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Kabarettist Marius Jung über Rassismus„Es macht mich wütend, dass ich so reduziert werde“

Lesezeit 8 Minuten
Kabarettist Marius Jung trägt ein weißes Hemd und eine schwarze Anzugjacke und lehnt lächelnd an einer Mauer

Kabarettist Marius Jung klärt mit Humor über den Rassismus in unserer Gesellschaft auf

Der Kölner Kabarettist, Autor und Coach Marius Jung sagt, Rassismus sei viel zu ernst, um ihm nicht mit Humor zu begegnen. Er will aufklären und zum Nachdenken anregen.

Herr Jung, Sie beschäftigen sich als Coach, Autor und als Kabarettist seit vielen Jahren mit Rassismus und seinen Folgen. Wie bewahrt man sich den Humor bei diesem Thema?

Ich wurde schon öfter angefeindet, dass ich ein so ernstes Thema wie Rassismus mit Humor verbinde. Aber das Thema ist viel zu ernst, als dass man ohne Humor auskommen könnte. Ich glaube fest daran, dass wir nur vernünftig miteinander streiten können, wenn wir zwischendrin mal miteinander lachen

Es hat Sie früh auf die Bühne gezogen. Ist es nicht auch oft anstrengend, sich mit den Menschen über dieses Thema auseinanderzusetzen?

Gerade im Kabarett-Bereich ist der Gesinnungsapplaus sehr verbreitet. Wir stellen uns vor Leute, die der gleichen Ansicht sind und lassen uns dafür beklatschen, dass wir Wahrheiten sagen, die jedem im Raum klar sind. Mit meiner Mischung aus Vortrag und Kabarett, stehe ich meist vor Leuten, die nicht in meine Kabarettvorstellung kämen. Hier entstehen ganz andere Diskussionen. Ich versuche den Leuten klarzumachen, wie viele gemeinsame Wünsche, Erwartungen und Bedürfnisse wir haben. Das relativiert die Unterschiede und erleichtert es in den Diskurs zu gehen.

Sich nur als Kabarettist mit dem Thema zu beschäftigen, reicht Ihnen nicht mehr?

Es ist ein großer Unterschied, ob ich reiner Unterhaltungskünstler bin oder ob ich mich an dem Punkt sehe, Impulse zu geben, die Leute aus ihrer Komfortzone rauszuholen. Ich provoziere gern, zum Beispiel durch einen Perspektivwechsel, wo ich diskriminierende Dinge über Weiße sage. Das funktioniert gut. An dem Punkt wird es interessant. Da wird mir gerne schonmal Rassismus gegen Weiße vorgeworfen. Rassismus gegen eine Gruppe kann es aber nur geben, wenn es strukturelle Diskriminierung ist. 500 Jahre Ausbeutung sind durch nichts aufzuwiegen. Das heißt nicht, dass Weiße nicht auch diskriminiert werden können, aber sie werden nicht Opfer von Rassismus. Niemals haben Dunkelhäutige Hellhäutige strukturell unterjocht und ausgebeutet.

Lassen Sie uns über zwei andere Sätze sprechen, die oft reflexhaft fallen, wenn es um Rassismus geht: „Ich finde das nicht rassistisch“ und „Ich habe das gar nicht rassistisch gemeint.“

Ich bin einmal von der Bühne gegangen und habe eine ältere Dame im Publikum gefragt, wie sie nichtweiße Menschen nennt. Sie nannte mir mit einem Lächeln das N-Wort, das ich kurz vorher noch klar als rassistisch konnotiert erklärt hatte. Das habe sie ja immer schon gesagt und meine das nicht rassistisch. Aber die Deutungshoheit für eine Benennung wird immer die benannte Person haben, alles andere ergibt keinen Sinn. Wenn mich jemand mit dem N-Wort bezeichnet und sagt, er oder sie meine das nicht so, hilft das nicht. Das ist und bleibt eine Beleidigung.

Die Deutungshoheit für eine Benennung wird immer die benannte Person haben, alles andere ergibt keinen Sinn
Marius Jung

Haben Sie eine Erklärung, warum es vielen Menschen so schwerfällt, zum Beispiel Schokokuss zu sagen, anstatt das alte Wort zu verwenden? Es ändert sich doch für sie überhaupt nichts.

