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Die Natur schafft, der Künstler erntetWarum das Museum für Ostasiatische Kunst seltsam geformte Steine zeigt

Lesezeit 3 Minuten
Ein Mann in wallenden Gewändern verbeugt sich vor einem Felsen.

„Mi Fu verbeugt sich vor einem Stein“ ist in der Kölner Ausstellung „Bizarre Schönheiten“ zu sehen.

Das Kölner Museum für Ostasiatische Kunst führt in die Welt der Gelehrtensteine und deren bizarre Schönheiten ein.

Als sich Tao Yuanming aus dem aufreibenden Beamtenleben in die Behaglichkeit des Ruhestands zurückzog, ließ er sich einen Chrysanthemen-Garten anlegen, der eine weitläufige Landschaft im Kleinen war. Es gab einen lichten Wald, sanft geschwungene Hügel und einen Felsbrocken, in dessen Schatten er gerne ruhte und sinnierte. Am liebsten war Tao Yuanming aber der Wein, mit dem er sich betrank und dessen Rausch er auf dem „Stein der Nüchternheit“ auszuschlafen pflegte.

In der Regel wurden diese Gelehrtensteine in Tropfsteinhöhlen, Flüssen oder Seen geerntet

Es mag ein wenig kurios erscheinen, dass die lange Tradition der ostasiatischen Gelehrten- und Literatensteine im alten China ausgerechnet mit einem trinkfreudigem Feierabenddichter begann. Aber Tao Yuanming, der von 365 bis 427 lebte, stand als Beamter lange genug im Dienste skrupelloser Herren, um sein Heil in der Unschuld von Reisschnaps und Naturlyrik zu suchen. Wie stilbildend seine steinerne Bettstatt wurde, lässt sich nur schwer beurteilen. Aber für den zerklüfteten Findling, der auf einer Tuschezeichnung aus der Qing-Dynastie wie ein kleines Gebirge in seinem Garten thront, können sich Gelehrte und Sammler heute immer noch begeistern.

Der Dichter Tao Yuanming liegt auf einem Stein in seinem Garten und lässt sich Wein bringen.

Eine Urszene der Liebe zum Gelehrtenstein: „Tao Yuanming in seinem Garten“

Einige Miniaturgebirge dieser Art sind jetzt unter dem treffenden Ausstellungstitel „Bizarre Schönheiten“ im Kölner Museum für Ostasiatische Kunst (MOK) zu sehen. Über Jahrhunderte hinweg wurden in China und später auch in Japan spektakulär geformte Steine gesammelt, um mit ihnen Gärten und Schreibstuben zu schmücken und über die in ihnen wohnenden Kräfte zu meditieren. In der Regel wurden diese Gelehrtensteine in Tropfsteinhöhlen, Flüssen oder Seen „geerntet“, nachdem die Natur mit Engelsgeduld an ihnen gearbeitet hatte. Sie waren selten und entsprechend begehrt. Wer ihren bizarren Formen von Hand nachhelfen wollte, versündigte sich an ihrem Geist.

Das Hauptstück der Ausstellung ist ein Ying-Stein, der in einer Tropfsteinhöhle geerntet und als natürliches Meisterstück auf ein Podest gestellt wurde. In Miniaturgärten werden derartige Gelehrtensteine gerne mit Bonsais kombiniert, Maler und Dichter ließen sich von ihnen anregen, wenn echte Gebirge zu weit entfernt waren oder den hochgesteckten Erwartungen nicht entsprachen. Bestimmte hochgewachsene Formen des Ying-Steins lassen Kenner Ähnlichkeiten zu Tieren oder Menschen sehen, nicht viel anders als in Wolkenformationen.

Auch in Deutschland gibt es eine Gemeinde von „Suiseki“-Liebhabern

Ergänzt werden diese Stücke durch andere „Formrichtungen“, etwa einen Flussstein mit weichen Konturen oder einen wunderbar durchlöcherten Taihu-Stein. Letzterer ist mittlerweile so selten geworden, dass er nach entsprechender Vorbereitung nur noch zur Veredelung in einen See getaucht wird. Allerdings dauert auch dieses Finish mehrere Jahrzehnte.

Auch in Deutschland gibt es eine kleine Gemeinde von „Suiseki“-Liebhabern, die sich daran erfreuen können, wie das weiche Wasser im Laufe von Jahrtausenden den harten Stein zu nie gesehenen und einmaligen Gebilden formt – die fernöstliche Philosophie des unaufhörlichen Wandels bilden diese „Findlinge“ auf äußerst dekorative Weise ab. Die Kölner Ausstellung geht sogar in Gänze auf ein enthusiastisches Sammlerehepaar zurück: Im vergangenen Jahr schenkten Gudrun und Willi Benz dem MOK eine Steingruppe, weitere Werke gingen an das Berliner Humboldtforum und das Linden-Museum in Stuttgart. Ergänzt wird die Präsentation durch einige Malereien, Bronzen und Porzellanfiguren, in denen der Tradition der durch Erosion geformten Steine gehuldigt wird.

Ein Albumblatt aus dem 19. Jahrhundert gibt einen guten Eindruck von der Popularität des Gelehrtensteins im ostasiatischen Geistesraum. Auf ihm sieht man den Kalligrafen Mi Fu, wie er sich vor einem Felsen verbeugt, eine Geste, die der bizarren Schönheit des Gesteins gilt, aber auch einem „älteren Bruder“ des von seinem Anblick beseelten Spaziergängers. Im Stein entdeckten viele Gelehrte einen ehrwürdigen Charakter, den sie in ihren Mitmenschen offenbar vermissten. Mi Fu starb 1107, die Sehnsucht nach einem steinernen Freund überlebt ihn in der chinesischen Malerei bis auf den heutigen Tag.


„Bizarre Schönheiten – Chinesische Literatensteine der Sammlung Benz“, Museum für Ostasiatische Kunst, Universitätsstr. 100, Köln, Di.-So. 11-17 Uhr, bis 6. Januar 2025