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„Systemsprenger“-Macher aus Köln„Die wichtigsten Emotionen finden im Privaten statt“

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Benni will unbedingt bei ihrer Mutter leben. Das geht aber nicht. „Systemsprenger“ wirft einen kritischen Blick auf das deutsche Erziehungswesen.

  1. „Systemsprenger“ von Regisseurin Nora Fingscheidt eröffnete als einziger Debütfilm den Berlinale-Wettbewerb – und räumte einige Tage später den „Silbernen Bären“ ab. Mittlerweile ist der Film sogar für den Oscar nominiert.
  2. Umgesetzt wurde er von den Kölner Produzenten-Brüdern Jonas und Jakob Weydemann („Weydemann Bros.“), „kineo“ und „Oma Inge Film“.
  3. Im Interview haben Jonas Weydemann und Yvonne Wellie mit uns über „Systemsprenger“, politisches Kino, ihre außergewöhnliche Produktionsfirma und den Filmstandort Köln gesprochen.

Herr Weydemann und Frau Wellie, worum geht es in Ihrem Film „Systemsprenger“?

Jonas Weydemann: Es geht um Benni, ein Mädchen, das Schwierigkeiten hat, zuhause Fuß zu fassen. Sie will unbedingt bei ihrer Mutter wohnen, die allerdings Angst hat vor ihrer Tochter, weil sie jede Struktur und Regel mit riesiger Energie verweigert. Benni kann weder bei ihrer Familie leben, noch kommt sie in einem Heim, einer stationärer Klinikbehandlung oder anderen Erziehungseinrichtungen zurecht. In „Systemsprenger“ begleiten wir Benni auf ihrer Odyssee durch ganz verschiedene Lebenswelten.

Sie sagen von sich, politische und unterhaltsame Filme machen zu wollen. Sollte man Ihren Film auch als kritischen Blick auf das institutionelle Erziehungswesen in Deutschland sehen?

Jonas Weydemann: Unbedingt. Was wir dem Publikum anbieten wollen, ist die Aufbereitung eines politisch und gesellschaftlich relevanten Themas. Debütregisseurin und Autorin Nora Fingscheidt hat sechs Jahre lang an dem Film recherchiert und sich auch in Erziehungseinrichtungen tiefe Einblicke verschafft. Dann allerdings ist der Film ganz klar fiktionalisiert, um den Fokus wirklich auf das Thema zu lenken. Wer „Systemsprenger“ sieht, muss vielleicht an einigen Stellen weinen, darf aber auch lachen. Wir wollen den Zuschauer mitnehmen und kein graues Drama mit erhobenem Zeigefinger erzählen.

Systemsprenger_Filmszene

Helena Zengel als Benni in einer Szene des Debütfilms „Systemsprenger“ von Nora Fingscheidt.

Die mittlerweile 10-jährige Helena Zengel verkörpert mit Bernadette eine komplexe, traumatisierte Figur, die mit Ihrer Lebenswelt in keiner Weise klarkommt – und Lösungen zuerst mit Gewalt sucht. Wie kann man sich die Arbeit mit einer so jungen Darstellerin vorstellen? Wie bereitet man ein Kind auf so eine Rolle vor?

Yvonne Wellie: Am Casting haben bestimmt 150 Kinder teilgenommen. Helena war ganz am Anfang dabei und ist Nora Fingscheidt seitdem nie wieder aus dem Kopf gegangen. Helena ist definitiv nicht Benni, sie schauspielert das – was sie aber mitbringt, ist eine besonders impulsive, aggressive Art, ihre Rolle zu spielen. Gleichzeitig kann sie die kindliche Zerbrechlichkeit ganz besonders zum Ausdruck bringen. Helena war die Grundlage für „Systemsprenger“, alle anderen haben wir um sie herum gecastet.

„Systemsprenger“ ist eine von nur drei deutschen Produktionen im Berlinale-Wettbewerb. Wie kommt man dorthin?

Jonas Weydemann: Wir haben das eigentlich relativ klassisch gemacht. Man reicht den Film zur Deadline ein und kommt in einem frühen Stadium der Produktion in einen Austausch. Irgendwann wurde es dann wahr – bei anderen Filmen, die wir ähnlich angegangen sind, hat es leider nicht geklappt mit einer Teilnahme, „Systemsprenger“ ist unser erster Wettbewerbsfilm – und darüber freuen wir uns sehr.

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Jonas Weydemann (ganz links) ist der jüngere der beiden „Weydemann Bros“ – und steht mit dem besonderen Familien-Drama „Systemsprenger“ erstmals im Berlinale-Wettbewerb.

Hatten Sie zu Produktionsbeginn die Berlinale 2019 schon im Hinterkopf als mögliche Bühne für die Premiere? Kann man so eine Teilnahme überhaupt planen?

Jonas Weydemann: Wir als Produzenten agieren natürlich immer strategisch – und in diesem Fall war die Berlinale sehr früh im Hinterkopf, auch weil Nora Fingscheidt mit dem Projekt schon bei den Berlinale Talents teilgenommen und 2017 den damals neugegründeten „Kompagnon Förderpreis“ gewonnen hat. Dadurch war ein offenes Ohr seitens der Berlinale immer da. Gleichzeitig haben wir uns vom Zeitplan nicht zwangsläufig darauf ausgerichtet, es hätte auch sein können, dass wir noch ein paar Monate länger brauchen. So hat es sich aber perfekt gefügt.

Bis wann haben Sie an dem Film gearbeitet?

Jonas Weydemann: Durchgängig, bis zur Berlinale. Man hört nie ganz auf, am eigenen Film zu feilen. Wir saßen wirklich bis zur letzten Sekunde an der finalen Bearbeitung.