Das hat zwei Gründe. Leute sehen ihre Vergangenheit gefährdet. Sie haben das Gefühl, angeklagt zu werden für das, was damals war. Um das zu nivellieren, benutzt man das Wort heute und sagt, das sei ja nur scherzhaft. Das andere ist, dass man Angst hat um etwas, was sich nach Kindheit anfühlt. Menschen haben Angst, diese Wärme, die sie zum Beispiel mit einer Süßigkeit verbinden, entzogen zu bekommen. Das ist Unsinn. Eine Begrifflichkeit wegzulassen, ist nicht schlimm. Es tut nicht weh. Ich habe auch Probleme mit einigen Leuten aus der Unterhaltungsbranche, die aus der linken Szene kommen und an diesen furchtbar rechtspopulistischen Formulierungen festhalten.

Und auf der Bühne sagen, man wisse ja mittlerweile gar nicht mehr, was man eigentlich noch sagen dürfe?

Ja, dabei ist die Antwort einfach: Alles darf gesagt werden, außer es ist justiziabel. Das N-Wort zum Beispiel ist keine direkte Beleidigung, jeder kann mich so benennen, ohne dafür strafrechtlich belangt zu werden. Von daher ist es eine unfassbar unsinnige Aussage. Und an Leute, die von einer Sprachpolizei reden: Ich habe sehr genau recherchiert, es gibt keine Sprachpolizei. Alle dürfen alles sagen. Die Frage ist: Müssen wir alles sagen oder sollten wir vielleicht darüber nachdenken, dass es Dinge gibt, die Menschen weh tun und die deshalb vielleicht ungesagt bleiben sollten?

Vielen Menschen fällt es beim Thema Rassismus vermutlich deshalb so schwer, zuzugeben, dass sie etwas Rassistisches gesagt haben, weil sie Angst haben, dass sie dann ein schlechter Mensch sind, oder?

Deutschland wird natürlich mit dem Holocaust in Verbindung gebracht. Menschen haben Angst, sie könnten plötzlich als Nazis bezeichnet werden. Aber dieser kleine Rassismus für die Handtasche hat sich einfach in unsere DNA geschrieben. Der Angstforscher Borwin Bandelow erklärt das anhand der Arachnophobie. Die Angst vor Spinnen hält sich in der Menschheit, auch hier in Deutschland. Es gibt aber schon sehr lange keine giftigen Spinnen mehr in Deutschland. Xenophobie, also die Fremdenangst, hält sich auch fantastisch. Die kommt auch aus einer Zeit, wo wir noch in kleinen Sippen in Höhlen gewohnt haben. Die Ressourcen waren knapp und wenn jemand von der anderen Seite kam, bestand die Gefahr, dass die eigene Sippe nicht genug zu essen hat. Man nahm sich eine Keule und hat ihn erschlagen. Problem gelöst. Bei meinem Vortrag frage ich die Leute, wann ihnen auf dem Supermarkt-Parkplatz zuletzt jemand eine Keule über den Kopf gezogen hat. Xenophobie ergibt keinen Sinn mehr. Aber die Beurteilung von Menschen ist tief in uns verwurzelt. Sie kommt durch Framing.

Es geht darum, in welchem Zusammenhang wir Menschen sehen?

Ja. Wenn ich „Brot für die Welt“- Plakate sehe, sehe ich süße, kleine, schwarze Kinder mit großen Augen. Ich sehe aber fast keine Bilder von schwarzen Professor:innen. Ich lese in der Schule keine Gedichte von afrikanischen Poet:innen. Diesen Zusammenhang stelle ich in meinem Hirn einfach nicht her. Wir nehmen das wahr, das stattfindet. Ich habe es sehr häufig erlebt. Mehrere Autor:innen wollten ein paar Rollen mit Schwarzen besetzen, wie zum Beispiel einen Chefarzt. Dann wurde gesagt: Das können wir nicht machen, das würde ja keiner glauben. Natürlich gibt es Chefärzt:innen, die schwarz sind. Genau das ist die Aufgabe von Kunst, bestehende Strukturen aufzubrechen, um neue Möglichkeiten aufzuweisen. Wenn ich Sachen als möglich darstelle, werden sie im Hirn der Menschen möglich.

Xenophobie ergibt keinen Sinn mehr. Aber die Beurteilung von Menschen ist tief in uns verwurzelt
Marius Jung

Ihr erstes Buch erschien 2014 und trägt den Titel „Singen können die alle“. Das ist ein bekanntes Beispiel für positiven Rassismus.

