Der inhaftierte russische Regimegegner Alexej Nawalny erhält den Günter-Wallraff-Preis. Übergeben wurde er beim Kölner Deutschlandfunk an seine Vertrauten. Ein Interview.
Wallraff-Preis für Alexej NawalnyVertraute nehmen Preis bei Kölner Deutschlandfunk in Empfang
In Empfang nehmen die Auszeichnung Nawalnys Vertrauter Georgy Alburov und sein deutscher Anwalt Nikolaos Gazeas. Ein Gespräch über Pressefreiheit, die Gesundheit Nawalnys und die Zukunft Russlands
Herr Alburov, Sie haben die von Alexej Nawalny gegründeten Anti-Korruptions-Stiftung geleitet, die vor zwei Jahren verboten wurde. Am Internationalen Tag der Pressefreiheit nehmen Sie in Köln den Günter-Wallraff-Preis für Pressefreiheit und Menschenrechte stellvertretend für Ihren inhaftierten Freund Nawalny entgegen. Wie können investigative Journalisten in Russland noch arbeiten?
Georgy Alburov: Mit dem Beginn des Krieges wurde die Arbeit für investigative Journalisten in Russland enorm schwierig. Vladimir Putin hat nicht nur eine Vielzahl von Gesetzen zur Militärzensur erlassen, sondern auch viele zuvor zugänglichen Daten gesperrt. Vorher ließ sich leicht recherchieren, wem ein Unternehmen oder ein Grundstück gehört und wo hochrangige Beamte wohnen. Das ist jetzt unmöglich. Aber von Putin und seinem Netzwerk gewaschenes Geld hinterlässt immer Spuren. Diese Spuren verfolgen wir – und veröffentlichen, was wir erfahren und belegen können.
Wie funktioniert die Arbeit aus dem Exil?
Alburov: Eigentlich hat sich unsere Arbeit nicht dramatisch verändert, seitdem wir Russland verlassen haben. Investigativer Journalismus erfordert keine ständige Präsenz an einem Ort. Wir brauchen das Internet und Quellen – Menschen, mit denen wir über das Internet sprechen.
Welche Möglichkeiten haben der ehemals einflussreiche kremlkritische Fernsehsender „Doschd“ oder die Zeitung „Nowaja Gaseta“, aus dem Ausland?
Alburov: Diese Medien machen Vladimir Putin aus gutem Grund Angst – Millionen von Menschen in Russland sehen und lesen sie. Umso mehr, weil Putin zu Beginn des Krieges gegen die Ukraine viele Zensurgesetze erlassen hat – Medien in Russland dürfen den Krieg nicht als Krieg bezeichnen und nicht über Verluste berichten. Wie viele Soldaten gefallen sind und wie die Menschen in Russland belogen werden, interessiert die Menschen aber natürlich sehr.
Eine große Mehrheit der Russen soll hinter Putin stehen. Ist die Reichweite der unabhängigen Medien aus dem Exil tatsächlich so groß?
Alburov: „Doschd TV“ und die „Nowaja Gaseta“ erreichen jeden Monat einige Millionen Menschen. Generell ist die Nachfrage nach unabhängigem Journalismus in Russland heute größer denn je. Die Menschen sind der Zensur in den staatlichen Medien überdrüssig, sie sind der Lügen überdrüssig, sie wollen denjenigen Journalisten zuhören und sie unterstützen, die sie nicht betrügen.
Liest man die Twitter-Nachrichten von Alexej Nawalny, hat man den Eindruck, dass er willkürlich von einer Einzelhaft zur nächsten verurteilt wird, sich aber nicht unterkriegen lässt. Wie geht es ihm derzeit?
Nikolaos Gazeas: Alexej Nawalny widerfährt seit der ersten Stunde seiner Rückkehr nach Moskau im Januar 2021 Willkür und politische Verfolgung in Reinform. Das Putin-Regime verfolgte, so unser Eindruck, das Ziel, ihn psychisch zu brechen Es hat die Maßnahmen dazu mit der Zeit intensiviert. Nachdem man erkannt hat, dass Nawalny eisern seinen Weg weitergeht, ist man zu Maßnahmen im Gefängnis übergegangen, die ihn zusätzlich physisch krank machen sollen. Hierzu zählt etwa die Verhängung von Isolationshaft – inzwischen über 150 Tage seit August letzten Jahres – verbunden mit Restriktionen selbst in der Frage, wann er sein Bett in seiner Zelle nutzen darf. Die menschenunwürdigen Haftbedingungen sind nach völkerrechtlichen Standards als Folter zu werten.
Haben Sie Hinweise darauf, dass er langsam vergiftet wird, wie zu lesen war?
