Mit „Azzurro“ gelang Eric Pfeil ein Bestseller über italienische Musik, jetzt veröffentlicht er mit „Ciao Amore, ciao“ ein neues Buch. Ein Gespräch.
Kölner Bestsellerautor Eric Pfeil„Italien ist bereits Anfang der 80er den Bach heruntergegangen“
Eric Pfeil, vor zwei Jahren versprach ihr Buch „Azzurro“ dem Leser eine Reise „mit 100 Songs durch Italien“, jetzt erscheint mit „Ciao Amore, ciao“ bereits der Nachfolger. Daraus schließe ich, dass „Azzurro“ ein großer Erfolg war?
Eric Pfeil: Das war wohl so. Überraschend für mich, aber auch für KiWi. Ich hatte einen Vertrag über ein völlig anderes Buch, aber kam nicht zu Potte. Dann kam der erste Lockdown und ich hörte, dass der Orchesterleiter von Adriano Celentano, Detto Mariano, an Covid verstorben war. Da dachte ich mir, ach du Scheiße, jetzt geht diese Leichtigkeitskultur den Bach runter, die ich so liebe. Ich schrieb auch darüber, zuerst auf Facebook, und ein Typ schlug vor, dann schreib doch darüber ein Buch! Und ich dachte mir: Das kann doch nicht wahr sein! Und du Depp bist wieder nicht darauf gekommen!
Und Kiepenheuer & Witsch waren sofort begeistert?
Nein, die waren erstmal kritisch. Italienbücher sind wie Italien selbst ein Klischee. Es gibt auch ganz fürchterliche, mit denen zusammen mein Band in den Buchhandlungen jetzt auf einem Tisch arrangiert wird, die ganze Spannbreite von Pasolini-Wiederveröffentlichungen bis zu Töpfern im Piemont. Also weder der Verlag noch ich erwarteten sich etwas davon. Aber es gab vor zwei Jahren kurz ein kleines Aufwärts nach Corona. Die Leute dachten sich: Leichtigkeit, her damit! An meinem schreiberischen Genie lag es sicher nicht.
Wie treten Sie dem Vorurteil entgegen, dass „Ciao Amore, ciao“ nur die B-Seite des ersten Buches ist?
Sergio Leone hat erst „Für eine Handvoll Dollar“, dann „Für ein paar Dollar mehr“ und dann „The Good, the Bad, and the Ugly“ gemacht. Und die Filme wurden immer besser. Das ist meine zurechtgelegte Antwort.
Und die nicht zurechtgelegte?
Im ersten Buch musste ich erst einmal grundsätzlich erklären, warum diese Musik überhaupt so eine Schönheit hat. Das neue ist das melancholischere, vielleicht auch das ernüchterndere Buch. Ich wollte anhand von Songs bestimmte italienische Phänomene erzählen: die Bar, das Essen, das Fernsehen, der Berlusconismo. Auch der Faschismus und der Neo-Faschismus. Seit Meloni an der Regierung ist, fragen mich viele Leute, ob man da jetzt überhaupt noch hinfahren könne.
Und, kann man?
Meines Erachtens ist Italien bereits Anfang der 80er den Bach heruntergegangen, kurz nach der Ermordung von Aldo Moro. Der Untergang der Linken, der Aufstieg des Privatfernsehens, überhaupt der Berlusconismo, der ja auch im Buch vorkommt. Außerdem fand ich, dass im ersten Buch die Frauen zu kurz gekommen sind. Ich zitiere die tolldreiste Behauptung, dass die Sängerin und TV-Moderatorin Raffaella Carrà quasi im Alleingang die italienische Frau aus dem Gefängnis des Patriarchats befreit hat. Das ist das Schöne an der italienischen Kultur, dass an den wirklich schweren Themen mit Leichtigkeit gerüttelt wird. So wie Celentano der Erste war, der mit „Il ragazzo della via Gluck“ den großen Umweltsong sang. Die italienischen Sängerinnen machen so etwas am laufenden Band. Etwa Loredana Bertè, in dem sie ein Weiblichkeitsbild in den Raum stellte, dass damals überhaupt nicht gang und gäbe war. Oder Caterina Caselli, die „Nessuno mi può giudicare“, „Niemand darf mich verurteilen“, gesungen hat. Ein Lied, dass sie für Celentano geschrieben hat, das aber dadurch, dass sie es gesungen hat, zur Hymne weiblicher Selbstvergewisserung wurde.
Zu Berlusconi äußern Sie sich im Buch überraschend differenziert …
Es wäre einfach gewesen, noch einmal alle Berlusconi-Gags herunterzuschreiben. Aber das ist alles so hässlich, das wollte ich gar nicht erzählen. Wecke Deutsche um drei Uhr nachts und frage, was ihnen zu Berlusconi einfällt? Die sagen alle „bunga bunga“. Aber was hat Berlusconi für die Italiener ausgemacht? Warum diese Ambivalenz? Warum wird so jemandem trotzdem Respekt entgegengebracht? Adriano Celentano hat dazu gesagt: „Er hat uns im Ausland in unserer Vollumfänglichkeit dargestellt, in unserem Schlimmsten, in unserem Faszinierendsten.“ So ist zum Crucco, zum hässlichen Deutschen, nun auch der hässliche Italiener gekommen.
