Eigentlich wollte Barbara Hannigan in Köln dirigieren und singen. Das finale Solo musste sie aber einer Kollegin überlassen.
Kölner PhilharmonieHannigan muss auf ihr Solo verzichten
Über die Himmelfahrt zum himmlischen Leben - das ist doch mal ein Programmkonzept, das sich hören lassen kann! Mit Olivier Messiaens „L’Ascension“ („Die Himmelfahrt“) eröffnete das London Symphony Orchestra sein Konzert in der Philharmonie; am Schluss stand die bizarre Jenseitsvision, in der Gustav Mahlers vierte Sinfonie ausklingt: „Das himmlische Leben“ besingt in Versen aus „Des Knaben Wunderhorn“ ein immerwährendes Schlachtfest. Der Metzger Herodes bringt ein unschuldiges Lamm zur Strecke; die heilige Cäcilie sorgt für die musikalische Untermalung und elftausend Jungfrauen tanzen dazu.
Der Kontrast dieser alptraumhaften Szene zu Messiaens inbrünstiger, zuweilen auch etwas zuckriger Frömmigkeit könnte kaum größer sein - als ironische Brechung funktionierte das ganz wunderbar. Dirigentin Barbara Hannigan, als stimmvirtuose Sopran-Diva der Avantgarde zu Ruhm gelangt, formte die vier sinfonischen Meditationen aus der Frühzeit des Komponisten, als leite sie eine Choralschola: stets weg von der rhythmischen Struktur, hin zur frei schwebenden und schwingenden Atemphrase. Nicht alles war präzise angesetzt, nicht alles mit jenem besonderen Raffinement ausgekostet, das Messiaens Klangsprache bereithält - aber das gleißende Licht der Blechbläsersalven und die ekstatisch aufstrebenden Streicherwolken des Schlusssatzes kamen schon zu berückender Wirkung.
Barbara Hannigan muss in der Kölner Philharmonie kürzer treten
Dass Barbara Hannigan keine Kapellmeisterin mit Metier und Stallgeruch ist, war unschwer zu erkennen. Die geringe Körperspannung, das weiche Handgelenk, die rudernde Gestik - so sieht es gemeinhin aus, wenn Dilettanten am Pult stehen. Man spürte bei alledem aber stets den musikantischen Impetus, den starken Gestaltungswillen, die dezidierten Ideen. Und das Londoner Elite-Orchester war ganz offensichtlich willens, die Musikerin dabei nach Kräften zu unterstützen. Trotzdem ging Mahlers „Vierter“ auf der langen Strecke immer wieder die Puste aus, weil es an Flexibilität und agogischer Differenzierung fehlte - so ganz ohne dirigentisches Handwerk geht es am Ende doch nicht.
Ursprünglich wollte Barbara Hannigan das finale Sopransolo selbst singen; da sie noch an den Folgen einer schweren Augeninfektion leidet, gab sie diese Aufgabe aber an ihre junge Kollegin Aphrodite Patoulidou weiter. Die griechische Sopranistin wusste sich trotz eher zarten Stimmformats ganz gut gegen das Riesenorchester in ihrem Rücken zu behaupten: Da entstand ein Seelenbild aus Innerlichkeit, Hingabe und sanftem Irresein, das einen ganz eigenen Reiz entfaltete.