Gazeas: Objektiv belastbare Nachweise dazu gibt es natürlich, nicht. Indizien für eine gezielte Steuerung seiner Ernährung gibt es hingegen. So darf Nawalny inzwischen nicht – wie andere Inhaftierte – Lebensmittel kaufen, sondern ist allein auf die Gefängniskost angewiesen. Seine Bauchkrämpfe, die zuletzt zu einer Behandlung im Krankenhaus führten, sind ebenso wie sein erheblicher Gewichtsverlust höchst besorgniserregend.
Was können Sie mit einem juristischen Mandat aus Deutschland für Nawalny tun?
Gazeas: Seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine sind die Möglichkeiten leider erheblich eingeschränkt – die diplomatischen Kanäle der westlichen Regierungen nach Russland haben sich seitdem bekanntlich fundamental verändert. Zentral ist nun vor alle Öffentlichkeit. Öffentlichkeit ist eine Art Lebensversicherung für Alexej Nawalny. Auszeichnungen wie der Günter-Wallraff-Preis tragen dazu bei.
Was gibt Ihnen die Hoffnung, dass Ihr Freund Alexej Nawalny und viele andere politisch Verfolgte eines Tages wieder freigelassen werden könnten - und dass sich Russland zu einem demokratischen Land mit einer freien Presse entwickeln wird?
Alburov: Wir alle – Alexej Nawalny, meine Kollegen und ich – sind absolut zuversichtlich, dass Russland eine glückliche, freie und demokratische Zukunft vor sich hat. Wenn wir nicht daran glauben würden, würden wir nicht das tun, was wir tun. Vladimir Putin ist kein unendlicher Fluch, der auf uns allen lastet, sondern nur ein paar schwarze Seiten in der russischen Geschichte. Und wir arbeiten daran, diese Seiten umzudrehen.
Im Januar 2021, nach Nawalnys Verhaftung, gingen die Menschen in Russland zu Tausenden auf die Straße, um zu protestieren. Einige glaubten sogar an einen russischen Frühling. Inzwischen sind die meisten Regimegegner außer Landes, und von Protesten ist nicht mehr viel zu hören. Was müsste geschehen, damit sich im Land eine ernsthafte Opposition gegen Putins Regime bildet?
Alburov: Massenproteste gibt es nicht, weil jeder, der etwas gegen den Krieg oder gegen Putin sagt, riskiert, sofort inhaftiert zu werden. Ein Beispiel: Ein Mann gab auf der Straße ein Video-Interview. Er wurde zum Krieg befragt und sagte, dass er Putins Kriegsverbrechen verurteile. Sie haben ihn wegen seiner Aussagen zu zehn Jahren Gefängnis verurteilen. Sobald Putin den Krieg begonnen hatte, führte er zahlreiche Gesetze ein, die es ermöglichen, Menschen für alles ins Gefängnis zu schicken. Die Leute bekommen sieben, acht, zehn Jahre für ein paar Worte. Jeder Versuch, zu protestieren, führt zu 100 Prozent zu einer hohen Geldstrafe oder zu einer Gefängnisstrafe. Was jetzt mit den Kriegsgegnern in Russland geschieht, kann nur als Terrorismus bezeichnet werden. Die Menschen werden vom Regime Vladimir Putins buchstäblich als Geiseln gehalten. Diejenigen, die es sich leisten konnten, haben das Land verlassen - seit Beginn des Krieges fast eine Million Menschen. Aber die meisten der zig Millionen Kriegsgegner sind in Russland geblieben.
Was hat sich in Ihrem Leben verändert, seit Sie im Exil sind?
Alburov: In Russland haben wir gelebt wie Untergrundrevolutionäre. Wir waren ständig von Durchsuchungen, Verhaftungen und Versuchen, unsere Arbeit zu stören, bedroht. Jetzt komme ich morgens ins Büro, esse zu Mittag, arbeite und gehe abends nach Hause.
Die russischen Geheimdienste haben immer wieder Anschläge auf Regimegegner im Ausland durchgeführt, auch auf Nawalny. Haben Sie Sorge um Ihre Sicherheit?
Alburov: Ich mache mir keine Illusionen. Vladimir Putin hat viel Erfahrung mit der Organisation von Anschlägen auf Menschen im Ausland. Menschen wurden erschossen, vergiftet, entführt, es ist alles Mögliche passiert. Die scheinbare Sicherheit und Normalität des Lebens im Exil ist nur eine Illusion.
Wie können Sie sich – auch wenn Sie zu öffentlichen Veranstaltungen wie der Verleihung de Günter-Wallraff-Preises in Köln gehen – schützen?
Alburov: Darüber kann ich nicht offen sprechen. Denn es gibt Leute, die unsere Aktivitäten genau überwachen und Dossiers zusammenstellen. Sie lesen alles, auch dieses Gespräch.
Kann man davon ausgehen, dass E-Mails und Telefongespräche mit Ihnen abgehört werden und selbst eine Veranstaltung wie eine Preisverleihung vom russischen Geheimdienst registriert wird?
