Shao-Lan Hertel tritt am 1. Juli die Nachfolge der langjährigen Direktorin Adele Schlombs am Museum für Ostasiatische Kunst in Köln an. Hier spricht sie erstmals über ihre Ziele.
Kölner Museum für Ostasiatische KunstWas die neue Direktorin als Erstes ändern will
Shao-Lan Hertel, Sie sind designierte Direktorin des Museums für Ostasiatische Kunst. Zuletzt haben Sie in Peking gearbeitet, aber geboren sind Sie in Bonn?
Ich bin in Bonn geboren und aufgewachsen, nach dem Abitur dann nach Berlin übergesiedelt, wo ich Sinologie und Ostasiatische Kunstgeschichte im Magister studiert habe. Letztere, welche ich erst relativ spät im Magister als Nebenfach hinzuwählte, entfachte bei mir eine ganz große Leidenschaft, die mich dann zu einem Promotionsstudium der Ostasiatischen Kunstgeschichte bewegt hat.
Gab es da ein einschneidendes Erlebnis?
Ja, gab es. Ich habe zunächst als Gasthörerin ein Seminar zur Bedeutung des Mondes in der ostasiatischen Landschaftsmalerei besucht, da habe ich Feuer gefangen. Im Laufe der Promotion arbeitete ich dann sechs Jahre lang am Lehrstuhl an der FU Berlin, mit längeren Forschungsaufenthalten in China. Ab 2018 bis dato war ich in der Sammlungsabteilung des Tsinghua University Art Museum in Peking tätig.
Zuletzt sind Sie aber als Gastprofessorin an ihren alten Lehrstuhl zurückgekehrt …
Aufgrund der Corona-Bestimmungen musste ich China leider verlassen. Mein Arbeitsvisum lief aus, die Ämter waren ein Jahr lang geschlossen. Die Grenzen sind erst Anfang dieses Jahres wieder geöffnet worden. Ich habe aber aus dem Homeoffice kontinuierlich weitergearbeitet. Nächstes Jahr werde ich kurzzeitig nach China zurückkehren, um das Ausstellungsprojekt, an dem dem ich bis zuletzt intensiv gearbeitet habe, zu einem runden Abschluss zu bringen. Vor diesem Hintergrund schätze ich mich sehr glücklich, in 2021 die Gelegenheit erhalten zu haben, den Lehrstuhl für Ostasiatische Kunstgeschichte an der FU Berlin interimsweise zu vertreten.
Shao-Lan Hertel musste China wegen der Corona-Bestimmungen verlassen
Kannten Sie das Museum in Köln bereits aus Ihrer Bonner Zeit?
Tatsächlich, ja. Wochenende, das hieß in meinen Teenagerjahren: mit den Freundinnen nach Köln fahren. Eine bleibende Erinnerung an diese Zeit sind etwa meine ersten Doc Martens, die ich mir endlich nach langem Sparen auf der Ehrenstraße kaufen konnte. Aber ich kannte eben auch dieses Museum, so wie es wohl die meisten Menschen kennen, die länger in Köln und Umgebung leben. Allein schon wegen des markanten Baus.
Als Sie jetzt die Stellenausschreibung gesehen haben, dachten Sie da sofort: Hier bewerbe ich mich?
Nein. Unser Fach ist klein, jeder wusste von der Ausschreibung. Es hat tatsächlich etwas gedauert, bis ich verstanden habe, dass mein anfängliches Zögern eine selbst auferlegte Schranke im Kopf war. Beworben habe ich mich dann nicht zuletzt, weil ich Zuspruch von Kolleg:innen bekommen habe, deren Meinung mir sehr wichtig ist und von denen ich auch wusste, dass sie mir nicht zu etwas raten werden, das sie mir nicht auch zutrauten. Auf meiner Lieblings-Kaffeetasse im Büro, damals an der Uni, stand „Don't believe everything you think“: Man muss immer mal wieder sein Selbstbild hinterfragen. Als ich die Bewerbung abgegeben hatte, merkte ich: Das ist vielleicht genau das, worauf du die letzten 20 Jahre hingearbeitet hast, ohne es zu wissen.
