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Kölner Autorin Paula IrmschlerEin unterhaltsamer Roman über (fast) alles

Lesezeit 6 Minuten
Paula Irmschler im Kölner Stadtgarten.

Paula Irmschler im Kölner Stadtgarten.

Nach ihrem Bestseller-Debüt hat Paula Irmschler nun einen ebenso schlauen wie humorvollen Generationenroman geschrieben.

Man soll Autorinnen und ihre Figuren ja nicht in einen Topf werfen – aber diese Karla scheint tatsächlich ein Alter Ego ihrer Erfinderin Paula Irmschler zu sein: Um die 30, aus Ostdeutschland, lebt in Köln … „Ich werde jetzt ständig darauf angesprochen: Auf meine Partnerschaft, die es so gar nicht gibt. Auf meinen Kinderwunsch, auf meine Mutter“, erzählt die Autorin halb genervt und halb belustigt. Und betont: „Nein, Leute, mit dieser Karla habe ich sehr, sehr wenig zu tun!“

Das ist wahrscheinlich auch besser so, denn Karla fühlt sich nicht wohl in ihrer Haut, ist beladen mit Komplexen, Ticks und Zwängen: „Sie ist ein unzugänglicher Millennial, obendrauf ist sie noch, wie sie ist, und dann steckt leider auch noch immer ein unaufgeschlossener Ossi in ihr“, schreibt Paula Irmschler in ihrem Roman „Alles immer wegen damals“.

Nach dem Bestseller-Erfolg mit ihrem Debüt „Superbusen“ über eine ostdeutsche Studentinnen-Band hat sie jetzt eine Familiengeschichte geschrieben, genauer: Eine Mutter-Tochter-Geschichte. Aber „Alles immer wegen damals“ ist noch viel mehr als das - ein unterhaltsamer Roman über (fast) alles: Ein Ost-West-Roman, ein Roman über die deutsche Klassengesellschaft, ein Roman über Frauenrollen und letztlich auch ein Coming-of-age-Roman, obwohl Karla mit 30 dafür eigentlich ziemlich hinterherhängt.

Inhaltlich ist „Alles immer wegen damals“ also ein Schwergewicht, aber Paula Irmschler schreibt das alles mit größter Leichtigkeit und entspanntem Humor. Das Beste daran: Hier wird nichts dramatisch aufgelöst oder psychologisierend erklärt - alles ist einfach so, wie das Leben eben ist. „Eigentlich stolpern die da so rum“, sagt die Autorin über ihre Figuren.

Wer Karla mit der Autorin verwechselt, liegt zwar falsch – anders ist es bei Gerda, der Mutterfigur im Buch. Denn für die war Paula Irmschlers Mutter tatsächlich die Inspiration. „Ich wollte schon immer mal ein Buch über eine Person schreiben, die ist wie meine Mutter.“ Alleinerziehend, im Osten aufgewachsen, Lehrerin, mehrere Kinder, auch das Alter ist ähnlich. Trotzdem ist Gerda beim Schreiben dann doch wieder ziemlich anders geworden als das reale Vorbild.

Durch und durch pragmatisch und zupackend ist diese Frau – im Gegensatz zu ihrer jüngsten Tochter Karla, die sensibel, ängstlich und orientierungslos durch ihr Leben mäandert. Während Karla von einem gemeinsamen Kind mit ihrer Freundin träumt, ist ihre Mutter das Thema Familienplanung ganz nüchtern angegangen: „Was ist das eigentlich, ein Kinderwunsch? Ich weiß gar nicht, ob ich je einen hatte. Man hat es halt so gemacht. Wenn es gepasst hat, hat man es behalten, wenn nicht, hat man es wegmachen lassen. Es ist uns mehr so passiert.“

Sind ostdeutsche Frauen pragmatischer?

„Voll ostdeutsch, findet Gerdas Nachbarin dieses lockere Verhältnis von Gerda zu ihren Kindern“ – eigentlich meint sie aber „kühl“. Paula Irmschler sieht das etwas differenzierter: „Dieser Pragmatismus, dieses Anpackerding – das ist definitiv ein ostdeutsches Ding, aber noch mehr ein Klassending.“ Und natürlich habe es auch damit zu tun, dass viel mehr Frauen gearbeitet haben in der DDR als im Westen.