Nun ist „Systemsprenger“ nicht Ihr erster Film. „In the middle of the river“ handelt von Heimkehr und einer besonderen Beziehung zwischen Großvater und Enkel, in „Der Geburtstag“ geht es um einen Kindergeburtstag mit getrennten Eltern und jetzt will die neunjährige „Systemsprengerin“ Benni wieder bei Mama wohnen. Das Thema „Familie“ zieht sich durch Ihre jüngsten Produktionen. Was macht es als filmischen Stoff besonders?

Jonas Weydemann: Das ist ein interessanter Punkt, diese Zusammenfassung haben wir für uns so noch gar nicht gezogen. Aber die wichtigsten menschlichen Emotionen finden eben im Privaten statt. Deswegen ist die Verarbeitung dessen, was Familie für Menschen bedeutet, für uns definitiv spannend.

Yvonne Wellie: Es ist der Blick auf das Kleine, der uns alle betrifft. Beziehungen, Trennungen, Liebe zu den eigenen Eltern – das kennt jeder Zuschauer, über diese Themen können wir also auch gut auf gesellschaftliche Missstände hinweisen.

In vielen Momenten hat „Systemsprenger“ eine Ästhetik, die an Dokumentarfilme erinnert – ein Genre, das Ihnen nicht fremd ist. Für „Als Paul über das Meer kam“, eine Flucht-Doku, die Sie zusammen mit Regisseur Jakob Preuss umgesetzt haben, ist aktuell für den Grimme-Preis nominiert. Soll auch „Systemsprenger“ mit einem dokumentarischen Look punkten?

Jonas Weydemann: Einen dokumentarischen Look soll der Film nicht haben, aber durch Kameraführung und Ton wollen wir durchaus authentische Momente erzeugen. Der Film findet klar im fiktionalen Bereich statt, trotzdem wollen wir den Zuschauer ganz nah an das Geschehen bringen. Das ist ein Spagat, der unserer Regisseurin Nora Fingscheidt toll gelungen ist.

Filmemachen in Köln: „Die Unterstützung ist riesig“

Herr Weydemann, Sie haben 2008 mit Anfang 20 zusammen mit Ihrem Bruder die Produktionsfirma „Weydemann Bros.“ gegründet. Das ist nicht ganz gewöhnlich. Wie kam es dazu?

Jonas Weydemann: Wahrscheinlich muss man ein wenig verrückt sein. Im Grunde ist es aber nicht anders als bei vielen anderen Start-Ups. Ich war noch im Studium, mein Bruder war gerade fertig. Wir haben uns aus dem WG-Wohnzimmer heraus gegründet und gesagt: Wir wollen Filme auf unsere Art machen. Ende 2008 haben wir die ersten Kurz- und Dokumentarfilme gedreht.

Haben Sie Vorbilder? Die Coen-Brüder (u.a. „Fargo“, „The Big Lebowski“ und „No Country for Old Men“) bieten sich ja geradezu an, Ethan und Joel erzählen mit einem kritischen Blick auf die amerikanische Gesellschaft seit Jahrzehnten erfolgreich Geschichten jenseits des Mainstreams…

Jonas Weydemann: Es gibt sehr viele Filme, die uns beeinflusst haben. Ich bin ein Riesenfan der Coen-Brüder. Das war ich schon lange bevor ich überhaupt darüber nachgedacht habe, selber Filme zu machen. Sie unterscheiden sich mit ihrer ganz eigenen Art, filmisch zu erzählen, dann aber doch von uns. Der Firmenname „Weydemann Bros.“ verweist mit einem Augenzwinkern natürlich auf sehr erfolgreiche Brüder-Kombinationen. Damit kokettieren wir schon gerne.

Inwiefern haben Sie mit Ihrer Firma vom Standort Köln profitiert?

Jonas Weydemann: Wir haben 2012 mit großartiger Unterstützung vom Mediengründerzentrum NRW in Köln einen echten Professionalisierungsschritt gemacht, nach unserer Anfangszeit zu zweit wurde aus dem Projekt schnell eine GmbH. Seitdem haben wir uns stetig in kleinen Schritten weiterentwickelt und sind dankbar für das positive Feedback von verschiedenen Seiten. Mittlerweile sind wir mit Yvonne Wellie und Milena Klemke vier Produzent*innen. Außerdem hatten wir von Anfang an Projekte mit einigen Filmemachern von der KHM (Kunsthochschule für Medien), das hat einfach gepasst.

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Benni ist ein „Systemsprenger“ – und findet nirgendwo ein Zuhause.

Mit über 30 Millionen Euro jährlich bietet die Filmstiftung NRW vielen jungen Filmemachern Chancen, Ihre Projekte zu verwirklichen. Wie sehr konnten Sie bisher von der Förderung profitieren?

Jonas Weydemann: Die Unterstützung ist riesig. Man muss die Verantwortlichen mit jedem einzelnen Projekt überzeugen, das ist immer sehr inhaltlich geprägt. Namen zählen da nicht viel. Die Filmstiftung ist ein toller und wichtiger Finanzierungspartner. Sie ist an vielen Projekten beteiligt, weil sehr viel von unserem Firmensitz in Köln heraus entsteht. Bei „Systemsprenger“ hat sich eine Partnerschaft nicht angeboten, weil der Film vor allem in Norddeutschland spielt. Inhaltlich wäre so ein Projekt aber sicher spannend für die Förderung.

Yvonne Wellie: Im letzten Jahr haben wir mit „Zu weit weg“ einen Kinofilm gedreht, bei dem die Filmstiftung ein ganz wichtiger Partner war. Auch wenn die Konkurrenz um die Fördergelder groß ist: Mit guten Ideen und viel Engagement kommt man weit.