Kölner Wallraf-Richartz-MuseumDie Welt geht unter, aber zum Schnäppchenpreis
Köln – Die antiken „Metamorphosen“ des Ovid enthalten mindestens so viele moralische Geschichten wie die Bibel, doch für Moralapostel aller Zeiten liefert das üppige Personal griechischer Götter zu viele abschreckende Beispiele, um noch als seriöse Anleitung zum tugendhaften Leben durchzugehen. Bei den Künstlern waren Ovids Verse genau aus diesem Grund stets sehr beliebt – sie blätterten in den Verwandlungen wie in einer zweiten, etwas weniger sittenstrengen Bibel.
Der „Sturz des Phaeton“ ist ein antiker Blockbuster
Eine gewisse moralische Unschärfe liegt auch über der Katastrophenlandschaft, die der junge Frans Francken 1606 auf eine kleine Kupferplatte bannte. Der Spross einer flämischen Malerfamilie erzählt darauf den Ovid‘schen Phaeton-Mythos, also die Geschichte eines von seinem Vater verleugneten jungen Manns, der seinen Erzeuger, den Sonnengott Apollo, schließlich zur Rede stellt und dem reumütigen Papa als Zeichen der Anerkennung das Versprechen abnimmt, ihm einen Wunsch, gleich welchen, zu erfüllen.
Leider will Phaeton in eitler Selbstüberschätzung (oder um Apollo zu beweisen, dass er seiner würdig ist) eine Runde mit dem väterlichen Sonnenwagen drehen, und so nimmt das Unglück seinen Lauf.
Francken hält den Moment fest, als alles schon zu spät ist. Phaeton hat die Kontrolle über die feurigen Rösser des Sonnenwagens verloren, ist aus der kosmischen Bahn geraten und der Erde so nahe gekommen, dass dort ganze Landstriche verbrannt und halbe Meere unter der Sonnenhitze verdunstet sind. Auf Franckens Gemälde japsen Fische und Meeresgötter sehr eindrucksvoll auf dem Trockenen nach Luft, rötlich verfärbte Menschen taumeln wehklagend durch- und übereinander, und einige weibliche Wesen mit Insektenflügeln wundern sich über die Aschewolken, die den irdischen Himmel verdunkeln.
Am oberen Bildrand hat Jupiter gerade einen Blitz auf den Sonnenwagen geschleudert, um zu retten, was zu retten ist. Phaeton und die Rösser stürzen in den sicheren Tod, aber wenigstens versinkt die Welt nicht zurück in jenes Chaos, aus dem sie einst geboren wurde.
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Mit diesem turbulenten Frühwerk schließt das Kölner Wallraf-Richartz-Museum eine Lücke in der eigenen Barocksammlung – bislang fehlte dort ein Gemälde des für seine Affen- und Atelierbilder berühmt gewordenen Frans Francken der Jüngere (1581-1642). Mit dem „Sturz des Phaeton“ wollte sich der Spross einer flämischen Malerfamilie wohl von der Familientradition emanzipieren, so Anja Sevcik, Barock-Kuratorin am Wallraf, und sich möglicherweise beweisen, dass er zu Höherem ausersehen sei. Genau lässt sich das zwar nicht mehr rekonstruieren. Aber die Idee ist reizvoll genug: Francken siegt dort, wo Phaeton an sich selbst und der väterlichen Bürde gescheitert ist.
Mit dieser biografisch gefärbten Botschaft würde Francken die klassische barocke Auslegung des Phaeton-Mythos geradezu ins Gegenteil verkehren. Letztere legt dem Betrachter nahe, die eigenen Temperamente und den eigenen Ehrgeiz auf ein verträgliches Maß zu zügeln, Francken scheint sich eher an eine andere, ins Künstlerische gewendete Moral zu halten: Wer nichts wagt, der nichts gewinnt. Auch Phaeton stirbt immerhin mit der Gewissheit, dass er sich Großes zugetraut hat – und außerdem sein Vater die Schuld an allem trägt.
Das Gemälde wurde bei für 120.000 Pfund bei Sotheby's ersteigert
Den Zuwachs der Sammlung verdankt das Wallraf seinem Freundeskreis engagierter Bürger, den, so Frank Zurlino, das Vermächtnis eines verstorbenen Mitglieds in die Lage versetzt hatte, um das beim Londoner Auktionshaus Sotheby’s angebotene Werk mitbieten zu können. Sotheby’s hatte den „Sturz des Phaeton“ auf 20.000 bis 30.000 Pfund geschätzt, ein geradezu läppischer Preis, nicht nur, wenn man ihn mit denen am Markt für moderne Kunst vergleicht. Am Ende bekamen die Freunde den Zuschlag allerdings erst bei rund 120.000 Pfund (plus Aufgeld) und damit nahe der eigenen Schmerzgrenze.
Wallraf-Direktor Marcus Dekiert sieht im Ankauf trotzdem ein gutes Geschäft zu seinen Gunsten, denn wenn so ein Werk erst einmal bei einem Händler gelandet sei, steige der Preis noch einmal gehörig. Zudem sei das Gemälde nicht nur wunderbar erhalten, so Dekiert, sondern auch marktfrisch. Zuvor hatte es als private Leihgabe zur Sammlung des Kunstmuseums Olmütz (Tschechien) gehört, war dort aber nicht ausgestellt worden. Im Wallraf wird der stürzende Jüngling ab 3. Juni in der Ausstellung „Sensation des Sehens“ erstmals gezeigt.