Kölner Kunstszene der 90er JahreSie waren jung und hatten kein Geld
- In den 90er Jahren wollten viele Kölner Künstler keine richtige Kunst machen. Gerade deswegen wurden sie berühmt.
- Jetzt zeigt das Museum Ludwig, wie Kai Althoff, Isa Genzken oder Cosima von Bonin zu Weltstars wurden.
- 29 Werke der Ausstellung bekam das Museum von der Familie Schröder geschenkt. Sie sagt, die Kunst gehört dorthin, wo sie gebraucht wird.
Köln – „Ich möchte lieber nicht“, ist das einzige, was seine Mitmenschen von Bartleby zu hören bekommen. Zunächst lehnt er es ab, etwas anderes zu tun, als mit stillem Fleiß Verträge zu kopieren, dann wird ihm auch das zu viel, und als man ihn schließlich ins Gefängnis wirft, weil er sich weigert, nach der Arbeit nach Hause zu gehen, möchte er dort lieber nichts essen. Am Ende ist Bartleby tot und die Geschichte aus.
Ausgerechnet diese tragische Figur aus einer Erzählung Herman Melvilles stieg in den 90er Jahren in Kölner Künstlerkreisen zum stillen Helden auf. „Ich möchte lieber nicht“, das war, erinnert sich der Galerist Christian Nagel, der innere Antrieb einer Generation, die eher sterben wollte als sich dem alles korrumpierenden Kunstmarkt auszuliefern. Also redeten sie über Kunst statt welche zu machen, und als sie genug geredet hatten, machten sie Kunst darüber, dass sie eigentlich lieber keine Kunst machen würden. Sie malten Bilder mit nichts drauf, bauten Installationen, mit denen man garantiert jedes Wohnzimmer versauen konnte, oder zeigten dem Publikum, wie furchtbar es ist, sein Innerstes in Form von Kunst nach außen zu kehren und dabei angestarrt zu werden. Im Grunde gaben sie potenziellen Sammlern das Gefühl, Lüstlinge zu sein, die sich mit unlauteren Absichten einer Jungfrau nähern. Andererseits wollten es die Kölner Anti-Künstler ja auch.
Sie zierten sich, aber im Grunde wollten sie es ja auch
Wie sehr sie es wollten, ist jetzt im Kölner Museum Ludwig zu sehen. Unter dem Titel „Familienbande“ präsentiert das Haus die Schenkung Schröder, 29 Arbeiten von Kai Althoff, Cosima von Bonin, Isa Genzken und anderen teilweise zu höchsten Ehren gelangten Bartlebys, und kombiniert sie mit Arbeiten aus den eigenen Beständen. Gleich am Eingang bauen sich mannshohe Spanplatten wie Tugendwächter vor dem Besucher auf, um einem den Blick auf eine Reihe sehr bunter und gefälliger Bilder von Kai Althoff zu versperren. Und falls doch jemand auf den Gedanken kommen sollte, hier lasse sich Kunst einfach so genießen, dem sei gesagt: An den Wänden hängen billige Kopien von Gouachen, die Althoff nur malte, um sie zu zerstören.
Auf der anderen Seite gibt es schon wieder Althoff: Ein riesiger Stofffries mit Männern, die auf Stühlen lümmeln, dazu fachkundig gefälschte Heizkörper mit Sitzgelegenheit. Wer sich das privat nach Hause holt, muss Masochist sein, und auch Museumsdirektoren, die 1993 gerade anfingen, die neuste Garde wilder Maler auszustellen, brachte so etwas in Erklärungsnot. In den 90er Jahren wurde in Köln nicht mehr zuvorderst um einen persönlichen Stil gerungen als um eine Haltung zum Kunstmarkt, den Museen und der Rolle des Künstlers in einer Zeit, in der alles schon mal gemalt, gedacht und verkauft worden war.
Mit der Zeit wurde der Kölner Schmollwinkel dank findiger Galeristen wie Christian Nagel, Daniel Buchholz und Gisela Capitain derart produktiv, dass er Zuwachs aus Übersee erhielt. So nahm sich der US-Künstler Stephen Prina in „Köstliche Leichname“ vor, sämtliche Gemälde Édouard Manets mit quasi-unsichtbaren Farben zu kopieren, bei Tom Burr sehen aus Sperrholz nachgebaute Sexvideokabinen wie Beichtstühle des Minimalismus aus und Hilary Lloyd schnitt aus Modemagazinen den Schritt von Männer aus, um die Cut-Outs zu Tableaus des weiblichen Begehrens zu montieren. Während sich die Künstler also mächtig zierten, den Verlockungen der Kunstwelt nachzugeben, waren sie in politischer Hinsicht durchaus nicht abstinent. Auch Cosima von Bonins vernähte Taschentücher (für Männer) und Halstücher (für Frauen) spiegeln im Kunstklischee das gesellschaftliche Stereotyp.
Mit Christian-Philipp Müller ist in der „Familienbande“ sogar ein Hans Haacke für arme Städte vertreten. Er verglich die Kulturhaushalte von Köln und Düsseldorf, leitete aus den Zahlen fleißig Säulendiagramme ab und stellte einige davon als Plexiglasskulpturen in den Raum. So richtig schlau wird man aus dieser haushälterischen Matheaufgabe nicht, und das ist wohl auch die Botschaft von „Köln-Düsseldorf“. Christian Nagel glaubt jedenfalls zu wissen, was die Kölner Kunstszene in den 90er Jahren zusammen hielt: Sie waren jung und hatten kein Geld.
Heute sieht das teilweise ganz anders aus. Althoff, Genzken und von Bonin etwa gehören zu den Stars eines Kunstmarkts, der am Ende immer gewinnt (außer gegen die echten Bartlebys), ihre Werke wären für das Museum Ludwig längst unerschwinglich. Trotzdem besichtigen wir dort jetzt keinen Ausverkauf der hehren künstlerischen Werte. Sondern die Einsicht, dass man nicht durch Enthaltsamkeit zu bleibenden Werken kommt. Und wenn die Furcht vor der Korrumpierung durch Ruhm und Reichtum solche Blüten treibt, dann muss man diesen Kräften dankbar sein. Ich jedenfalls möchte lieber mehr davon.
Zur Ausstellung
„Familienbande. Die Schenkung Schröder“, Museum Ludwig am Dom, Köln, Di.-So. 10-18 Uhr, bis 29 September. Eröffnung: Freitag, 12. Juli, 19 Uhr. Der Katalog ist im Verlag der Buchhandlung Walther König erschienen und kostet 34,80 Euro.