Nun ist das MOK schon acht Monate lang ohne Direktion, obwohl der Zeitpunkt, zu dem Ihre Vorgängerin in Rente geht, ja absehbar war. Machen Sie sich Sorgen, dass das Haus nicht sehr weit oben auf der Prioritätenliste der Stadt steht?
Es hatte auch sein Gutes, dass dieser Bewerbungslauf so lange gedauert hat. Ich konnte mich noch intensiver vorbereiten, mich in das Haus und seine Geschichte hineinspüren, in die Biografien der Direktor:innen und der Sammlungen.
Was ein Museum in Peking deutschen Institutionen voraus hat
Wie unterscheidet sich denn die Arbeit an einem chinesischen Museum von der an westlichen Institutionen?
Auf der operativen Ebene sind die Tätigkeitsfelder gar nicht mal so unterschiedlich. Maßgeblicher ist, dass der kuratorische Blick und die Ausstellungsnarrativen unterschiedlich geschult und ausgeprägt sind. Zudem spielt die Tatsache, dass das Museum in Peking beispielsweise personell äußerst gut aufgestellt ist. An vielen deutschen Museen können Kurator:innen heutzutage nicht in dem Maße das verwirklichen, wofür sie eigentlich qualifiziert sind, weil die Kapazitäten fehlen und sie oft noch zusätzliche Bereiche mitverantworten müssen. Schließlich hängen die Handlungsspielräume dann auch maßgeblich von den Trägern des jeweiligen Museums und deren Agenda ab. Das trifft freilich allenorts auf der Welt zu.
Wie wichtig ist die Vernetzung in den ostasiatischen Raum für das MOK?
Vernetzung ist das A und O. Wir wollen die Sichtbarkeit dieses Museums lokal stärken, ein breites Publikum ansprechen, die Besucherzahlen steigern. Aber zugleich müssen wir auch deutschlandweit sichtbarer werden. Wir sind das einzige Museum für Ostasiatische Kunst in Deutschland, zudem das älteste seiner Art in Europa. International ist der erste Schritt, die digitale Reichweite auszubauen, und natürlich muss man institutionelle wie individuelle Kooperationen strategisch und synergetisch auf den Weg bringen. Viele der bereits vorhandenen Netzwerke haben sich graduell über einen Zeitraum der vergangenen 20 Jahre aufgebaut. Es ist eine wunderbare Aussicht, diese jetzt mit neuen Perspektiven weiter entfalten zu können. Ebenso wie es spannend sein wird, neue Beziehungen, zu Trägern, Museen, Galerien, Einzelpersonen, Künstler:innen, zu initiieren.
Wenn Sie nun am 1. Juli als Museumsdirektorin anfangen, was werden Ihre ersten Amtshandlungen sein?
Ich möchte das starke, über viele Generationen hinweg gewachsene Fundament weitertragen, ganz im Sinne des Museumsgründerpaars Adolf und Frieda Fischer, deren Anliegen es war, dem westlichen Publikum die Künste Ostasiens zugänglicher zu machen. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, gezielte Anpassungen vorzunehmen, um das MOK als zeitgemäßes Museum der Gegenwart zu positionieren und für zeitgenössische Besucherschaften noch attraktiver zu gestalten. Es gibt Kleinigkeiten, die große Wirkung haben: Zum Beispiel wünsche ich mir für unsere Webseite einen Team-Reiter, wo man einsehen kann, wer hier eigentlich ‚hinter den Kulissen‘ arbeitet und welche Tätigkeitsbereiche es gibt. Was wir auch noch dedizierter nach außen hin kommunizieren müssen, ist das Leitbild des Museums: Wofür wollen wir stehen? Was sammeln und zeigen wir, und warum? Wie kann das MOK in seinem Bildungsauftrag eine noch relevantere Rolle und Funktion erfüllen? Solche Dinge sind Standards, die die Zugänglichkeit und Transparenz des Museums gewährleisten. Hierzu gehört auch die umfassende Weiterbearbeitung der digitalen Sammlung online.