Jimi Hendrix wird eine Musikalität aufgrund seiner Hautfarbe zugesprochen, was natürlich ein unglaublicher Unsinn ist. Hendrix war ein fleißiger und besessener Musiker. Das hat nichts mit der Hautfarbe zu tun. „Guck mal, da vorne sind Bongos. Willst du mal?“ Das habe ich genauso schon gehört. Es ist beleidigend. Mir wird eine Fähigkeit zugesprochen, weil ich bestimmte Pigmente in meiner Haut eingelagert habe. Es macht mich wütend, dass ich so reduziert werde. Mir werden irgendwelche Fähigkeiten entweder zugeschrieben oder nicht zugetraut.

Ein Schlagwort in der aktuellen Debatte ist Wokeness. Sie sagen, Sie tun sich damit schwer. Aber ist es nicht gut, wenn Menschen besonders aufmerksam sein wollen?

Ich tue mich mit den Ideen und den Zielen überhaupt nicht schwer. Ich tue mich schwer mit Menschen, die ihr Leben lang gepampert wurden und aus dieser privilegierten Situation heraus große moralische Parameter ansetzen. Gerne sind junge Frauen auf mich zugekommen und sagten: Schön, dass du hier bist! So was kann ich nur ohne Bedacht von mir geben. Das ist der Punkt: Ich brauche immer eine Beschäftigung mit dem Thema und eine Auseinandersetzung der Person mit sich selbst. Beurteile ich etwas von außen oder aus der Rolle des Opfers.


Marius Jung, Jahrgang 1965, arbeitet als Künstler, Buchautor, Moderator und Coach. In seinem Bühnenprogramm greift er den alltäglichen Rassismus auf und spricht an Schulen und in Bildungsstätten über Vorurteile und Respekt. Er lebt in Köln.

Über seine Arbeit und sein Buch „Wer wird denn da gleich schwarz sehen“ spricht er auch im Podcast „Talk mit K“. Die Folge ist ab Donnerstag, 25. Mai, 7 Uhr, auf allen Plattformen abrufbar. (amb)


Heftig diskutiert wird zurzeit auch kulturelle Aneignung. Darf zum Beispiel eine weiße Frau Dreadlocks tragen.

Blonde Dreads sollten aus ästhetischen Gründen bitte nicht getragen werden. Grundsätzlich ist die Diskussion super. Wir sollten auch hier nicht immer nur über Formen reden. Kulturelle Aneignung ist ein großes, ernstzunehmendes Problem. Nehmen wir die Benin-Statuen. Das Rautenstrauch-Joest-Museum wäre ohne kulturelle Aneignung leer. Es geht bei kultureller Aneignung um ökonomische Vorteile. In den Achtzigern wurden Afrika-Muster kopiert, weiße Menschen haben damit Geld verdient. Davon hat kein afrikanischer Staat auch nur einen Cent gesehen. Wir haben nicht nur Leute ausgebeutet, indem wir sie versklavt haben. Wir haben auch deren Kultur genommen, in die Hosentasche gesteckt und sind damit nach Hause gefahren. Kulturelle Aneignung ist an der Tagesordnung. Es ist wichtig, dass wir sie überall aufdecken und immer wieder darüber reden.

Sie sagen, dass Sie bei aller Frustration trotzdem optimistisch bleiben. Wo nehmen Sie den Optimismus her?

Das eine ist meine Tochter. Da muss ich den Optimismus behalten, damit ich glauben kann, dass mein Kind glücklich werden kann. Und ich mache ja sehr viele Workshops und Vorträge in Schulen. Ich habe mit vielen Schüler:innen in den letzten Jahren gearbeitet. Da habe ich gemerkt, dass bei jungen Leuten schon viel aufgebrochen ist. Das macht mich auch optimistisch. Wenn ich mit Leuten in meinem Alter oder alten Linken, die den Rechtsabbieger gemacht haben, spreche, bin ich manchmal ein bisschen verzweifelt. Aber junge Leute machen mir Mut und geben mir selbst auch die Kraft, offen zu sein und somit weiterzukommen. Mein Appell ist: Sprecht über die Themen, aber wirklich über die Inhalte, nicht nur über die Form. Und seid konstruktiv.