Macht er da etwa beim Spielen auch noch Beingymnastik? Das nun doch nicht: Wenn Erik Bosgraaf immer mal wieder mit dem Knie hoch zum Fußstück seiner Blockflöte(n) fährt, dann verändert dies die Länge der schwingenden Luftsäule und erschließt Töne auf dem Instrument, die mit normaler Grifftechnik nicht erreichbar wären.
Kölner PhilharmonieErik Bosgraafs Auftritt wird in Köln zum Heimspiel
Nötig wird die Kniehilfe zumal dann, wenn der Virtuose keine Originalmusik, sondern – wie beim philharmonischen Sonntagskonzert mit Bosgraafs exzellentem und vitalem Barockensemble Cordevento – Bearbeitungen spielt. Klar, kein Blockflötist von Rang will es bei Telemann und Vivaldi belassen, die jetzt auch drankamen, sondern – Bach spielen. Dass der von der musikalischen wie emotionalen Substanz her die anderen bei weitem toppt, wurde jetzt wieder einmal schlagend deutlich – von der einleitenden Sinfonia der Kantate „Christ lag in Todesbanden“ bis zum als Zugabe servierten Choralvorspiel „Liebster Jesu, wir sind hier“.
Bosgraaf trifft in der Kölner Philharmonie auf viele Fans
Aber Bach hat halt nur wenig für die konzertante Blockflöte geschrieben – man kann schließlich nicht dauernd auf dem vierten Brandenburgischen herumreiten. Bearbeitungen also, bis hin zur Transkription des a-Moll-Violinkonzerts. Das mag man misslich finden, versöhnt aber wird man in jedem Fall durch die unnachahmliche Kunst des Niederländers, die überbordende improvisatorische Spielfreude, den edel-gesanglichen Zauber der langsamen Sätze, die Hexerei mit den unterschiedlichen Klangfarben der Blockflöten zwischen sanfter Schalmei und strahlender Trompete (das für Vivaldi benötigte Flautino ist so „mini“, dass es fast zwischen seinen Händen verschwindet). Nicht zu vergessen die fiktive Mehrstimmigkeit, die Bosgraaf immer wieder aus seinen Parts herausholt. An Kindergarten denkt da niemand mehr.
Ein reines Barockprogramm wäre am Ende und selbst in dieser traditionell barockaffinen Vorweihnachtszeit vielleicht doch eintönig gewesen. Aber Bosgraaf steht von Haus aus für ein dezidiertes Bekenntnis auch zur musikalischen Moderne und Avantgarde. Und die kam mit der Gewalt einer alles plättenden Walze einher: in Gestalt von Luciano Berios „Gesti“ für Altblockflöte von 1966. Schnarren, Blubbern, Gurgeln, Fauchen, und das alles mit starken vokalen Anteilen – diese Musik führt geradezu Krieg gegen das Instrument, treibt dessen Ausdrucksmöglichkeiten jedenfalls spektakulär und skandalös voran. Bosgraaf übt da keine falsche Zurückhaltung, und seine hochprofessionelle Leidenschaft nötigt auch hier zu rückhaltloser Bewunderung.
Eine Uraufführung gab es auch noch: des Landsmanns Matijs de Roos „Sotto Voce“ für Blockflöte und Barockorchester. Das ist ein meditatives Stück, das ganz wesentlich von der sukzessiven Schichtung einzelner Intervalle bis hin zu komplexen Akkorden lebt. Erneut eine gelungene Performance, die auch vom Komponisten offensichtlich goutiert wurde. Angesichts der zahlreichen Bosgraaf-Fans im Saal war der Kölner Auftritt freilich als Ganzes für den Gast ein Heimspiel.