Hazel Brugger„Für die Mütter heute ist das eine große Klatsche ins Gesicht“
- Hazel Brugger ist Stand Up Comedian und Moderatorin. Sie lebt und arbeitet in Zürich und Köln.
- Im ausführlichen Interview spricht sie sehr ehrlich über ihre herausfordernde Erfahrung, Mutter geworden zu sein und das Gefühl, nicht die Wahrheit gesagt bekommen zu haben.
- „Wie es ist, Mutter zu sein – darüber wusste ich so wenig, wie über das Präparieren von Leichen.“
Köln – Frau Brugger, im vergangenen Jahr sind Sie Mutter einer Tochter geworden und haben trotzdem erstmal versucht, so weiterzumachen wie vorher: Touren mit Ihrem Bühnenprogramm, Podcasts, YouTube-Videos. Bis es in diesem Frühjahr dann einfach alles zu viel wurde. Haben Sie eigentlich gezögert, damit an die Öffentlichkeit zu gehen?Brugger: Eigentlich war mir schon seit der Schwangerschaft klar, dass ich in einer sehr seltenen Position bin – und zwar, dass ich bereits erfolgreich bin, wenn ich Mutter werde. Und das kenne ich wirklich gar nicht aus dem deutschsprachigen Raum in der Unterhaltungsbranche. Eine Ausnahme ist Anke Engelke, die drei Kinder hat, aber das spielt nach außen eigentlich kaum eine Rolle. Im öffentlichen Diskurs sind gefühlt nur kinderlose Frauen erfolgreich. Und die, die doch Kinder haben, lassen das meistens möglichst wenig raushängen. Oder legen sich eine extreme Härte zu - wie Ursula von der Leyen. Vielleicht aus Angst, als Mutter zu weich zu wirken?
Kennen Sie diese Angst nicht?
Ich glaube, dass das schon möglich ist: Dass man einen klaren Auftritt haben und das mit einer Weichheit, Fürsorglichkeit verbinden kann. Das hat mir gefehlt als Vorbild und ich glaube, dass es ganz vielen Frauen ähnlich geht wie mir. Deswegen hätte ich mich glaube ich mein Leben lang geärgert, wenn ich das nicht offen begründet hätte, warum ich jetzt weniger mache.
Damit haben Sie alle überrascht, für die Sie der Inbegriff von Coolness sind.
Gerade durch die „heute Show“-Beiträge zum Beispiel stand oder stehe ich für so eine böse Frau, der alles scheißegal ist. Und wenn dann selbst diese böse Frau Mutter wird und sagt: Ich werde von meinen Gefühlen übermannt und versuche, das auch hinzunehmen. Ich möchte nicht in den Strudel gesaugt werden, in dem sich alle anderen befinden - und das wird eine lebenslange Aufgabe sein. Ja, das ist ein Zeichen von Schwäche, aber das ist auch komplett angebracht. Zu sagen: Ich bin schon mal vor 15 000 Leuten aufgetreten, aber das hier ist viel krasser. Es ist es ist das Schwierigste, was ich jemals gemacht habe, aber trotzdem gebe ich nicht auf.
Das klingt, als hätte sich die Bedeutung Ihrer Arbeit für Sie relativiert?
Das fand ich beeindruckend, bei mir selber zu erkennen, dass das, was bei mir vorher an der allerersten Stelle war in Sachen Selbst-Identifikation - nämlich meine Arbeit – an ungefähr dritte oder vierte Stelle gerutscht ist. Ganz vorne ist auf einmal das Kind, dann kommt man irgendwie als Familie und Paar und dann im Idealfall noch man selbst. Wie so Level in einem Computerspiel und wenn Du die Level noch nicht freigeschaltet hast – dann merkst du gar nicht, wie ungesund dein Leben eigentlich ist. Und deswegen habe ich echt lange gebraucht, um überhaupt erst mal zu merken, dass es mir zu viel wird und das dann auch noch zu verbalisieren.
Warum, glauben Sie, gibt es so wenige Menschen, die so offen darüber sprechen wie Sie?
