„Letztes“ Konzert in Kölner Kult-BarDer Abschied im King Georg ist ein Neuanfang
Köln – Max Müller hat sich verheddert. Hat in der Hitze des Augenblicks vergessen, dass man, will man sich das Hemd vom Oberkörper reißen, zuerst die Manschettenknöpfe öffnen sollte. Jetzt windet sich der Sänger und Gitarrist vorm Mikrofonständer, ergebnislos an stur geschlossen bleibenden Knöpfen zuppelnd. Mit seiner Band Mutter wirft der Wahlberliner seit 33 Jahren Stöcke in die Mechanik des Systems, ein altersloser Held der Gegenkultur, der in einem Moment dein Sohn, im nächsten dein Großvater sein könnte. Einer, dem man alles zutraut. „Mach doch einfach so weiter“, schlägt ein Zuruf aus dem dicht gedrängten Publikum vor. So ganz im Geist des Punk. „Wie denn?“, fragt Müller konsterniert zurück und flattert mit dem Hemd, das wie ein anhängliches Gespenst von seinen Handknöcheln hängt.
Kooperation mit der Akademie der Künste
Ein schöner Spinal-Tap-Moment (sollten Sie diesen lustigsten aller Musikfilme nicht kennen, legen Sie bitte jetzt die Zeitung beiseite und holen das sofort nach), genau richtig, um die Schwere des Moments zu heben. Denn das Mutter-Konzert markiert das vorläufige Ende des King Georg. André Sauers Club in der Sudermannstraße hat seinen Gästen zehn Jahre lang das gute Gefühl, beziehungsweise die Illusion vermittelt, in einer Großstadt zu leben. Hier wurde die interessanteste Musik aufgelegt, hier lasen die avanciertesten Autoren, hier sah man Bands und Künstler, die kurz darauf das Palladium füllten, oder die man längst unter der Müllhalde populärer Musikgeschichte verschüttet geglaubt hatte.
Ja, man musste die ehemalige Tabledance-Bar, deren plüschigen Rotlicht-Charme Sauer bewahrt hatte, noch nicht einmal betreten, um in ihren intellektuellen Sog zu geraten. Zwischenzeitlich verzweigte sich das King Georg in eine Kunst-Boutique am Ebertplatz, bespielte die Werft 5 im Rhenania, kooperierte mit der Akademie der Künste der Welt, veranstaltete legendäre Konzerte vor Domkulisse auf der Dachterrasse des Museum Ludwig. Wie sehr sie mit ihrem selbstausbeuterischen Engagement das Kulturleben der Stadt bereicherten, schien den Betreibern und Kuratoren anfangs selbst nicht klar zu sein, später gewannen sie zweimal hintereinander den Spieltstättenprogrammpreis des Bundeskulturministeriums. Da war es dann quasi offiziell, dass Köln hier mithin am hellsten strahlte.
Abschied ist auch ein Neuanfang
„Mach doch einfach“, stößt ein befreiter Max Müller jetzt ins Mikrofon. „Denk nicht immer ständig drüber nach, wer oder was gesagt hat, dass man das heute mag. Mach doch einfach, red nicht darüber, verliere keine Zeit.“ Die Worte sind schwer auszumachen im - wie so oft - arg dumpfen Sound, aber der zuerst schleppende, dann zunehmend unaufhaltsame Dampflok-Groove der Band treibt ihre Dringlichkeit bis an den hintersten Thekenplatz. Zehn Jahre wurde hier gemacht, nicht einfach so, sondern äußerst kenntnisreich, aber mit einer Leidenschaft, die sich keinen marktwirtschaftlichen Vernunftgeboten beugen mochte. Länger kann man sich wahrscheinlich nicht verschwenden, ohne Schäden zu nehmen.
Der Abschied ist allerdings auch ein Neuanfang. Die neuen Betreiber wollen nicht nur im Sommer die dringend nötigen Renovierungsarbeiten in Angriff nehmen, sie werden das King Georg auch als Kölner Kulturort erhalten. Unter der Woche sollen hier künftig Jazz-Konzerte stattfinden, am Wochenende wird weiterhin Jan Lankisch das Booking übernehmen, so hemdsärmelig, überraschend und großartig wie bisher.