Schauspiel KölnLuana Velis steigt aus Theaterproben aus und wird Star auf Twitch
Köln – Wir treffen Luana Velis auf Twitch. Das ist eine Video-Streaming-Plattform und im Moment der einzige Weg, Luana Velis zu treffen. Obwohl sie doch eigentlich die Titelrolle in „Oblomow Revisited“, der neuen Produktion des Schauspiel Köln spielt.
Ilja Iljitsch Oblomow ist ein Held für unsere Lockdown-Zeit. In Iwan Gontscharows berühmten Roman (1859) weigert Oblomow sich, seine Wohnung zu verlassen. Lieber träumt er auf dem Sofa, als sich der feindlichen Welt da draußen zu stellen.
Mitten in den Proben beschloss auch Velis auszusteigen, zog sich selbst aufs Sofa zurück und ließ von dort aus das Publikum an ihrer Total-Verweigerung teilhaben. Zeitweise schauten 8000 verwunderte Gamer ihrer Frust-Show zu.
Erst mit der Premiere am Donnerstagabend wurde das Spiel mit dem Nichtstun aufgelöst: Velis’ Selbstquarantäne war Teil der Inszenierung, der öffentliche Probenprozess das ganze Stück. Und auch unser live auf Twitch übertragenes Interview ist Teil der Inszenierung. Nur die Themen, über die wir uns unterhalten, die sind echt. Den Blog zum Stück finden Sie auf oblomow-revisited.tumblr.com
Luana Velis, Sie spielen die Hauptrolle in Luk Percevals Inszenierung von „Oblomow“. Beziehungsweise, Sie sollten diese spielen. Wir kommen später noch darauf zurück. War das ihre erste Rolle nach den fortgesetzten Lockdowns?
Luana Velis: Nein, tatsächlich hatten wir im Theaterbetrieb nicht so etwas wie Home-Office. Ich habe beim Bayerischen Staatsschauspiel, also im Residenztheater, gearbeitet und da wurde weiter geprobt. Wir hatten keine Pause.
Die Probenarbeit zu „Oblomow“ wird in einem Blog festgehalten. Der fängt extrem harmonisch an, noch nie habe sich ein Team so schnell zusammen gefunden.
Aber Harmonie muss nicht immer gut für die Kunst sein. Es geht ja in erster Linie um einen ehrlichen Umgang miteinander, um eine Auseinandersetzung mit einem Thema. Da ist es nicht immer förderlich, Konflikte nicht an- oder auszusprechen.
Nun waren aber sie es, die Ihren Kollegen anfangs etwas verschwiegen hat, nämlich, dass sie einen Twitch-Kanal gestartet haben, auf dem sie auch bereits private Unterhaltungen veröffentlicht hatten. Wie fielen die Reaktionen aus?
Sie waren zurecht verstimmt, weil ich privaten Content geteilt habe. Dafür habe ich mich entschuldigt. Ich habe das unterschätzt, dass dieser Kanal so eine Öffentlichkeit bekommen hat. Ich bin gerade zum vierten Mal in wenigen Jahren umgezogen. Das bedeutet immer viel innerliche Arbeit und ich dachte, dass ich mit diesem Online-Tagebuch dokumentieren könnte, wie ich hier ankomme, auch beruflich. Luk Perceval hat versucht, den Probenprozess dieser Produktion öffentlich zu machen, begreifbarer für das Publikum. Er interessiert sich sehr dafür, wie man Hemmschwellen abbauen kann, damit sich nicht nur das alteingesessene Publikum für das Theater interessiert. Ich habe ihm von meinem Kanal erzählt und er fand es eine gute Idee.
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Das Ensemble hat sich am Anfang der Proben die Aufgabe gestellt, einmal drei Stunden lang nichts zu tun. Daran ist dann jeder gescheitert.
Dabei ist die Langeweile ja eigentlich der Motor für Kreativität. Nur muss man die auch zulassen können oder dürfen. Je weniger man macht, desto lauter wird es innen. Ich glaube auch, dass viele Menschen sich in die Arbeit stürzen, um nicht in sich rein hören zu müssen.
Sie dagegen haben, heißt es zumindest im Blog, sich von Anfang an sehr stark mit der Figur des Oblomow identifiziert? Warum?
Mir ging es vor einem Jahr, während des Lockdowns, sehr ähnlich wie Oblomow. Die Berufe wurden unterteilt in systemrelevant und nicht relevant, Künstler und Gastronomen wurden erst einmal nach hinten geschoben. Da fragt man sich schon, was für einen Nutzen man der Gesellschaft bringt. Corona hat marode Systeme offen gelegt, sei es im Gesundheitswesen, oder eben im Theater. Wir schreiben uns auf die Fahnen, dass wir human und bewusst und solidarisch seien, arbeiten aber unter Verträgen, die überhaupt nicht mehr zeitgemäß sind. Dass sich da jemand wie Oblomow verweigert, konnte ich sehr gut nachvollziehen. Gerade auch als junger Mensch, der schon ein paar Jahre gearbeitet hat, sich dann aber fragt: „Was mache ich hier eigentlich? Ich habe mir das komplett anders vorgestellt.“ Das geht nicht nur mir so. Wenn ich zum Beispiel mit Freunden spreche, die Medizin studiert haben, und jetzt so zynisch geworden sind, das ist ganz schön traurig.