Reichen dafür denn die Zuwendungen der Stadt?
Da alles grundsätzlich von der Budgetierung abhängt, müssen wir weitsichtig Ressourcen einwerben, kollaborative Partner involvieren. Damit meine ich nicht nur Museen, sondern Träger in unterschiedlicher Form, ob öffentlich oder privat, ob in Deutschland angesiedelt oder in Tokio oder in San Francisco. Ich wünsche mir die Gestaltung langfristiger Win-Win-Situationen in synergetischem Austausch mit anderen Institutionen und Personen.
Sie haben auch angekündigt, den zeitgenössischen Bereich der Sammlung ausbauen zu wollen.
Das Museum hat bereits umfassend dahingehend gearbeitet, den Anspruch seiner Gründer zu erfüllen, nämlich eine repräsentative Sammlung aufzustellen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, in der alle Kunstgattungen und -epochen der Länder Ostasiens vertreten sind. Das ist eine bemerkenswerte Leistung. Sicherlich gibt es hier auch noch kleinere Lücken, etwa bei der koreanischen Kunst. Aber die eigentliche Lücke, die nunmehr und von Jahr zu Jahr sichtbarer und gravierender wird, besteht im systematischen Auf- und Ausbau des zeitgenössischen Sammlungsbestandes. Das müssen wir aufholen, um dem Grundgedanken der repräsentativen Sammlung gerecht zu werden und auch die Teilhabe durch zeitgenössische Besucherschaften mit unterschiedlichen Interessen zu verstärken.
Da kommt dann wieder das Budget ins Spiel?
Ja, fürs erste Jahr möchte ich versuchen, ein bis zwei zeitgenössische Werke mit großer Wirkkraft in die Sammlung mit aufzunehmen, die nach außen hin Zeichen setzen, etwa so wie die bereits vorhandene Bronzefigur Usagi Kannon II von Leiko Ikemura im Eingangsfoyer des Hauses. Dieses Museum wird gerne als „Juwel“ der Kölner Museumslandschaft bezeichnet – was es ja auch ist. Um die Strahlkraft dieses Juwels aber in voller Leuchtkraft sichtbar zu machen, müssen erweiterte Möglichkeiten entsprechend verfügbar gemacht werden. Die Beschaffung von Ressourcen für restaurierungsbedürftige Objekte sowie Renovierungen am Haus selbst spielen hierbei wesentlich mit hinein, um ein umfassenderes Ausstellen der Sammlungsbestände zu gewährleisten.
Sie sprachen auch von zeitgenössischen Themen, die sie mit der vorhandenen Sammlung erzählen möchten?
Es gibt in unserer heute entgrenzten Zeit zahlreiche spannende Themen, mit denen wir neben einem Fachpublikum auch Menschen ansprechen können, die bislang keine Berührungspunkte mit Ostasien, geschweige denn den Künsten Ostasiens hatten. Universelle gesellschaftliche Anliegen wie kulturelle Vielfalt, genderspezifische Diskurse oder Fragen des Klimawandels, darunter Konzepte von Recycling und Wiederverwertung sind nur einige der Anknüpfungspunkte, die sich durch die Sammlung thematisch aufarbeiten lassen, nicht zuletzt, weil sie auch schon in früheren Zeiten verhandelt wurden.
Nun können Sie nicht ganz alleine entscheiden, Ihnen wird eine Co-Direktion zur Seite gestellt.
Meine allererste, intuitive Reaktion hierauf war: Ja, das ist eine super Idee. Die Stadt Köln will die Museen noch stärker fördern, sie sollen den Anforderungen der Zeit besser entsprechen. Die positive Tragkraft wichtiger Entscheidungen wird potenziert, wenn man diese zusammen und nicht im Alleingang trifft. Die Voraussetzung ist natürlich, dass man sich versteht und die Chemie stimmt. Aber da bin ich sehr zuversichtlich.