Ich glaube die Generation über mir, also die Babyboomer Generation - die haben sich da gar nicht drüber ausgetauscht und deswegen leugnen die das auch einfach. Also die ganzen Boomer-Väter, die wissen ja beispielsweise gar nicht, dass Babys schlecht schlafen. Als unsere Tochter zehn Wochen alt war, hat mein Vater mich gefragt, wie es mir so geht. Ich sagte: „Ja, ich bin sehr müde. Die Nächte sind sehr hart.“ Und er hat gesagt: „Ach, immer noch?“. Und ich dachte mir: „Hä?! Du hast doch auch drei Kinder?!“ Das war eben einfach so, dass unsere Mütter, die jetzt Großmütter werden, das mit sich selbst ausmachen mussten und es oft nicht mal mit den eigenen Männern geteilt haben. Für die Mütter heute, die auch noch arbeiten, ist das Ganze eine große Klatsche ins Gesicht, weil sie merken: Irgendwie wurden sie auch von ihren eigenen Müttern belogen, wie schwer das eigentlich ist, Kinder großzuziehen.
Und den Vätern heute ergeht es vermutlich nicht anders – zumindest wenn sie wirklich Verantwortung übernehmen wollen.
Klar, mir tun auch die Männer leid, die wirklich involviert sind im Leben ihres Kindes. Als ich öffentlich gemacht habe, dass ich erschöpft bin und mir alles zu viel wird gerade – da war die Reaktion vieler Leute: Wieso macht denn dann dein Mann nicht noch mehr? Aber mein Mann macht auch wahnsinnig viel. Und dann geht es darum, sich als Familie neu aufzustellen. Und das Problem ist ja größer als eine Hazel Brugger, die sich überarbeitet. Die Gesellschaft will einfach zu viel von Leuten und erkennt deshalb überhaupt nicht an, was für eine wichtige Aufgabe es ist, sich um andere Menschen zu kümmern.
„Die Gesellschaft will einfach zu viel“
Hat es Sie politisiert, Mutter zu werden?
Also ich war ja nie politisch im Sinne von: Ich geh jetzt für eine Partei auf Tour oder sowas. Aber dass ich mich grundsätzlich um die Gesellschaft sorge und mir Gedanken mache, mit welchen wirklich durchsetzbaren kleinen Schritten man eine große Veränderung herbeirufen kann - das ist schon nochmal krasser geworden als Mutter. Weil dieses Konstrukt Familie ja mega-essenziell ist, wenn es darum geht, eine Gesellschaft langfristig am Laufen zu halten. Und das hat vorher einfach gar nicht stattgefunden in meinem Leben. Wie es ist, Mutter zu sein – darüber wusste ich so wenig, wie über das Präparieren von Leichen.
Zur Person
Hazel Brugger, 29, ist Stand Up Comedian und Moderatorin. Die gebürtige US-Amerikanerin wuchs in der Nähe von Zürich auf und lebt und arbeitet heute in Zürich und Köln. Sie ist Gewinnerin des Deutschen Comedypreises, Salzburger Stiers, Swiss Comedy Award und hat den Deutschen Kleinkunstpreis gewonnen. Jenseits der Bühne kennt man sie aus dem Fernsehen (seit 2016 ist sie in der heute-show des ZDF als Außenreporterin unterwegs) und von ihrem YouTube-Kanal. Der ist genau wie die Podcasts „Nur verheiratet“ und „Good Vibes only“ ein Gemeinschaftsprojekt mit ihrem Mann – dem Autor und Comedian Thomas Spitzer.Mit ihrem Programm „Kennen Sie diese Frau“ ist Hazel Brugger am Mi. 21. und Do. 22 September im Kölner E-Werk zu sehen. Tickets kosten 32,50 Euro.https://hazelbrugger.com
Sie sind ja immer noch sehr präsent mit Podcasts und Auftritten mit Ihren neuen Bühnenprogramm „Kennen Sie diese Frau?“ – sind Sie denn wirklich kürzer getreten nach Ihrer Ankündigung?
Das Touren war einfach viel zu krass mit dem Baby, das mache ich nicht mehr. Also das Baby bleibt jetzt zu Hause und ich bin nicht mehr als zwei Nächte weg. Das neue Programm ist übrigens ganz klar auch aus der Perspektive von mir als Mutter geschrieben. Man muss weder Kinder haben noch mögen, um es gut zu finden. Aber ich fand es einfach für mich persönlich wichtig, nicht mehr diese alten Sachen, die ich noch vor Corona geschrieben hatte, auf der Bühne zu erzählen. Die stammen irgendwie aus einer anderen Zeit für mich, weil das es schon einfach ein Umbruch für mich war, Mutter zu werden.