Im Kölnischen Kunstverein war ein Werk zu sehen, in dem es um die Debatte um Antisemitismus auf der Documenta geht. Ein Kölner Bündnis sieht darin selbst einen möglichen Fall von Antisemitismus, der Kunstverein bestreitet dies.
Kölnischer KunstvereinBündnis sieht Antisemitismus in ausgestelltem Werk
Das Kölner Bündnis gegen Antisemitismus wirft dem Kölnischen Kunstverein in einer Pressemitteilung und auf seiner Facebook-Seite vor, ein tendenziell antisemitisches Werk der peruanischen Künstlerin Daniela Ortiz zu zeigen. Auf der vierteiligen Bilderserie, so Nadine Schneider, Sprecherin des Bündnisses, unterstelle Ortiz „denjenigen, die die antisemitische Ikonographie auf der documenta fifteen kritisierten, pauschal eine rassistische Motivation“. Zudem werde „eine ‚stolze Unterstützung‘ der antisemitisch dominierten BDS-Bewegung, zumindest auf der Ebene der Ikonographie, gefordert“.
Das kritisierte Werk von Daniela Ortiz ist Teil der Jahresgaben
Nadine Schneider schreibt dazu: „Vor dem Hintergrund der Debatten um die Ereignisse im Rahmen der documenta fifteen sind wir sehr erstaunt, dass unter Umständen der antisemitisch dominierten BDS-Bewegung oder der Verharmlosung dieser ein Forum in den Räumen des renommierten Kölnischen Kunstverein geboten wird. Diese Irritation ist insbesondere auch dadurch begründet, dass die Ausstellung „Game of No Games. Anleitung zu beschwingtem Gehen“ vom Kulturamt der Stadt Köln gefördert wird. Der Rat der Stadt Köln hat sich in der Resolution ‚Kein Raum für Antisemitismus‘ vom 5. Juli 2018 eindeutig gegen die BDS-Bewegung positioniert.“
In einer Hinsicht unterliegt Nadine Schneider einem Irrtum. Die Bilderserie von Daniela Ortiz ist nicht, wie von ihr angenommen, Teil der aktuellen Ausstellung im Kunstverein, „Game of No Games“. Sie gehört vielmehr zu den „Jahresgaben“ des Kunstvereins, die von dessen Mitgliedern erworben werden können. Der Vorwurf, dass der Kunstverein (und damit indirekt auch die Stadt Köln, die den Kunstverein finanziell unterstützt) der umstrittenen BDS-Bewegung und letztlich dem Antisemitismus Vorschub leiste, bleibt davon selbstredend unberührt.
Auf einem Plakat ist von stolzen Unterstützern des BDS die Rede
Aber zeigt die Bilderserie tatsächlich das, was Schneider darin erkennt? Auf der ersten Tafel sieht man einen Olivenbaum, der, so die Bildunterschrift, in Deutschland aus der Erinnerung an die vom deutschen Faschismus, Kolonialismus und Rassismus getöteten Menschen gewachsen sei. Der Geist der „unfairly killed“ habe dem Baum die Kraft gegeben, weit entfernt von seiner Heimat Palästina zu wachsen. Auf der zweiten Tafel sieht man dunkelhaarige Flüchtlinge aus Palästina vom Baum gefallene Oliven sammeln, um aus ihnen ein „herrliches Mahl“ zu machen. Die Einheimischen, dargestellt durch eine blonde Frau, würden hingegen nicht einmal erkennen, welches Geschenk der Olivenbaum mit seinen Früchten sei.
Auf dem dritten Bild zeigt Daniela Ortiz eine blonde deutsche Frau und einen blonden deutschen Mann, die auf Olivenkernen ausrutschen und zu Boden stürzen. Sie stehen laut Bildunterschrift für das externe Beratergremium, das gefordert hatte, einige als antisemitisch eingestufte Werke von der Documenta zu entfernen. Für Ortiz sind die kritisierten Werke jedoch „antikolonialistische Arbeiten großartiger Künstler aus dem globalen Süden“ und die vorgeschlagenen Zensurmaßnahmen rassistisch motiviert. Neben die gefallenen Berater hat Ortiz zwei Palästinenser mit Plakaten gezeichnet, auf denen „Befreit Palästina von deutscher Schuld“ und „Stolzer Unterstützer des BDS“ steht. Auf dem Schlussbild wird dies noch einmal aufgegriffen: Ein Mann schwenkt die palästinensische Fahne, darunter hat Ortiz geschrieben: Dank der starken Wurzeln des Olivenbaums ist Palästina nun frei von gewalttätiger deutscher Schuld.
Ortiz greift in ihrem Werk in märchenhafter Erzählform ein gängiges Argument der Documenta-Debatte auf, nach dem die Deutschen aufgrund ihrer historischen Schuld im Konflikt zwischen Israel und Palästina einseitig für die israelische Seite Partei ergreifen würden. Dieser „Schuldkomplex“, versinnbildlicht durch den Olivenbaum, führt bei Ortiz dazu, dass die Deutschen blind für die Verbrechen sind, die Israel an den Palästinensern verüben sollen. Die in Deutschland lebenden Palästinenser ziehen hingegen, da frei von deutscher Schuld, die richtigen Schlüsse aus der Erinnerung und setzten sich gegen die israelische Besatzung zur Wehr.
Sowohl das Argument als auch die Darstellung bei Ortiz sind sicherlich tendenziös und problematisch. Aber leistet Ortiz bereits dem Antisemitismus Vorschub, indem sie die gegen die israelische Palästina-Politik gerichtete BDS-Bewegung als Ausdruck palästinensischer Interessen zeigt? Und kann man aus der Bilderserie tatsächlich ableiten, dass Kritik an der Documenta pauschal als rassistisch diffamiert werde?
Im Gespräch mit dieser Zeitung gibt Nikola Dietrich, Leiterin des Kunstvereins, an, dass sie das Werk am 21. November, wenige Tage, nachdem sie die erste Mail des Bündnisses erhalten habe, aus der Präsentation der „Jahresgaben“ genommen habe. „Wir sahen, dass es missverstanden werden könnte“, so Dietrich. Die Kritik kann sie gleichwohl nicht nachvollziehen. Für Dietrich sei es Ortiz vor allem um die Art und Weise gegangen, wie auf und an der Documenta Kritik geübt wurde. „Die Aufarbeitung der Documenta hat gerade erst begonnen“, so Dietrich. „Die Debatte sollte geführt werden, auch darüber, wie es möglich ist, Stimmen aus dem globalen Süden ohne Feindseligkeit anzuhören.“
Nadine Schneider war bis Redaktionsschluss nicht zu erreichen. Das Bündnis gegen Antisemitismus Köln ist laut Eigenauskunft eine „Initiative verschiedener gesellschaftskritischer Gruppen und Einzelpersonen aus Köln“, die sich im Juli 2014 als Reaktion auf den erstarkenden Antisemitismus in der BRD und in Europa gegründet habe.