Kölnischer KunstvereinSo legt John Russell die Besucher hundsgemein herein
Köln – Am Anfang seiner Karriere, erzählt Nikola Dietrich, habe John Russell gerne Pressetexte von Galerien oder Museen veralbert und die von ihm entstellten Texte als Kunstwerke per Fax verschickt. Insofern war es wohl reiner Selbstschutz, dass die Direktorin des Kölnischen Kunstvereins Russell einen wesentlichen Teil der Pressemitteilung zu seinem Kölner Gastspiel selbst abfassen ließ. „Hallo… hallo… wuff wuff wuff!“ ist dann auch erfreulich frei vom üblichen Kunstjargon. Aber was will uns Russell damit sagen?
John Russell verfilmt auch Beckett-Dramen neu
Zu viel versprochen hat der knapp 60-jährige Brite jedenfalls nicht. Im Treppenhaus wartet ein kleines Hunderudel aus Pappmaché auf die Besucher, um sie auf und ab durch den Kunstverein zu führen. Allerdings ignorieren wir die süßen Mischlinge zunächst und biegen in die große Ausstellungshalle ab. Hier hat Russell eine 40 mal zehn Meter umfassende Meereslandschaft in Google-Earth-Optik als Vinylteppich ausgerollt, die wie eine große Pfütze auf dem Betonboden steht. Unter der künstlichen Wasseroberfläche scheinen sich ein Oktopus, Flipper, der Delfin, Seerosen und Goldfische zu tummeln, aber man schaut auch in das nasse Grab einer versunkenen Stadt. Am Ufer schnuppert ein Hund, an der Wand sitzen auf lange Drähte gespießte Fliegen.
John Russell schließt hier an die alte Kunst der Augentäuscherei an und hat diese auf modernistisch-geniale Weise perfektioniert. Wer glaubt, der Digitaldruck wäre auf den grauen Fußboden der Ausstellungshalle geklebt, irrt sich nämlich gewaltig; auch der Beton ist appliziert. Es ist eine wunderbare Verschwendung: Die verführerisch schillernde Wasserwelt hat allein den Sinn, uns über die wahre Natur des tristen Betonbodens hinwegzutäuschen.
Offenbar ist Russell ein Mann abgründigen Humors und verwegener Einfälle. Der Verdacht bestätigt sich im Kino des Kunstvereins, wo Russells einstündiger Film „Earley“, eine Aktualisierung von Samuel Becketts absurdem Theater, in Dauerschleife läuft, und im Keller, wo wir einem vor Kraft strotzenden gelben Sündenbock begegnen. Dass dieser so prächtig in Form ist, liegt, so Russell, an einem Bock-Bildnis im Obergeschoss, auf das die Sünden der Welt in Dorian-Gray-Manier übergegangen sind. Allerdings klingt die Idee in diesem Fall besser, als die Umsetzung gelungen ist. Auf dem Fiberglas-Relief lässt sich das Tier nicht einmal erahnen.
Russells Hundestaffel geleitet uns auch unters Dach zu einer Installation des mittelamerikanischen Künstlers José Montealegre. Sie besteht aus naturalistisch geformten Pflanzenskulpturen aus Kupfer, die auf bunten Glasfliesen, Keramikplatten oder einer Plexiglasfläche sprießen. Man ist geneigt, Montealegres filigrane Handwerkskunst zu bewundern, wobei die akademische Vorarbeit offenbar deutlich zeitraubender war. Die kleine Pflanzenkunde geht auf ein botanisches Archiv zurück, das spanische Eroberer aus den mittelamerikanischen Kolonien heimbrachten.
José Montealegre formt Pflanzenskulpturen aus Kupfer
Laut Montealegre bilden die Beschreibungen und Illustrationen in diesem 1628 publizierten Kompendium einen Wissensschatz, der sich heute kaum noch erschließt. Sie eignen sich daher bestens für die buchstäblich ins Kraut schießende künstlerische Fantasie. Montealegre übersetzt die Zeichnungen in eine andere Sprache und hofft auf diese Weise, die ausbeuterische Absicht des botanischen Archiv hintertreiben zu können.
„John Russell: Cavapool“ und „José Montealegre: Nervous System“, Kölnischer Kunstverein, Hahnenstr. 6, Di.-So. 11-18 Uhr, bis 16. Oktober