Das haben wir uns aber nicht gewünscht!
Nein, und der Berlusconismo hat bis Stand heute mehr Schaden angerichtet als Giorgia Meloni. Die ist plakativer, es ist schlimm, wie sie gerade im Medienbetrieb wütet, wie bei der RAI Journalisten zensiert oder entlassen werden. Aber der Berlusconismo, der hat alles auf perfide Weise ausgehöhlt, hat eine ganze Kultur beerdigt. Und an ihrer Stelle diese Kultur der Verächtlichmachung von Homosexualität, von Frauen, von Leuten, die ein bisschen differenzierter denken wollen, wie ein Gift einfließen lassen.
Mit „Azzurro“ haben Sie etliche Lesungen bestritten. Wie hat das Publikum reagiert?
Es gab Leute auf Lesungen, die mir strahlend entgegensprangen und sagten: Endlich! Ich bin auch mit dieser Musik groß geworden. Vielleicht so halb schuld behaftet. Und jetzt kommt einer, der das erklärt und der italienischen Musik auch diesen Malus nimmt, dass das alles nur Quatsch wäre. Es gab aber auch Leute, die sagten: Ich hatte immer so ein Ding mit Italien, aber das mit der Musik war mir nicht so bewusst. Wenn ich Musik mache, habe ich ein sehr homogenes Publikum. Zu den Lesungen kamen völlig verschiedene Leute: Toskana-Fraktionäre, Leute, die Schlemmerreisen durchs Land machten, polyglotte Gräberreisende.
Auch Leute, denen bestimmte Musikstücke fehlten?
Ja, ich hatte oft Leute, die mit vorwurfsvollem Gestus sagten: Also eines hat mich doch gewundert. Ganz oft wurde dann Zucchero genannt, den habe ich diesmal aber drin.
Warum nicht gleich?
Weil das jemand ist, den ich sehr stark nicht mag. Ich finde noch nicht einmal, dass der so etwas sonderlich Italienisches verkörpert. Zum Glück fand ich dieses Lied, wo er noch nicht dieser kettenbehangene Hutträger ist, der alle Typen der internationalen Bluesrockszene kennt, als wäre das etwas zum Angeben.
Wer hat denn Ihre Liebe zur musica leggera geweckt?
Die italienischen Hits in den deutschen Charts, als ich so elf, zwölf war. Ricchi e Poveri, Umberto Tozzi, klar, auch Al Bano und Romina Power. Das waren meine Initiations-Sakramente, verbunden mit den Italienurlauben mit meinen Eltern. Die Interpreten waren seifig, aber sie sahen faszinierend aus. Diese schöne Romina Power und Alice, in die ich verliebt war. So ein Frauentyp, den man ganz toll findet, mit dem man aber auch keinen Ärger will. Das war schon was anderes als Kim Wilde.
Das ist aber auch Musik, aus der man schnell wieder herauswächst …
Ricchi e Poveri würde ich immer noch jederzeit verteidigen, als eine charmante, simple, lebensfrohe, dem Menschen zugewandte Musik, die auch eine Würde hat. Dasselbe gilt für Al Bano. Der ist natürlich eine Steilvorlage für viele Witze. Der kleine Mann mit dem riesigen weißen Hut und dem genauso großen Ego. Würde ich ihn treffen, wäre ich trotzdem tief berührt: ein Mann aus einfachsten Verhältnissen in Apulien, der eine große Karriere geschafft und eine wahnsinnige Stimme hat, mit der er heute noch jede Bühne in Italien kaputt singt.
Und Celentano?
Der hat mich als Typ noch tiefer gekriegt. Wie kann so eine Figur ein Riesenstar sein? Der war auf einer ganz banalen Ebene lustig, mit dieser Körperkomik. Aber er hatte auch Sexappeal, auch wenn man das als Junge damals nicht kapiert hat, er ist ja kein Marcello Mastroianni. In den 90ern hatten wir eine Band, mit der wir hier in Köln sehr unerfolgreich waren. Unser Bassist war Riesen-Celentano-Fan. Wir wollten unbedingt Celentano mit der damals angesagten Indieband Pavement verknüpfen. Das hat überhaupt nicht funktioniert, aber so bin ich da reingekommen. Außerdem gab es die Verbindung mit dem Kino. Celentano hat ja auch zwei, drei ernstere Filme gemacht und bei Dario Argento gespielt. Wenn man mal seinen eigenen Film „Yuppi du“ sieht, fragt man sich, ist das eine Zote oder Fellini für Fußgänger? Er weiß es sichtlich selbst nicht. Und genau das gibt dem Film so eine Unschuld und auch etwas Visionäres. Das ist eine untergegangene Welt, der ich immer noch nachhänge, das wilde italienische Kino, das in den 80ern beerdigt wurde. Diese Gleichzeitigkeit von Erhabenem und Frivolem ist aber immer noch typisch für die italienische Kultur.
