Im November gibt es im Rahmen eines Karnevalsprojektes eine ganze Reihe von brasilianischen Events.
Köln wird brasilianischKarnevalsevent mit Künstlern aus Rio de Janeiro

Der brasilianische Kulturverein Cordao do Boitata kommt nach Köln
Copyright: Sabrine Mesquita
Dass Köln und Rio de Janeiro mindestens entfernt verwandt sind, ist eigentlich kein Geheimnis. Die rheinische Riviera kann es wohl nicht ganz mit der Copacabana aufnehmen, aber die beiden Städte eint der Karneval, die Lebensfreude und eine Partnerschaft, die seit 2011 besteht.
Der letzte Schritt, um Köln ein bisschen brasilianisch zu machen, ist ein gemeinsames Projekt: „kah.na.vˈaw“ bietet eine ganze Reihe von Events, die Karnevalskultur auf seinen spirituellen, sozialen und politischen Einfluss hin befragt. Es gibt eine Klanginstallation, Filmscreenings, Gespräche, Musik, Tanz und eine „Sambópera“ zu Büchners Woyzeck.
Akademie der Künste der Welt mit Projekt zum Karneval
Beteiligt sind neben der Akademie der Künste der Welt einige namhafte brasilianische Akteure. Der Kunstverein Cordão do Boitatá etwa ist seit 27 Jahren mit einer Parade auf Rio de Janeiros Straßen unterwegs und ist als immaterielles Kulturerbe der Stadt anerkannt. Ihr musikalisches Repertoire spielen sie am 18. November im Studio der Akademie der Künste der Welt. Die künstlerische Leitung über das deutsch-brasilianische Karnevalsprojekt liegt bei der Professorin Adriana Schneider Alcure, Mitbegründerin von Cordão do Boitatá, und bei Alex Mello.
Mello schätzt den brasilianischen Karneval wegen seiner Diversität, auch wenn er leider flach vermarktet werde. Als Kind habe er Afrobrasilianer nur in negativ besetzten Rollen gesehen, etwa als Diener oder Kriminelle. Schwarze Politiker gab es nicht, und in der Zeitung kamen Menschen wie er nur im Kontext von Gewalt oder Armut vor. Nicht so im Karneval. „Es war mein erster Kontakt zu Kunst. Es war das erste Mal, dass ich einen schwarzen Körper in der Rolle als Königin oder König gesehen habe.“ Die Sambakönigin, die Mãe de Santo, die als religiöse Anführerin der Candomblé-Religion den Karneval eröffnet und der Meister der Sambaschule waren alle schwarz. „Das sind Vorbilder. Und ohne Vorbilder können wir keine Zukunft aufbauen.“
Karneval als Ausdruck der afrobrasilianischen Kultur
Dass der brasilianische Karneval diese Repräsentationsfunktion erfüllen kann, ist alles andere als selbstverständlich. Die Tradition ist mit den portugiesischen Kolonisatoren eingewandert; die gängigen Tänze waren Polka und Walzer. Erst im 20. Jahrhundert kam Samba auf, und fand als afrobrasilianische Ausdrucksform seinen Eingang in das Fest, da ärmere Communities begannen, sich kreativ an den Umzügen zu beteiligen. „Deshalb gibt es Karneval in einem Kontext, in dem man sonst wenig hat“, sagt Mello. „Die Leute fragen sich: Was können wir? Wir können singen, wir können tanzen und wir können unsere eigene Geschichte erzählen.“ So wurde Karneval eine der wenigen Bühnen für afrobrasilianische Kultur.
Deshalb ist der Straßenkarneval auch politisch. Einerseits wird er von evangelikalen Gruppen stark abgewertet, zumal sich daran auch queere Gruppen beteiligen und das Fest seine spirituellen Wurzeln im Candomblé sucht. Andererseits nutzen die Akteure den Karneval auch, um klare Missstände anzusprechen. Die Sambaschule „Mangueira“ etwa machte nach der Ermordung der Abgeordneten Marielle Franco die Politikerin zu ihrem Thema. „Wir machen Karneval nicht, um zu vergessen, sondern um zu betonen: Wir werden das nicht akzeptieren“, so Mello.
Brasilianische Woyzeck-Adaption in Köln
Alle diese Dimensionen des Karnevals, ob spirituell, kulturell oder sozial, will das Projekt in Köln unter die Lupe nehmen. Ein besonderes Highlight dürfte dabei die „Sambópera“ Woy sein, die Büchners Drama Woyzeck karnevalisiert. Bei der Planung für „kah.na.vˈaw“ sei Mello schnell auf die Idee gekommen, das Stück in das Projekt einzubinden. „Mit Woyzeck sehen wir im deutschen Theater zum ersten Mal eine marginalisierte Person in der Hauptrolle.“ Er fasst „Woy“ zusammen als einen Dialog zwischen deutscher Literatur und brasilianischen Trommeln.
Er habe sich auch gefragt, wer Woyzeck wohl heute wäre. Im Stück ist seine Figur in vier Rollen aufgeteilt, alle schwarz, mit dabei auch eine Transfrau und ein Transmann. Und das gespielt im Rautenstrauch-Joest-Museum, dessen Ursprung in der Kolonialgeschichte liegt. Eine Provokation? „Wir gehen da hin und erzählen unsere Geschichte. Es ist schon provokativ, dass wir da sind. Aber da ist auch die Provokation, Protagonist zu sein. Die Provokation, einen Film zu machen. Zu leben ist eine Provokation.“
Zur Veranstaltung
kah.na.vˈaw zeigt vom 30.09. bis zum 15.12. eine Reihe von Events, die den Karneval auf seine spirituellen, politischen und sozialen Einfluss hin untersuchen. In diesem Zeitraum kann man eine Soundinstallation im ADKDW Studio besuchen. Es gibt Musik- und Tanzevents, Diskussionsrunden, Filmscreenings und am 25.11. die Uraufführung der Sambópera „Woy“ im Rautenstrauch-Joest-Museum. Das ganze Programm gibt es hier.
Zur Person
Alex Mello, geboren 1985 in Duque de Caxias, Rio de Janeiro, ist ein brasilianischer Filmemacher, Schauspieler und Autor. Er wirkte als Gasttänzer an der Produktion „Love and other Demons“ in der Oper Köln mit. Zudem entwickelt mit dem Allerweltshaus Köln e.V. Workshops gegen Diskriminierung und produziert in Köln das Filmfestival Cinebrasil. Er lebt zurzeit in Bonn.

Der brasilianische Filmemacher und Autor Alex Mello
Copyright: Alex Mello/Kai Joachim