Kölsch-Sänger Gerd Köster„In meiner Branche stehen einige kurz vorm Kollaps“
Köln – Am 12. März feiert das Stück „Automatenbüffet“ in der Volksbühne am Rudolfplatz Premiere. Mit der aufwendigen und prominent besetzten Produktion feiert die Kölner Besucherorganisation Freie Volksbühne ihren 100-Jährigen Geburtstag. Wir sprachen mit Regisseurin Susanne Schmelcher und Gaststar Gerd Köster, der hier zum ersten Mal seit 21 Jahren wieder als Schauspieler zu sehen ist.
Susanne Schmelcher, der Kölner Verein Freie Volksbühne wird 100 Jahre alt und feiert das mit Anna Gmeyners „Automatenbüffet“ aus dem Jahr 1932. Warum haben Sie als Regisseurin gerade dieses Stück ausgesucht?
Susanne Schmelcher: Wir wollten ein Stück aus dieser Zeit vor 100 Jahren finden und wir wollten herausfinden, welche Wagnisse man im heutigen Volkstheater überhaupt eingehen kann. Ich fand es gut, eine weibliche Stimme zu finden, noch dazu eine jüdische Autorin, die zu Unrecht vergessen wurde – was natürlich stark mit dem Nationalsozialismus zusammenhängt. Und dann wurde „Automatenbüffet“ ja auch kurz darauf in Wien gespielt.
Barbara Freys Inszenierung am Akademietheater wurde zum Berliner Theatertreffen eingeladen, auch im Fernsehen übertragen. Haben Sie mal reingeguckt?
Schmelcher: Ich habe in den Trailer reingeschaut: Das sind wahnsinnig gute Leute, aber es ist nicht das, was wir hier in Köln mit dem Automatenbüffet erzählen wollen.
Zu Stück und Jubiläum
„Automatenbüffet“, eine Koproduktion der Freien Volksbühne mit dem Theater im Bauturm und der Volksbühne am Rudolfplatz feiert am 12. März ihre Premiere ebendort. Regie führt Susanne Schmelcher, es spielen u. a. Gerd Köster, Susanne Pätzold, Nicole Kersten, Nele Sommer, Marc Fischer, Daniel Breitfelder und Jonathan Schimmer.
Der Verein Freie Volksbühne wurde vor 100 Jahren, im März 1922, in Köln gegründet. Er knüpfte an die Freie-Volksbühnen-Bewegung an, die um 1890 in Berlin begonnen hatte und Kultur für jede Gesellschaftsschicht, frei von Zensur ermöglichen wollte. Heute bietet der Verein Freie Volksbühne seinen Mitgliedern mit dem Kölner-Kultur-Abo Eintrittskarten zu reduzierten Preisen an.
Apropos wahnsinnig gute Leute: Gerd Köster, sie standen schon lange nicht mehr in Köln als Schauspieler auf einer Bühne.
Gerd Köster: Vor 21 Jahren zum letzten Mal. Ich würde auch nicht mehr fest in einem Ensemble spielen und die würden mich auch nicht mehr wollen. Aber die Idee, das Volkstheater wieder zu beleben, finde ich klasse. Und zwar nicht mit Millowitsch-Schwänken, sondern mit einem vernünftigen Theaterstück, das aber nicht nur die Bildungselite anspricht.
„Automatenbüffet“ ist die erste Eigenproduktion an der Aachener Straße seit dem Ende des Millowitsch-Theaters. Wie sieht die Zukunft des Volkstheaters aus?
Köster: Also ich war immer ein großer Fan von Trude Herrs Theater im Vringsveedel. Das war nicht immer gut, aber es gab immer fünf, sechs Szenen für die es sich gelohnt hat. Als ich Susanne das erste Mal traf, war ich ziemlich baff: Sie hat sich wirklich in unseren Köster-Hocker-Songfundus reingewühlt. Als Nicht-Kölnerin wahrscheinlich unter großen Schmerzen. Zuerst dachte ich: Das kann ja nicht sein, da kommt eine Szene und dann singe ich einen Song von mir.
Aber wir weben das ein, manchmal kommt nur ein Ströphchen oder ein Refrain, hier und da habe ich die Texte geändert. Auch die Kollegen singen, eine große Freude, das zu hören. Ich habe auch das Musical „Himmel un Kölle“ in der Volksbühne gesehen, da spricht auch keiner gossenreines Kölsch, aber ich finde es sehr charmant, wenn man sich der Mundart wieder zuwendet.
Schmelcher: Dadurch, dass wir die Songs von Gerd dabei haben, haben wir automatisch eine Aktualisierung und einen Bezug auf Köln, ohne dass man dies dem Stück aufzwingen muss.
