Kölner Theater im Bauturm„Frankenstein” mit weiblicher Doppelspitze inszeniert
Köln – Angst vor großen Werken der Weltliteratur kann man Kieran Joel nicht bescheinigen. Nach Cervantes’ „Don Quichote“ und Melvilles „Moby Dick“ kommt nun Mary Shelleys bahnbrechender Schauerroman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ als seine dritte Regiearbeit auf die Bühne des Theaters im Bauturm. Der Roman der damals erst 18-jährigen Frau beinhaltet in seiner faszinierenden Komplexität nicht zuletzt auch eine Sozialgeschichte.
Die Tragik der Familie Frankenstein – deren Schicksal vom Unvermögen sowohl Victor Frankensteins wie auch seines Geschöpfes herrührt, ihre Isolation und Entfremdung von der Gesellschaft zu überwinden – ist zuvorderst ein Versagen männlicher Gesellschafts- und Familienmodelle. In der Inszenierung von Kieran Joel rücken deshalb die Frauen in den Fokus des Geschehens.
So beginnt das Stück in einer erzählerisch gewagten Vorwegnahme mit dem Kriminalfall der Dienerin und Gesellschafterin der Familie Frankenstein, Justine. Die wird in einem Schnellverfahren anhand von fragwürdigen Indizien des Mordes an Wilhelm, dem kleinen Bruder Victors, angeklagt, zum Tode verurteilt und hingerichtet.
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Die beiden Schauspielerinnen Maike Johanna Reuter und Laina Schwarz, beide erstmals auf der Bühne des Bauturms zu bewundern, spielen deren Opfergang, wie alle weiteren Rollen im Stück im dynamischen Duett, mal gleichzeitig den Text sprechend, mal sich in rascher Folge in den Rollen abwechselnd, wobei die Szene von Justines Hinrichtung seltsam orgiastische Züge annimmt.
Der Sound des Kölner Musikduos Koxette, das gerade noch für schaurig-schöne Klangkulissen sorgte, schwenkt hier ins Rauschhafte, während sich die beiden Darstellerinnen, in Unschuldsweiß gekleidet, mit dem ausgelassenen Gusto eines Holi-Festivals gegenseitig mit rotem Theaterblut bespritzen.
Ganz so, als wolle frau der klassischen Opferrolle, die ihr in Shelleys Geschichte weitgehend zugedacht ist, ein Schnippchen schlagen. Alles andere als akademisch nüchtern vollzieht sich später auch der Schöpfungsprozess, wenn Victor Frankenstein im Anatomiesaal seine Kreatur zum Leben erweckt. Im Bühnenspiel wird daraus ein aufregender Moment der morbiden Metamorphose, der den Schöpfungsakt untrennbar mit dem Sexualakt verbindet.
Die Kunst des Weglassens, in der sich Regisseur Kieran Joel und sein Dramaturg René Michaelsen im Stück üben, ist nicht ohne Risiko. Reihenweise werden bekannte Motive und Handlungsstränge der Geschichte beiseitegelassen und nur Joels gewohnt souverän-verspielter Umgang mit den Meta-Ebenen des Theaters, vermag die Irritationen über den sprunghaften Handlungsverlauf in Grenzen zu halten. In einem Prolog hatte er mittels Off-Ton und Video bereits mit süffisanter Selbstironie den Regisseur als Geistesverwandten des von Hybris und Wissenschaftswahn getriebenen Victor Frankenstein geoutet. Während des Stückes erhalten die beiden Frauen immer wieder Gelegenheit, gegen diese männliche Herrschaft im Regiestuhl lustvoll und lautstark zu opponieren.
Termine: 4. -6., 23.-25. 10.; 3.11.