Wie zeigt man Nichtstun?
Sie haben sich dann gefragt, wie man überhaupt eine Figur auf der Bühne darstellt, die sich zum Nichtstun entschlossen hat?
Wir haben uns wahnsinnig daran abgearbeitet, das auf der Bühne zu erzählen. Irgendwann war das für mich als Spielerin nicht mehr möglich. Ich dachte, das ist doch Irrsinn, dass ich da jetzt so viel reinballere, um Nichtstun zu spielen. Wenn man diese Rolle ernst nehmen will, ist das der verkehrte Weg. Ich musste einen anderen Zugang finden, auch wenn der jetzt sehr radikal ausgefallen ist.
Sie haben sich gewissermaßen selbst in Quarantäne begeben, sind nicht mehr auf die Proben erschienen. Warum?
Zum einen sehe ich das als Spiel-Auftrag, den ich mir selber gegeben habe. Auch wenn ich mich nicht mehr in der Lage dazu sehe, zu den Proben zu kommen, will ich doch die Figur ernst nehmen und sie bis zum Ende durchrecherchieren. Ich will diesen Prozess der Quarantäne festhalten, das bin ich der Produktion schuldig. Zum anderen sind da viele Zweifel und Ängste. Das hat schon etwas mit Corona zu tun. Ich bekomme von Kollegen aus anderen Städten mit, dass die Theater zurzeit gar nicht gut besucht sind. Die Menschen merken vielleicht, dass sie auch ganz gut zu Hause bleiben können. Oder sie haben es schätzen gelernt, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Da muss das Theater andere Antworten finden, um wieder reizvoll zu werden, für ein neues Publikum.
Oblomow zieht sich völlig ins Private zurück, auf das eigene Sofa. Wie passt das bei Ihnen mit der totalen Öffentlichkeit auf Twitch zusammen?
Ich will die Öffentlichkeit an meinem Prozess teilhaben lassen. Ich erinnere mich an eines der letzten Konzerte von Madonna, wo sie anschließend verhöhnt wurde, weil sie eben schon älter ist und nicht mehr so gut singen kann wie vor 20 Jahren. Dabei war es doch mutig von ihr, noch auf die Bühne zu gehen. Schwächen, Krisen, Scheitern: Wir täten gut daran, mit diesen Dingen ehrlicher umzugehen. Das kann doch hilfreich sein, zu sehen, dass es anderen genauso geht.
Faulheit als Utopie
Die Faulheit ist eine Utopie. Aber wer sie für sich in Anspruch nimmt, bekommt unweigerlich Probleme. Das ist doch das, was bei Ihnen gerade passiert?
Ich weiß schon, dass das ganz schön vermessen und provokant ist. Aber wenn keiner den Anfang macht, dann passiert nichts, dann ändert sich nichts. Auch wenn das jetzt zu viel Hysterie und Reibereien innerhalb der Produktion geführt hat, ist es doch erstaunlich, dass so ein kleines Rädchen im Getriebe wie ich, alles plötzlich zum Stillstand bringen kann. Ich dachte, sie besetzen die Rolle einfach um.
Alle Räder stehen still, wenn dein starker Arm es will, singt der Arbeiterverein. Aber bei Ihnen geht es um eine Schwäche, die sie sich zugestehen.
Mir ist schon bewusst, dass das jetzt nicht die Revolution auslöst. Aber vielleicht kann das ja den ein oder anderen dazu anstoßen, über Dinge nachzudenken.
Umgedreht ist ihre Schwäche aber auch eine Art von Machtausübung.
Ja. Und das ist wahrscheinlich nicht bequem. Ich riskiere auch sehr viel damit. Aber ich habe mich in der letzten Zeit sehr ohnmächtig gefühlt und wollte mir ein Stück Selbstbestimmung zurückerobern.
Wie haben Ihre Kollegen auf Ihren Rückzug reagiert?
Luk Perceval ist abgereist und wollte erst auch hinschmeißen. Natürlich lastet ein wahnsinniger Druck auf ihm. Er riskiert seinen Namen. Er ist aber wieder gekommen, hat wohl verstanden, dass auch er nicht so einfach aus der Sache herauskommt. Und meine Kollegen? Da gibt es durchaus Verständnis, aber eben nicht nur. Andererseits muss man ja auch nicht immer befreundet sein. Kollegen aus anderen Häusern haben mir vorgeworfen, ich sei wahnsinnig privilegiert und es gäbe genug arbeitslose Schauspieler. Wobei ich nach dieser Aktion wahrscheinlich selbst arbeitslos bin.