzeugung, dass Männer – und natürlich auch Frauen – viel zu komplex sind, als dass man sie auf ein, zwei Aussagen herunter- brechen könnte. Solche Allgemeinplätze findet man in Selbsthilfebüchern oder an Toilettenwänden.

Hat Sie der Erfolg sehr verändert?

Zeitweise ja. Nach den „Bridget Jones“-Filmen war ich eine Zeit lang ziemlich im Fokus der Medien. Aber das hat sich schnell gelegt. Schon sehr bald haben sie mich auf Hollywood-Partys oder bei Talk- und Fashion-Shows vergeblich gesucht. Ich habe am eigenen Leib erlebt, wie flüchtig der sogenannte Ruhm ist. Als ich mit 23 die Schauspielschule verließ, hatte ich das Glück, gleich beim Film unterzukommen. Viele meiner damals arbeitslosen Schauspielerfreunde waren der festen Überzeugung, dass ich es geschafft hätte. Aber dann kamen zehn sehr dürre Jahre. Nach dem Erfolg des ersten „Bridget Jones“ war meinen Freunden sonnenklar: Colin Firth ist jetzt ein Superstar. Aber das war natürlich Unsinn. Ich war einfach ein Schauspieler, der – Gott sei Dank – immer wieder gebucht wurde. Und das war auch bitter nötig. Immerhin hatte ich eine Familie zu ernähren.

Und wie fühlen Sie sich heute?

Sicher besser als vor 20 Jahren. Das liegt vor allem daran, dass ich noch als Schauspieler arbeiten kann. Manchmal treffe ich zufällig Leute, mit denen ich auf der Schauspielschule war, und viele von ihnen sind schon lange arbeitslos oder in einem anderen Job tätig. Ich bin wirklich dankbar, dass ich zu den Überlebenden gehöre. Das hat vor allem sehr viel mit Glück zu tun. Da mache ich mir nichts vor.

Sie glauben nicht daran, dass sich Qualität letztlich doch durchsetzt?

Ich glaube, das ist eine Illusion. Wie viele außerordentlich talentierte Maler ohne Fortune stehen hinter van Gogh? Wie viele gescheiterte Schriftsteller hinter Oscar Wilde? Wie viele Rockbands hinter den Rolling Stones, die es nie geschafft haben, weil ihnen das Quäntchen Glück versagt blieb?

Trifft das nicht auch auf das Leben schlechthin zu?

Aber sicher. Ich bin seit 17 Jahren glücklich verheiratet. Glauben Sie wirklich, dass man das planen kann?

Erzählen Sie uns doch bitte, wie ein Brite und eine Italienerin den offensichtlichen Kulturschock so gut in den Griff gekriegt haben.

Das ist in der Tat sehr interessant, und manchmal ist es auch schwierig. Entgegen der landläufigen Meinung empfinde ich die Italiener als viel reservierter als die Engländer. Und die Engländer viel relaxter und offener. Das verblüfft Sie jetzt sicher.

Können Sie ein Bespiel geben?

Gerne. Die Italiener sind bei Tisch sehr darauf bedacht, die Etikette einzuhalten. Sie sind meist sehr höflich und zuvorkommend. Die Engländer hingegen haben überhaupt keine Tischsitten. Sie brüllen herum, essen mit den Ellenbogen auf dem Tisch, schneiden Spargel mit dem Messer in kleine Würfel.

Das kennen wir aber aus „Downton Abbey“ ganz anders.

Ja, das war vor 100 Jahren – bei der Upperclass. Ganz ehrlich, wenn ich bei mir zu Hause ein Essen gebe und Freunde einlade, dann sind meine italienischen Verwandten immer ein bisschen schockiert.

Letzte Frage: Wird es einen dritten „Bridget Jones“-Film geben?

Das ist eine Frage wie: Wird es bald den Weltfrieden geben? Ich habe keine Ahnung.