Köster: Dass da jetzt ein paar kölsche Songs kommen passt zur Absurdität des Stückes. Kennt man weder Songs noch Stück, könnte man eventuell sogar glauben, die wären für das „Automatenbüffet“ geschrieben.
Und der schauspielerische Teil, Herr Köster: Ist das wie Radfahren und man verlernt es nicht?
Köster: Ich konnte das ja nie! Was die Sprache angeht: Ich habe viele Hörbücher eingelesen. Aber in Körpersprache und Mimik kann ich mit den Kollegen nicht mithalten. Ich gebe mir Mühe und habe eine kluge Regisseurin, die sieht, was ich nicht kann.
Wo wir von Aktualisierungen sprachen: Es gibt eine Diskussion darüber, inwieweit sich die 2020 Jahre mit den 1920ern vergleichen lassen: Populistische Führer, erodierende Demokratien …
Schmelcher: Im Stück heißt es ja auch: Europa ist ein Pulverfass, in dem jeden Augenblick der zündende Funke fallen kann. Im Grunde zeigt Gmeyner einsame Menschen. Die stehen am Rande, mit einem Fuß im Selbstmord. Und sie zeigt eine Gesellschaft, die von Ideen aufgepeitscht wird, die ganz schnell in gefährliche Visionen kippen können.
Auch bei uns sind nach zwei Jahren Corona die rechten Tendenzen nicht einfach verschwunden. Ich habe viele Stücke gemacht, die sich mit dieser Zeit befassen. Wir sollten herausfinden, was das für eine Situation war, aus der dieser Nationalsozialismus entstanden ist.
Köster: Im im Hinterkopf bleibt das ja dauerpräsent.
Schmelcher: Nicht umsonst haben wir einen Song von dir drin, in dem es um die Kölner geht, die sagen, es wird gar nichts passieren. Und am Ende brennt eine Synagoge ab …
Köster: … und wir singen: „Et kütt, wie et kütt“. Eine Coverversion von Del Amitri „Nothing ever happens“, ich habe nur den letzten Refrain dazu gefügt.
Schmelcher: Steckt man in der Situation fühlt sich das Leben ganz normal an. Dann schaut man sich zum Beispiel die Wahlergebnisse von vor ein paar Jahren an und denkt sich, oh je, habe ich da irgendwas nicht mitgekriegt?
Diese vereinsamten Menschen in „Automatenbüffet“, das könnten ja auch wir nach zwei Jahren Home-Office und Lockdown sein?
Schmelcher: Wir thematisieren das zwar nicht direkt, aber irgendwie sind wir doch alle aufgerieben von den vergangenen zwei Jahren. Das ist auch bei uns im Team so: Jeder ist ständig auf sich zurückgeworfen …
Köster: Das Nervenkostüm hat definitiv ein paar Löcher bekommen. Im Theater hat sich unheimlich viel in der Schublade angestaut und in meiner Branche, die ja nicht so weit davon weg ist, sind sogar einige kurz vorm Kollaps.
Sie konnten ja auch selbst kaum auftreten.
Köster: Wenig. Im Herbst haben wir schon einiges gespielt, unter eingeschränkten Bedingungen. Aber einige Leute, die Tickets gekauft hatten, kamen nicht. Viele Leute wollen nicht mehr in geschlossene Räume gehen.
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Viele haben sich im Laufe der Pandemie daran gewöhnt, auf dem Sofa zu bleiben. Das ist ein Problem für eine Besucherorganisation wie die Freie Volksbühne. Kann ein Angebot wie „Automatenbüffet“ helfen, neue Publikumsschichten zu finden?
Köster: Das können wir natürlich noch nicht sagen. Nur: Wenn man es nicht versucht, findet man es nie heraus.
Schmelcher: Wir versuchen das Konzept Volksbühne umzusetzen, in dem wir in unsere Kunstwelt verschiedene Formen einschließen, mit Gerd, mit Susanne Pätzold, die von der Comedy kommt, mit den Leuten vom Bürgerchor. Ein Theaterabend soll mich zum Lachen bringen und gleichzeitig etwas anstoßen. Mir ist auch wichtig, dass die Zuschauer sehen können, dass da verschiedene Menschen auf der Bühne stehen.
Dass sie sehen: Hier beschäftigt sich jemand mit einem gesellschaftlichen Mikrokosmos, der das eigene Veedel sein könnte. Man findet hier sowohl die eigenen Lächerlichkeiten wieder, als auch die Gefahren, die auf einen lauern.
„Automatenbüffet“ feiert am 12.3. Premiere. Weitere Termine: 13., 28., 29. März, 3., 26. April