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Kölnischer KunstvereinWie Amanda van Hesteren den männlichen Blick umkehrt

Lesezeit 4 Minuten
Vier junge Männer posieren und lümmeln am Pool.

Filmstill aus „I Want to go Higher“ von Amanda van Hesteren. Der Kurzfilm ist derzeit im Kölnischen Kunstverein zu sehen.

In den Filmen von Amanda van Hesteren geht es um Sex, Macht und Familienbande. Sie feiern jetzt Deutschlandpremiere in Köln.

„Du bist außen schwarz und innen weiß“, sagt Shirley halb tadelnd, halb erleichtert zu ihrer Tochter, die nicht verstehen will, warum ihre Mutter in letzter Zeit so häufig von Rassismus spricht. Sie selbst habe nichts dergleichen erlebt, meint die Tochter, und die Mutter habe doch eine schöne Karriere gemacht. Worauf Shirley, die im Personalwesen arbeitet, von einem Nachbarn erzählt, der sie freundlich gefragt habe, wohin sie denn jeden Morgen zum Putzen gehe.

Im Kölnischen Kunstverein sind vier Filme von Amanda van Hesteren in Endlosschleife zu sehen

Die Tochter heißt Amanda van Hesteren, eine Filmemacherin aus Amsterdam, die ihre aus Surinam stammende Mutter freimütig aus dem Familiennähkästchen plaudern lässt. „Mama und ich“ sieht aus und hört sich an wie ein mustergültig verwackeltes Heimvideo, nur dass es zugleich ein kluger 15-minütiger Dokumentarfilm über Alltagsrassismus und eine Mutter-Tochter-Beziehung ist. „Ich habe dich immer nachgeahmt“, behauptet Amanda, „ich bin eine Kopie von dir.“ Aber das stimmt schon deswegen nicht, weil sie hellhäutiger als ihre Mutter ist.

Eine junge Frau filmt ihre Mutter, die im Stuhl sitzt und liest.

Filmstill aus „Mama und ich“ von Amanda van Hesteren

Natürlich ist Hesteren das nicht entgangen, und sie weiß auch, welche Bedeutung darin liegt. Aber sie erzählt von Hautfarben und Rassismus eher nebenbei in vier tagebuchartigen Videos, die jetzt im Kino des Kölnischen Kunstvereins in Dauerschleife zu sehen sind. Alle Filme drehte Hesteren ganz oder teilweise auf Urlaubsreisen, die beiden frühesten sind Porträts ihrer Urlaubsflirts. Oder geht es hier um Sextourismus? Auf Jamaika lernt sie Clive kennen, und das Machtgefälle zu ihren Gunsten ist auch deswegen offensichtlich, weil Hesteren meistens die Kamera führt – der weibliche Blick auf den männlichen Körper ist ein Generalthema der Videos.

Man kann nur ahnen, ob es eine heimliche Genugtuung für Hesteren war, als Clives Freundin, die es angeblich gar nicht gibt, sie per Whatsapp als „weiße Schlampe“ beschimpft; im Film lacht sie sich gemeinsam mit ihrer Freundin scheinbar ungläubig darüber schlapp. Auf Thailand hatte die damals 23-jährige Hesteren einen Serben kennen und „lieben“ gelernt, der sich, wie er selbst sagt, daheim von einer älteren Frau aushalten lässt. Rassismus ist in diesen Filmen ebenso wenig das alles beherrschende Thema wie Geschlecht. Macht und sexuelle Unabhängigkeit (oder eben Verfügbarkeit) sind in ihnen eine Frage des Gelds.

Macht und sexuelle Unabhängigkeit (oder eben Verfügbarkeit) sind eine Frage des Gelds

Bei der 33-jährigen Filmemacherin gehen politisches Bewusstsein und der Bekenntnisdrang der Social-Media-Welt ein ebenso freizügiges wie offenherziges Verhältnis ein. Im letzten Teil dieser locker gefügten Tetralogie begleitet Hesteren ihren Bruder, ein Model, nach Thailand, wo er sich mit drei Modelfreunden zum Fitnesstraining, Ausspannen und Posten trifft. Auf der internationalen Kurzfilmplattform This is Short gehört „I Want to go Higher“ zu den beliebtesten Filmen, vermutlich auch, weil Hesteren das Genre des Sozialsoftpornos hier sehr gekonnt bedient. Selten kommt man schönen jungen Männern, die gut davon leben, sich vor der Kamera zu produzieren und überdies ausreichenden Zugang zu Drogen haben, so nahe wie in den 23 Minuten dieses Videos.

Mitunter zeigt sich bei den männlichen Models ein Unbehagen darüber, begehrt zu werden und vom Begehren der anderen zu leben – also ein Sexsymbol zu sein. Aber nur Jamal redet offen darüber, dass ihm sein Aussehen den Aufstieg aus der Misere ermöglicht hat. Die offensive Schamlosigkeit seiner in den Film eingebundenen sozialen Posts verdeckt die bleibende Scham der Armut. Hesteren hält sich hier vergleichsweise zurück, sie ist weniger Akteurin als stille Beobachterin. Erst gegen Ende meldet sie sich als Regisseurin zu Wort. Sie seien doch Models, sagt sie zu den Männern am Pool, ob sie nicht mal posieren könnten. Und plötzlich wird aus dem Direct Cinema eine vollendete Inszenierung.

Amanda van Hesterens Filme feiern im Kino des Kölnischen Kunstvereins allesamt ihre Deutschlandpremiere. Als Ausstellung sind sie eher ein Zwischenspiel, der große Saal wird anderweitig gebraucht. Aber das kurzweilige Programm ist alles andere als eine Verlegenheitslösung. Man findet in dieser Endlosschleife aus Sex, Macht und Familienverhältnissen jederzeit etwas, das sich lohnt.


„Amanda van Hesteren: If All This Was Fiction. Films 2016-2023“, Kölnischer Kunstverein, Hahnenstr. 6, Köln, Di.-So. 11-18 Uhr, bis 5. Mai 2024