Mohammad-Ali Behboudi gastiert mit „Ich werde nicht hassen“ im Theater der Keller. Das Stück ist zehn Jahre alt, so dringlich war es noch nie.
Kölner Theater der KellerIsraels Armee hat seine Töchter getötet, aber er weigert sich zu hassen
Ein Rednerpult aus Plexiglas. Ein Stuhl, eine Leinendecke, eine Tafel, ein Teddybär. Und eine Anmaßung: Mohammad-Ali Behboudi, 1984 aus dem Iran nach Deutschland emigrierter Schauspieler, schreitet im Kölner Theater der Keller zum Rednerpult und stellt sich als Dr. Izzeldin Abuelaish vor. Den gibt es wirklich und die Geschichte des palästinensischen Gynäkologen und Reproduktionsmediziners, den man nur als den Arzt aus Gaza kennt, dürfte vielen Menschen bekannt sein. Vor allem durch ihre tragische Wendung, die er in seinem Buch „Ich werde nicht hassen“ schildert.
In seinen eigenen Worten: „Am 16. Januar 2009 um 16:45 Uhr wurden israelische Panzergranaten in das Schlafzimmer meiner Töchter gefeuert. Bessan, Aya und Mayar waren sofort tot, mit ihnen ihre Cousine Noor. Weil das israelische Militär Journalisten den Zugang nach Gaza verboten hatte, gab ich einem israelischen Fernsehreporter jeden Tag ein Telefoninterview. Minuten nach dem Angriff rief ich ihn beim Sender an; er übertrug unser Telefonat in die Sendung. Die Nachricht ging blitzschnell um die Welt.“
Diesen schwer zu ertragenden Anruf findet man noch auf Youtube. Dr. Abuelaish weint, schreit, ruft nach seinen toten Töchtern, beschwört Allah und seinen Journalistenfreund Shlomi Eldar. Der sitzt live in einem Experten-Panel und hat sein Handy auf laut gestellt. Er hält die Leitung, sagt zu seiner Moderationskollegin, dass er nicht wisse, wie er dieses Telefonat unterbrechen könne und dass er es auch nicht unterbrechen werde. Schließlich verlässt er das Studio. Der Anruf, wird man später sagen, habe zum Ende der Militäroperation gegen die Hamas beigetragen, die Israel nach massiven, jahrelangen Raketenbeschuss durch die Terrororganisation begonnen hatte.
Die Inszenierung von Ernst Konarek trägt den Namen des Buches von Izzeldin Abuelaish, „Ich werde nicht hassen“, aber es verzichtet auf die Einspielung des Anrufs oder ähnliche dokumentarische Effekte. Und es entpuppt sich schnell als sehr viel mehr denn nur ein nachgespielter Vortrag, nämlich als Theater in aristotelischer Reinform: eine Nachahmung, die Jammer und Schaudern hervorruft. Und dadurch wieder Platz schafft für rationale Gedanken, einen Möglichkeitsraum in scheinbar chancenloser Situation.
Izzeldin Abuelaish war der erste palästinensische Arzt an einem israelischen Krankenhaus
„Ich werde nicht hassen“ feierte bereits 2014 im Theaterhaus Stuttgart Premiere, seitdem gastierte die Produktion in ganz Deutschland. Und nun, auf Einladung des Theaters der Keller, endlich auch in Köln. Freilich hat sie seit dem 7. Oktober eine ganz neue Dringlichkeit gewonnen.
Mohammad-Ali Behboudi küsst eine kleine Koran-Ausgabe und setzt zum Vortrag an, sachlich, gefasst. Er sei, berichtet er, der einzige palästinensische Arzt, der an einem israelischen Krankenhaus praktiziert, in Be’er Scheva. Zeichnet an der Tafel die Wege aus, die er aus Gaza, seinem Gefängnis, zurücklegen muss. Täglich zu pendeln steht außer Frage, die Wartezeit am Grenzübergang Erez beträgt mehrere Stunden. Hier, sagt Behboudi als Dr. Abuelaish, habe er gelernt, geduldig zu sein und seinen Ärger herunterzuschlucken.
Bald verlässt er die Stütze des Pults und beginnt zu erzählen: von seiner Kindheit im Flüchtlingslager Dschabaliya im Gaza-Streifen. Von seinem Vater, der vor der Vertreibung nach dem Palästinakrieg ein vergleichsweise wohlhabender Bauer war und nun von seiner Arbeit in einer Orangen-Plantage kaum die Familie ernähren kann, man haust zusammengepfercht auf wenigen Quadratmetern. Er erzählt auch von der Schule als einzigen Lichtblick, von der frühen Erkenntnis, dass Bildung sein Ausweg aus der Armut sein kann.
Man fühlt mit, wenn der siebenjährige Junge um drei Uhr früh aufstehen muss, um vor der Schule noch etwas dazuzuverdienen, wenn er beim Koran-Vortrag den Hauptpreis gewinnt, mehr als den Monatslohn des Vaters, und das Geld durch ein Loch in der Hosentasche verliert, woraufhin ihn die Mutter eine Tracht Prügel verpasst, „als wollte sie das Geld aus meinen Knochen schlagen“.
Doch der aufgeweckte Junge bringt noch mehr Geld ins Haus, etwa in dem er für eine jüdische Familie in Israel arbeitet, die sich zu seinem Erstaunen als ganz normale Menschen entpuppen, die ihn herzlich in ihrer Mitte aufnehmen. Seine Geschichte könnte als ganz gewöhnlicher Bildungsroman verlaufen, Medizinstudium in Kairo, weitere Stationen in London und Harvard, wäre die Situation nicht außergewöhnlich.
Denn von allen Seiten frisst sich der Hass in die Herzen: Der jüngere Bruder, der sich Arafats Fatah anschließt; die Patientin, die versucht, mit einem Sprengstoffgürtel in das Krankenhaus zurückzukommen, in welchem er sie gesund gepflegt hat; die israelischen Grenzposten, die ihm auf dem Weg zu seiner sterbenden Frau auf eine bürokratische Odyssee von Grenzposten zu Grenzposten schicken. Behboudi stolpert die an die Wand projizierten Umwege nach, ein Mann am Rande der Verzweiflung.
Als er schließlich erzählt, wie er die zersprengten Körper seiner Töchter erkennt, nachdem eine israelische Panzergranate in sein Haus eingeschlagen ist, hält der Schauspieler die Gefühle im Zaum, der Text spricht für sich selbst, und Behboudi hatte schon kurz zuvor, beim Erwähnen des Namens einer getöteten Tochter, innegehalten und sich gekrümmt, als würde es ihn innerlich zerreißen. Aber er spielt einen Mann, dass man sogar im Angesicht der größtmöglichen Katastrophe weitermachen muss: „Ich habe drei Töchter verloren, aber ich bin noch mit fünf Kindern gesegnet.“
Am Ende setzt er sich auf den Stuhl, dem Publikum gegenüber: „Wir müssen miteinander reden.“
Auf Youtube findet man auch einen Ausschnitt von der Stuttgarter Premiere des Stückes. Izzeldin Abuelaish sitzt mitten im Publikum, die Kamera zoomt ein wenig zu forsch auf ihn. Er ist tief ergriffen, Tränen stehen ihm in den Augen. Aber den Menschen um ihn herum geht es nicht anders.
„Ich werde nicht hassen“ ist noch einmal am 29. Februar und am 1. März im Theater der Keller zu sehen, 20 Uhr