Alburov: Nicht auszuschließen. Eine große Anzahl von Leuten in russischen Spezialdiensten hat mit uns zu tun. Gerade jetzt, wo die Anti-Korruptionsstiftung Anti-Kriegs-Aufrufe an Millionen von Menschen sendet und sich für Sanktionen gegen Putins korrupte Beamte und Militärverbrecher einsetzt, sind wir ein wichtiges Ziel für sie.
Alexej Nawalny ließ sich nach dem Giftanschlag mit einem chemischen Kampfstoff auf ihn in Berlin behandeln, reiste dann aber zurück nach Moskau. Er musste damit rechnen, dort verhaftet zu werden. Womöglich wollte er Putin die Stirn bieten, um nach einem Regimewechsel den Aufstieg an die Spitze der russischen Politik zu schaffen…
Alburov: Putin wollte, dass Alexej im Ausland bleibt. Über das Fernsehen wurde ihm signalisiert, dass er nicht zurückkehren solle, wenige Tage vor seiner Rückkehr wurden neue Strafverfahren gegen ihn eingeleitet, die gesamte Macht der Propaganda wurde aktiviert. Alexej hat immer wieder erklärt, dass er sich nicht als Führer der russischen Opposition im Ausland sieht. Das ist seine Haltung, die wir natürlich respektieren.
Gazeas: Ihm war völlig klar, dass seine Festnahme unmittelbar droht. Natürlich empfiehlt man als Anwalt den sichersten Weg, eine Verhaftung und alles, was daran anknüpft, zu verhindern. Herr Nawalny hat jedoch keine Sekunde daran gezweifelt, dass sein Platz in Russland ist und er in seine Heimat zurückkehren wird. Wäre er im Ausland geblieben, hätte das Putin-Regime ihr Ziel erreicht.
„Putin beging ein Verbrechen gegen die Zukunft Russlands“
Welche Rolle spielt der Fortgang des Krieges gegen die Ukraine für die Zukunft Russlands?
Alburov: Der Krieg hat dramatische Auswirkungen auf die Zukunft unseres Landes. Die Militärpropaganda hat der russischen Gesellschaft immensen Schaden zugefügt und sie viele Jahre lang getäuscht. Viele Familien sind zerstört worden, nur weil ein Teil von ihnen gegen den Krieg ist. Allein der Wiederaufbau von Beziehungen zwischen Russen und Ukrainern wird Jahrzehnte dauern, wenn es überhaupt jemals dazu kommt. Und dann sind da noch die Sanktionen, die Reparationen und der Wiederaufbau der zerstörten russischen Wirtschaft. Als Putin den Krieg begann, beging er ein Verbrechen nicht nur gegen die Ukraine, sondern gegen die Zukunft Russlands.
Georgy Alburov (33), russischer Blogger, Aktivist und Investigativjournalist, leitete bis vor zwei Jahren gemeinsam mit Maria Pevchikh das Investigativbüro der 2011 von Alexej Nawalny gegründeten Anti-Korruptions-Stiftung (FBK). Die Stiftung wurde im Juni 2021 von einem russischen Gericht als extremistisch eingestuft und verboten. Der russische Milliardär Oleg Deripaska reichte Klage gegen Alburov, Nawalny und Pevchikh wegen Enthüllungen über den russischen Außenminister Sergej Lawrow ein. Alburov floh nach dem Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine ins Exil. Er lebt an wechselnden Orten.
Nikolaos Gazeas (41) ist Rechtsanwalt und Strafverteidiger mit einem Schwerpunkt im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht sowie im internationalen Strafrecht. Der Strafverteidiger ist Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln. Gazeas wird immer wieder in Fällen mit politischem Bezug tätig. So vertritt er u.a. die ehemaligen Bundesminister Gerhard Baum und Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in ihrer Strafanzeige beim Generalbundesanwalt gegen russische Verantwortliche wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine. Er ist regelmäßig Sachverständiger im Deutschen Bundestag.
Günter-Wallraff-Preis Am Mittwoch, 3. Mai, Internationaler Tag der Pressefreiheit, nimmt Georgy Alburov bei einem Festakt im Haupthaus des Deutschlandfunks in Köln stellvertretend für Alexej Nawalny den Günter-Wallraff-Preis für Pressefreiheit und Menschenrechte entgegen. Der mit 5000 Euro dotierte Preis wird seit 2015 von der Initiative Nachrichtenaufklärung (INA) verliehen. Zu den früheren Preisträgern gehören Wikileaks-Gründer Julian Assange und der saudische Blogger und Menschenrechtsaktivist Raif Badawi. „Ich finde: Für seinen selbstlosen Einsatz und Opfergang gebührt Alexej Nawalny der Friedensnobelpreis“, sagte der 80-jährige Enthüllungsjournalist Wallraff.