Kölner TheaterpremiereEine Frau unter Influencern
- Robert Borgmann hat in Köln Henrik Ibsens Klassiker „Nora“ inszeniert und geht dabei mit dem Text nicht zimperlich um.
- Seine „Nora“ spielt in der Welt der Modeblogger und Creative Directors, die Figuren sprechen Influencer-Deutsch.
- Zuerst wähnt man sich in Ben Stillers alberner Filmparodie „Zoolander“. Ob der erste Eindruck täuscht, lesen sie hier.
Köln – Es muss doch mehr im Leben geben, als wahnsinnig, wahnsinnig, wahnsinnig gut auszusehen. Die Frage, auf die Ben Stiller in seiner Mode-Parodie „Zoolander“ nie wirklich eine Antwort findet, dämmert auch der schönen, hippen Nora im Laufe von Robert Borgmanns Überschreibung des Ibsen-Klassikers im Depot 1 des Schauspiel Köln.
Der Regisseur, der wie stets auch sein eigener Bühnenbildner und Komponist ist, hat Hinrich Schmidt-Henkels deutsche Übersetzung von „Nora oder ein Puppenhaus“ in die Modebranche versetzt: Torvald Helmer ist nun also kein angehender Bankdirektor mehr, sondern ein gefragter Fashion-Fotograf und Creative Director, seine Frau Nora missbraucht er als Muse und Lieblingsmodel, ein Gegenstand zum Betrachten, mehr nicht.
Der Anwalt Krogstad, der Nora mit jener gefälschten Unterschrift erpresst, mit der sie einst das Darlehen für den Karrierestart ihres Mannes erschlichen hat, schlägt sich nun als Modeblogger durch; Alexander Angelotta spielt ihn als eigenschaftslosen Ehrgeizling, der noch nicht einmal zum Intriganten taugt, weil ihn schon der geringste Gegenwind umzupusten droht.
Stückbrief
Regie, Bühne, Musik: Robert Borgmann
Kostüm: Bettina Werner
Video, Licht: Carsten Rüger
Mit: Sophia Burtscher, Peter Miklusz, Katharina Schmalenberg, Séan McDonagh, Alexander Angeletta, Kristin Steffen, Justus Maier, Hermann Müller.
Termine: 6., 22. November (jeweils nur noch Restkarten), 4., 12., 13. Dezember, Depot 1, 90 Minuten, keine Pause
Und der todkranke Dr. Rank, dem sich Nora anvertraut, er hat sich in einen tragischen Modedesigner namens Alexander verwandelt. Das „McQueen“ wird wohl jeder Zuschauer automatisch ergänzen, und Séan McDonagh gelingt das Kunststück, aus der kleinen Rolle einen lebendig leidenden Menschen zu formen.
Nicht, dass sich Robert Borgmann hier für echte Menschen und psychologische Durchdringung interessierte. Ibsens Charaktere wirken wie ausgehöhlt, bestehen nurmehr aus glatten Oberflächen, sind Schaufensterpuppen für Insta-Selfies.
Ihre Dialoge hat Borgmann derart brachial mit Influencer-Sprech aufgemöbelt – alles ist mega und wird geliked, weil man ja selbst so open minded ist –, dass man zuerst fürchtet, wirklich in einer Art Zoolander-Version des Ibsen-Dramas gelandet zu sein. Zumal Peter Miklusz den Helmer anfangs als reine Karikatur anlegt: Ein aufmerksamkeitsdefizitärer Hampelmann mit blonder Fusselfrisur. Das ist sehr komisch, verheißt aber nichts Gutes für den Rest des Abends.
Doch dieser erste Eindruck täuscht, beziehungsweise, wir befanden uns im falschen Film. Das leuchtend weiße Studio, die teilnahmslosen Models, die lässig aufgegriffene Spiegelreflexkamera, die bereitstehenden Stative: Diese „Nora“ filtert Ibsen durch Michelangelo Antonionis „Blow-up“ – und Miklusz’ Fotograf gleicht dem im Film von David Hemmings dargestellten, betrachtet man ihn nur durchs umgedrehte Fernrohr. Er ist die Schrumpfmasse von dem, was anno 1966 wohl noch als coole Männlichkeit durchging.
Doch wie Antonioni damals, so interessiert sich auch Borgmann heute weder für Zwischenmenschliches, noch für das Innenleben seiner Figuren, sondern allein für deren fehlenden Bezug zur Realität. Was bleibt, wenn in hoher Auflösung das Bild des Menschen verschwindet?, fragt „Blow-up“. Wohin verschwinden wir zwischen den Bildern, für die wir auf Instagram, etc. posieren?, will diese „Nora“ wissen. Gibt es uns denn überhaupt noch? Rührend, die Verzweiflungsrede, die Katharina Schmalenberg als vom Leben gebeutelte und doch nicht angefasste Kristine an ihren Ex-Geliebten hält: Lass uns eine Familie gründen, fordert sie ihn auf. Oder einen Hund kaufen. Oder einen Urwald pflanzen. Oder Terroranschläge verüben. Alles, was nur irgendwie Sinn und Richtung verspricht, wäre willkommen. Doch die Beliebigkeit der Aufzählung verrät bereits, dass jedweder Zukunftsplan doch nur als Material für das nächste Social-Media-Update enden würde.
Und die Titelheldin? Am Anfang stolziert Sophia Burtscher zusammen mit den anderen Models im hautengen Nude-Overall mit schwarzen Stiefeln durchs Atelier. Ein braves, stolzes, gelegentlich biestiges Pferd. Immer die Erste im Ziel, aber auf festen Bahnen. Als sie sich in ihrer Komfortzone bedroht sieht, reagiert sie mit flirten, betteln, greinen. Wie ein Kind.
Erst als die leidige Erpressungsgeschichte allen ihren Bemühungen zum Trotz mit einem WhatsApp-Ping doch noch ans Tageslicht kommt und ihr kontrollverliebter Creative Director völlig die Contenance verliert (inzwischen steht er völlig nackt da, während sie sich in einen dicken Mantel hüllt), ereilt sie die Erkenntnis , dass es mehr im Leben geben muss, als wahnsinnig, wahnsinnig, wahnsinnig gut auszusehen.
Der nackte Modefotograf
Die knallende Tür bleibt an diesem Abend aus, Nora verschwindet geräuschlos. Das einzige, was man hört, ist das Klicken der Kamera eines Helmer-Doubles, das den nackten, sich auf dem Boden krümmenden Fotografen ins Objektiv nimmt.
Selten vergehen anderthalb Stunden im Theater so rasant. Borgmanns Inszenierung ist schlank, schlüssig und durchaus verliebt in die schöne Oberfläche, die sie kritisiert. Ja, man hat schon tiefer bohrende „Noras“ gesehen, aber selten so deutlich die Erkenntnis, dass wir längst alle in einer selbstgebastelten Puppenstube leben.