Standen die Songs, deren Geschichte Sie jetzt erzählen, schon auf der Warteliste, oder sind auch eigene Neuentdeckungen darunter?
Sowohl als auch. Aber ich wollte keinesfalls so etwas präsentieren wie die 100 besten Songs für Vinylsammler. Es sind trotzdem einige der besten Lieder dabei, also Lucio Battisti, der ist für mich der heilige Gral der Musik. Aber das gilt aber auch für viele andere, für Mina und Morricone, für Rino Gaetano, für viele Sachen von Paolo Conte, das gilt bei den neueren Sachen für Madame. Aber die Grundfrage war: Was ist ein Lied, anhand dessen ich etwas über Italien erzählen kann? Wohin trägt mich dieses Lied? Das wäre zum Beispiel dieser tolle Song von Gino Paoli, „Quattro amici al bar“. Leicht und zugleich profunde Musik. In seinem Lied „Sapore di Sale“ singt Paoli über den Geschmack des Meers und begeht daraufhin einen Selbstmordversuch, den er aber überlebt, weil die Kugel im Herzen steckenbleibt. Das war 1963, inzwischen geht er auf die 90 zu, tritt aber immer noch in San Remo auf. Und dann trägt dich dieser Typ mit einem Song in eine Bar, in der sich immer wieder vier Freunde treffen, aus deren Ideologie im Laufe der Jahre eine Haltung und aus deren Haltung ein sich irgendwie Durchschummeln wird, bis zur totalen Desillusionierung.
Sehen Sie in der aktuellen italienischen Musik eine Kontinuität zur musica leggera?
Es gab eine goldene Ära der italienischen Musik, so wie beim Film. Die 60er waren die Hochzeit der musica leggera, die 70er die der Cantautori. In den 80ern kam das auf, was man bei uns Italo-Pop nennt. Ich fand die 90er sehr schwierig, weil das eine Zeit war, in der man in Italien den eigenen Stärken nicht mehr vertraut hat und stattdessen so eine Eros-Ramazzotti-mäßige italianisierte Popmusik gemacht hat. Heute geht es wieder voll aufs große Erbe zurück. Da verbindet etwa eine Künstlerin wie die 22-jährige Madame einen flirrenden Trap-Sound mit schwerblütigem musica-leggera-Gestus. Oder man hört beim Sänger Calcutta, der eigentlich so ein Emotyp ist, den italienischen Pop der späten 70er und frühen 80er raus. Diese neuen Künstler sind heute alle beim San-Remo-Festival vertreten, die Tradition wird also weitergesponnen.
Wie gut ist eigentlich Ihr Italienisch?
Ich habe in den 90ern angefangen, Italienisch zu lernen, weil ich Celentano verstehen wollte und weil ich italienische Filme im Original gucken wollte. Zwischendurch hatte ich aufgehört und dann mit meiner Frau wieder angefangen. Die hat mich inzwischen überholt. Dafür ist unser Italienischlehrer fast so etwas wie ein Consigliere für uns geworden, ein Berater der Familie.
Aber Sie verstehen die Feinheiten in den Texten der italienischen Singer-Songwriter?
Manchmal stolpere ich über diese spezifisch italienische Poetik und denke: Singt der das wirklich? Wenn zum Beispiel Lucio Dalla singt „Das Zimmer ist voller Mücken, groß wie Elefanten, aber wenigstens können Elefanten nicht fliegen“, dann denke ich mir: Schreiben die wirklich so verrückte Sachen? Als in den frühen 80ern die italienischen Cantautori hierzulande veröffentlicht wurden, haben die Plattenfirmen den Platten deutsche Textblätter beigelegt. Mit denen auf dem Schoß habe ich früher, als mein Italienisch noch nicht so gut war, selbst versucht, Songs zu schreiben. Jetzt klau doch mal bei diesen verrückten Paolo-Conte-Übersetzungen habe ich mir gedacht. Solche Zeilen wie „Ich wünsche dir die Intelligenz der Elektriker, dann hast du wenigstens immer Licht“, das ist doch toll!
Zum Schluss die Masterfrage: Warum ist denn die italienische Musik so schön?
Da kommt viel zusammen. Die Sprache hat dank ihres Vokalreichtums diese wahnsinnige Singbarkeit. Italien ist ein Liederland, es gab die Oper, die canzone napoletana. Und dann eben die Texte. Allein, was für ein faszinierendes Lied „Azzurro“ ist. Der Sänger sitzt allein in der heißen Stadt und die Metapher dafür ist „Ich habe nicht mal einen Priester für ein Schwätzchen“. Das ist Italien in einer Nussschale. Traurig, melancholisch, aber auch nonchalant, leicht.
Eric Pfeils neues Buch „Ciao Amore, ciao“ ist bei KiWi erschienen, 368 Seiten, 14 Euro
Seine neue Single „San Remo“ wurde bei Trikont/Indigo veröffentlicht
Am 16. Mai liest Eric Pfeil in den Kölner Clouth-Werken aus „Ciao Amore, ciao“, Eintritt 18 Euro