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Kölner Autorin über Graffiti„Privates Eigentum beginnt erst hinter der Hausfassade“

Lesezeit 5 Minuten
Menschen gehen auf einer Straße, an eine Häuserwand wurde zweimal „1 UP“ gesprüht.

Graffiti von 1UP. Die Kölner Autorin Larissa Kikol begleitete die Gruppe für ihr Buch „Signed“.

Larissa Kikol hat für ihr Buch „Signed“ mehrere Größen der illegalen Graffitiszene begleitet und bietet seltene Einblicke in eine Subkultur.

Frau Kikol, Sie haben für ihr Buch „Signed“ Gruppen wie 1UP und Moses & Taps begleitet, die illegale Graffiti sprayen. Was hat Sie daran mehr gereizt: die Kunst oder der Lebensstil?

Beides lässt sich kaum voneinander trennen, weil die Kunst den Lebensstil vorgibt. Mich interessierte vor allem, was jemand für seine Kunst zu tun bereit ist, welche Risiken er für sie eingeht und worauf er für sie verzichtet. Wer illegale Graffiti macht, begibt sich in Gefahr und bleibt anonym. Von diesen Künstlern gibt es keine Porträts, keine Star-Auftritte. Das Aussehen spielt keine Rolle. An der Kunst interessierte mich neben dem fertigen Bild der performative Aspekt. Sprayen verbindet Elemente von Konzept- und Performance-Kunst, es ähnelt einem Bühnenstück, das niemand sieht.

Was passiert, wenn eine Sprayer-Crew unterwegs ist, etwa um einen im Depot geparkten S-Bahn-Wagen zu bemalen?

Zunächst wird lange geplant, oft im eigenen Wohnzimmer, und auch lange beobachtet. Man sitzt auf irgendwelchen Dächern oder vor Bahngleisen herum, um den „Tatort“ zu erkunden. Dafür braucht es viel Geduld und eine geradezu meditative Aufmerksamkeit. Danach werden innerhalb der Crew die Aufgaben verteilt. Die Aktion selbst kann dann eine halbe oder sogar eine ganze Nacht dauern, wobei das Malen meist viel schneller geht und vielleicht schon in 20 Minuten erledigt ist. Aber vorher muss man an den Ort kommen, dort möglicherweise noch mal warten, und manchmal geht man auch unverrichteter Dinge wieder nach Hause. Das Malen selbst ist wie eine Katharsis, bei der sich eine vorher aufgebaute Spannung entlädt.

Bei vielen Graffiti, etwa an Autobahnbrücken, denkt man sich: Das müssen Fassadenkletterer gewesen sein. Wie gefährlich ist diese Kunst?

Wer das über längere Zeit macht, hält sich in Form. Geht Joggen und trainiert in Kletterhallen. Eine Figur aus meinem Buch ist Dachdecker und hat schon beruflich mit solchen Klettereien zu tun. Das sind Profis in dem, was sie tun.

Mehrere vermummte Menschen sprühen Farbe auf einen U-Bahn-Waggon.

1UP bemalen eine U-Bahn

Sie beschreiben in ihrem Buch, wie sie an Hausfassaden oder anderen urbanen „Leinwänden“ Reiserouten und die künstlerischen Biografien von Graffiti-Sprayer nachvollziehen können.

Mittlerweile wird dies schon von Werbeagenturen ausgenutzt, die ihre Werbung an durch Graffiti überhaupt erst sichtbar gemachten oder herausgehobenen Orten platzieren. Die laufen den Sprayern regelrecht hinterher. Man kann an den Graffiti-Sprüchen auch sehr gut ablesen, was gerade in der Stadt passiert, welche sozialen Probleme es gibt und welche politischen Themen dominieren. Hier steht der Zeitgeist buchstäblich an der Wand - oder die Stilwechsel in der Graffiti-Kunst. Ich habe als Kunsthistorikerin über die Straßenszenen Ernst Ludwig Kirchners gearbeitet und bin über die schnell hingemalten Schriftzeichen im Straßenbild zu Graffiti gekommen. Und nicht zuletzt zeigt sich an Graffiti, um welche Räume in der Stadt gerade gekämpft werden.

Ist das ein Leitmotiv von Straßenkunst?

Es geht bei Graffiti immer auch darum, den Reichen und Mächtigen die Stadt nicht kampflos zu überlassen – selbst wenn die Sprüche nicht dezidiert politisch sind. Privates Eigentum beginnt nicht mit der Hausfassade, sondern erst dahinter. Gerade in gentrifizierten Gegenden könnten mit Graffiti die vertriebenen Sub- und Jugendkulturen zurückkehren. Die Städte müssen das zulassen, sonst sind viele Innenstadtviertel bald tot, wie man das etwa in Paris schon sehen kann.

Es geht bei Graffiti immer auch darum, den Reichen und Mächtigen die Stadt nicht kampflos zu überlassen
Larissa Kikol

Oft werden Bahnen und Stadtbahnen bemalt. Die gehören doch schon der Allgemeinheit. Ist das nicht auch eine Privatisierung öffentlicher Güter?

Ich habe die Sprayer gefragt: Warum bemalt ihr Züge? Eine Antwort war: Das ist ein Urinstinkt wie die Jagd auf Mammuts, nur dass dabei keine Tiere getötet werden. Wenn die bemalten Züge rollen, erhöht das zudem die Sichtbarkeit der Werke ungemein. So fing Graffiti an in New York.

Graffitis sind Übermalungen, denn selbst die langweiligste Mauer ist gestaltet. Gibt es unter den Sprayern dafür ein Bewusstsein?

Bei der Street-Art geht es oft darum, das Stadtbild zu verschönern und den Anwohnern etwas Gutes zu tun. In Berlin steigt das Stadtmarketing mittlerweile darauf ein, und in Kreuzberg sind in Häusern die Mieten gestiegen, weil man von dort einen schönen Blick auf ein prominentes Wandbild hatte. Der Künstler Blu hat das Bild daraufhin übermalt, weil er nicht die Geschäfte der falschen Seite unterstützen will. Seitdem diskutiert die Szene, ob man nur noch hässliche Graffiti machen sollte.

Köln kommt in ihrem Buch kaum vor. Ist die hiesige Szene zu uninteressant?

Die Kölner Szene ist sehr aktiv und auch in Bergisch Gladbach, meiner Heimatstadt, ist einiges los. Ich fand es gerade reizvoll, in meinem Buch große Graffiti-Metropolen wie Berlin oder Hamburg mit einer Kleinstadt zu vergleichen.

Worauf sollten wir in Köln und Bergisch Gladbach vor allem achten?

In Bergisch Gladbach sind die Tags von Lion sehr weit verbreitet. In Köln braucht man sich nur an die Bahnhöfe stellen und die Züge beobachten. Und wenn man einen bemalten Zug sieht, der einem gefällt – in jedem Fall einsteigen.


Larissa Kikol, geboren 1986, ist freie Kunstkritikerin und schreibt unter anderem für „Monopol“ und „Kunstforum International“. Sie wuchs in Bergisch Gladbach auf und lebt heute in Köln und Marseille.

Larissa Kikol: „Signed - Unterwegs mit der 1UP-Crew und Moses & Taps“, DVC Books, 328 Seiten, 18 Euro