Apropos Klasse – das soziale Milieu ist ein Thema, das Paula Irmschler sehr wichtig ist. Deswegen möchte sie auch, „dass die Lebensrealität meiner Leute abgebildet wird“. Karlas Freundin Natalie wird zum Beispiel finanziell von ihren Eltern unterstützt und schickt gerne mal Lieferdienste durch die ganze Stadt, einfach weil sie keine Lust hat, kurz Einkaufen zu gehen. Karla lebt hingegen ständig am Existenzminimum – ein Zustand, den auch Paula Irmschler kennt. „Natalie nennt ihre Umstände Abhängigkeit und Karla nennt sie Sicherheit, beide tauschen diesen Du-wirst-mich-nie-verstehen Blick aus (...).“

Es ist mir wichtig, dass die Lebensrealität meiner Leute abgebildet wird
Paula Irmschler

Männer tauchen in diesem Roman übrigens höchstens als Randfiguren auf – auch etwas, das Paula Irmschler aus ihrer Lebenswelt kennt. In ihrer Kindheit gab es „wirklich viele alleinerziehende Mütter. Sowohl in der Generation meiner Eltern als auch in meiner.“

Selbst für die Kinder, die um die Wendezeit herum in Ostdeutschland geboren wurden, ist die DDR mehr Mythos als Realität. Im Roman will Karlas Schwester Mascha mehr von damals wissen, aber Gerda kann ihr nicht die Klischee-Geschichten erzählen, „die sie vermutlich hören will: Trabbi, Warteschlange, Kohleschleppen, Pioniersein, heimlich Rolling Stones hören, wie konnte das eigentlich mit der AfD passieren und so weiter.“

Der Grund, warum Gerda so etwas nicht erzählen kann: Sie hat die DDR ganz anders erlebt: „Das Leben von damals befinde sich nun in den Museen und Dokus, aber nirgendwo sieht Gerda ihres. Vieles war eigentlich so unspektakulär, findet sie.“ Auch wenn Paula Irmschler das nie so platt ausbuchstabieren würde – es ist wohl auch der Zusammenbruch der DDR, der zwischen Mutter Gerda und ihrer jüngsten Tochter Karla steht.

Der Zusammenbruch der DDR steht zwischen den Generationen

Die Verständigung zwischen Generationen ist ohnehin nicht leicht – das wissen auch die von der Gen Z gescholtenen westdeutschen Boomer. Aber für Eltern und Kinder aus dem Osten Deutschlands steht eben auch noch ein politischer Systemwechsel zwischen ihnen. Weswegen es viele Unsicherheiten, Ungeklärtes, Unverständnis gibt, sagt Paula Irmschler: „Weil wir einfach die DDR nicht kennen. Wenn uns unsere Eltern davon erzählen, können wir es nicht nachprüfen. Wir können nicht in das Land fahren, das existiert einfach nicht mehr. Und dass es nicht mehr existiert, macht viel mit unseren Eltern.“

Alle seien nach der Wende nur noch auf den Westen fixiert gewesen – selbst die eigenen Kinder. „Der Osten war einfach uncool. Und da liegt natürlich ein Schmerz für die Eltern drin, wenn es nicht mal die eigenen Kinder interessiert, was man damals gemacht hat. Dieses Entwertungserlebnis steckt tief drin.“

Bei all diesen bedeutungsschweren Themen darf man nicht vergessen: Paula Irmschler ist quasi hauptberuflich lustig, war Redakteurin bei der Satirezeitschrift „Titanic“ und ist Autorin beim „ZDF Magazin Royale“. Und so gewinnt man beim Lesen dieses Romans nicht nur viele Erkenntnisse über Ost und West, Arm und Reich, Frau und Mann – sondern wird dabei auch noch bestens unterhalten mit Sätzen wie diesem: „Für sich etwas tun heißt bei Frauen, dass sie etwas für die sogenannte Schönheit machen, also etwas gegen ihren Körper.“


Paula Irmschler, 1989 in Dresden geboren, zog 2010 für ihr Studium nach Chemnitz. Nach fünf mehr oder weniger erfolgreichen Jahren ging sie nach Köln und schrieb u. a. für „Jungle World“, Missy Magazine“ und Musikexpress“. Sie war Redakteurin bei „Titanic“ und ist Autorin für Jan Böhmermanns ZDF Magazin Royale. Ihr Debüt „Superbusen“ war ein Spiegelbestseller und wurde für die Bühne adaptiert.

"Alles immer wegen damals", dtv, 320 Seiten, 24 Euro.