Kölner Theaterkollektiv„1934 Stimmen“ – Begegnung mit Hitlers Lautsprechern
- „1934 Stimmen“ heißt die Performance des Kölner Theaterkollektivs „Futur 3“ in Zusammenarbeit mit dem Ensemblenetzwerk „Freihandelszone“, die im NS-Dokumentationszentrum zu sehen ist.
- In den ebenerdigen Räumen des NS-Dok sowie in den Nischen und Gewölben des Kellers kommt es zur Begegnung mit der Vergangenheit, deren Intensität es in sich hat.
Köln – Kennen Sie Theodor Abel? Es ist nicht schlimm, wenn man verneinen muss, die Dame am Eingang gibt gerne selber die Antwort: Theodor Abel war ein amerikanischer Soziologe, der 1896 im polnischen Łódź geboren wurde – „seine Frau hieß Theodora“, sagt die Dame mit dem Anflug eines Lächelns. 1934 initiierte Abel unter der Schirmherrschaft der New Yorker Columbia Universität und in Absprache mit der deutschen NSDAP ein Preisausschreiben: Überzeugte Parteigänger Hitlers sollten erläutern, wie ihr Weg in den Nationalsozialismus ausgesehen hat. Es winkten Belohnungen im Wert von 400 Reichsmark.
Fanatische Parteigenossen
„1934 Stimmen oder: Als mein Mann das große Glück hatte, dem Führer im Tempelhofener Flughafenrestaurant eine Erfrischung reichen zu dürfen“ – so heißt eine Performance des Kölner Theaterkollektivs „Futur 3“ in Zusammenarbeit mit dem Ensemblenetzwerk „Freihandelszone“, die von Freitag an im NS-Dokumentationszentrum zu sehen ist.
Die Dame am Eingang, die so bereitwillig zu Theodor Abel Auskunft gibt, gehört zur Aufführung natürlich ebenso dazu wie eine Auswahl der Texte, die der Soziologe über sein Preisausschreiben eingeholt hat. In den ebenerdigen Räumen des NS-Dok sowie in den Nischen und Gewölben des Kellers dringen sie aus Lautsprechern auf die Besucher ein, vor allem aber begegnet man an diesen Orten Schauspielern aus Fleisch und Blut, die in die Rollen fanatischer Parteigenossen schlüpfen. Eine Begegnung mit der Vergangenheit, deren Intensität es in sich hat.
Wobei die Inszenierung – Regie führt André Erlen – just gegen diese intensive Nähe immer wieder anarbeitet; das sorgt für die eigentümliche Spannung, die über dieser Aufführung liegt. Gleich zu Beginn wendet sich aus den Lautsprechern eine Art Chor an die Besucher, ein mitunter leicht verzerrtes Stimmengeflecht, das zwar an das chorische Sprechen in der griechischen Tragödie erinnert, hier aber vielmehr für einen Verfremdungseffekt im Sinne Bertolt Brechts sorgt: Bevor sich die Zuhörer zu sehr auf die Texte von Hitlers Getreuen einlassen, bevor man sich womöglich noch mit Klagen über die miserable wirtschaftliche Situation in Deutschland identifiziert oder mit der Sehnsucht nach einer starken Hand in unübersichtlicher Zeit – bevor also die Originaltöne aus den 30er Jahren die Oberhand gewinnen, streut der Chor Sand ins Getriebe. Man muss diesen Stimmen misstrauen, man muss sie als Problem sehen.
Aber man kann nicht mehr intervenieren. Was geschehen ist, ist geschehen – auch diese Erkenntnis wird der Chor an sein Publikum los, womit die Inszenierung eine leicht didaktische Note erhält, die vielleicht nicht jedem behagt. In der Konfrontation mit den Zeugnissen aus dem Jahr 1934 aber gehen diese pädagogischen Reflexionen der Nachgeborenen aus dem Jahr 2020 eine geradezu schillernde Wechselwirkung ein. Und dies umso mehr, als es hier nicht mehr ausschließlich um eine Lautsprecherinstallation geht, im Gegenteil: In den zum Teil recht engen Räumen im Keller des Dokumentationszentrums tritt man in eine physische Interaktion mit den Schauspielern, die verschiedene Typen repräsentieren: Die „Amazone“, die schon als Mädchen im Ersten Weltkrieg davon träumte, ein Junge zu sein – nun gibt sie sich der Schwärmerei für Hitler und stramme Nazis hin. Oder der „Jünger“, der es schätzt, schon von den Eltern auf nationalsozialistische Prinzipien wie Rassenreinheit und Körpergesundheit eingeschworen worden zu sein. Oder die Soldatenbraut, die anämisch und mit verdrehten Beinen auf dem Lager liegt und zur Erinnerung an den Liebsten dessen Konterfei auf einem Tabletcomputer vors Gesicht hält.
André Erlen gelingen immer wieder ganz und gar überraschende Szenen, etwa, wenn der Besucher gebeten wird, nach draußen auf die Straße zu schauen: Dort steht in Knickerbockern und mit wollener Kappe inmitten des abendlichen Kölner Verkehrs ein junger Nazi der 30er Jahre und spricht in sein iPhone, das nach drinnen überträgt.
Zupackende Dringlichkeit
Später sitzt einem dieser junge Mann auf einem der Schließfächer gegenüber, in denen die Besucher des Dokumentationszentrums normalerweise ihre Taschen deponieren. Verschwörerisch erzählt er davon, wie er mit Mitgliedern der SPD in der Weimarer Zeit aneinandergeriet, und haben wir ihn nicht dabei erwischt, wie er kumpelhaft ein Auge zudrückte? Es sind diese Momente, die das Gestern und das Heute zusammenzwingen, in denen sich die „Stimmen“ zu einer Inszenierung von zupackender Dringlichkeit aufschwingen: Das, was Theodor Abel einst aus dem deutschen Stimmengewirr der nationalsozialistischen Aufbruchsjahre herausfischte, ist gar nicht so weit entfernt. Es ist vor allem nichts menschlich Fremdes.
„Es gibt wenig so Komisches wie die unbeteiligt-überlegene Ruhe“, so wird einmal Sebastian Haffner zitiert, mit der er der Nazi-Revolution wie von einer Theaterloge aus zusah. Ein Vorgang, „der doch immerhin darauf abzielte, uns aus der Welt zu schaffen“. Wer die „Stimmen“ erlebt, teilt diese Verwunderung. Und will dringend weiterforschen und nach Ursachen fragen. Was will man mehr?