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Kolumne „Brandbriefe“Eine Koalition mit dem BSW in Thüringen lässt Schlimmes befürchten

Lesezeit 4 Minuten
Prof. Dr. Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora Weimar Thüringen

Jens-Christian Wagner, Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

Jens-Christian Wagner, Direktor der Gedenkstätte Buchenwald, über die besorgniserregenden Gemeinsamkeiten von BSW und AfD.

Fast sechs Wochen nach der Landtagswahl gibt es in Thüringen noch immer keine neue Regierung, ja noch nicht einmal Koalitionsgespräche. Es wird noch immer zwischen CDU, BSW und SPD sondiert – „mit guter Laune und in entspannter Atmosphäre“, wie die Thüringer CDU am vergangenen Dienstag via X, vormals Twitter, wissen ließ. Für gute Laune besteht indessen kaum ein Grund. Sollte es tatsächlich zur sogenannten Brombeer-Koalition kommen, hätte diese im Landtag keine eigene Mehrheit und wäre auf die Stimmen der Linken oder Abweichler aus der AfD angewiesen. Und fragil wäre das Dreierbündnis noch aus einem weiteren Grund: Das BSW ist eine Mischung aus antiliberalem und antiwestlichem Ressentiment, Putin-Propaganda, Nationalismus, Xenophobie, autoritärer Kaderpartei und DDR-Nostalgie. In ihm steckt zehnmal mehr SED als in der Linken, mit der die CDU eine Zusammenarbeit ausschließt.

Aber nicht nur inhaltlich wäre der Bogen bis zum Zerreißen gespannt: Die Thüringer BSW-Führung ist offenbar vollkommen abhängig von Parteichefin Sahra Wagenknecht. Die ließ vor der Aufnahme der Sondierungsgespräche wissen, dass sie persönlich in einem Gespräch mit CDU-Chef Mario Voigt ihre Bedingungen „klären“ wolle, bevor die Thüringer Parteivorsitzende Katja Wolf mit ihm über eine Koalition sprechen darf – ein recht eigenwilliges Demokratieverständnis, auch der eigen Partei gegenüber.

BSW und AfD überschneiden sich in ihrer Nähe zu Putin und der Hetze gegen „Wokeness“

Welche Positionen Katja Wolf vertritt, ist derweil unklar. Zwei Wochen vor der Wahl kündigte sie im MDR an, Anträgen der AfD im Landtag gegebenenfalls zustimmen zu wollen. Es dürfe keine „ideologischen Scheuklappen“ geben. Das lässt Schlimmes befürchten, zumal es inhaltliche Überschneidungen zwischen den beiden Parteien gibt, nicht nur hinsichtlich der Nähe zu Russlands Diktator Putin und beim Antiamerikanismus, sondern auch in der Migrationspolitik und bei der populistischen Hetze gegen die links-grüne „Wokeness“: Die Wahlplakate von AfD und BSW ließen sich kaum auseinanderhalten: „Rechnen statt Gendern“, forderte der BSW, und bei der AfD hieß es: „Deutsch statt Gendern“.

Auch beim Thema Corona-Schutzmaßnahmen gibt es Überscheidungen, beide Parteien fordern einen Corona-Untersuchungsausschuss und bedienen damit Narrative der verschwörungsideologischen Pandemieleugner-Szene. Noch vor Aufnahme der Koalitionsgespräche hat das BSW einen Antrag auf Einrichtung eines Corona-Untersuchungsausschusses in den Landtag eingebracht. Damit das nötige Fünftel der Stimmen für den Antrag zusammenkommt, könnte das BSW auf Stimmen aus der AfD angewiesen sein.

Thüringen könnte sich von der liberalen Demokratie westlichen Zuschnitts weiter entfremden

Doch auch wenn das BSW Abstand zur AfD halten sollte, bleibt das Problem bestehen, dass Parteichefin Wagenknecht der Koalition ihre antiwestliche und antiliberale Agenda aufnötigt und damit Positionen regierungsamtlich werden, die auch in der AfD vertreten werden. Wie nah Wagenknecht der AFD inhaltlich in vielen Belangen steht, hat sie beim Gespräch mit AfD-Chefin Alice Weidel in Welt-TV am vergangenen Mittwoch gezeigt. Die politische Kultur in Thüringen könnte sich damit bei einer Regierungsbeteiligung des BSW von der liberalen Demokratie westlichen Zuschnitts weiter entfremden und der AfD damit den Acker bestellen.

Was bedeutet all das für die Gedenkstätten? Eines unterscheidet das BSW von der AfD diametral: Es verbreitet keinen Geschichtsrevisionismus, zumindest nicht zum Thema der NS-Verbrechen (wie es sich mit Blick auf das SED-Unrecht verhält, ist nicht ganz klar). Und im Gegensatz zur AfD bekämpft es die Arbeit der Gedenkstätten nicht; im Gegenteil: Das BSW-Parteiprogramm fordert ausdrücklich die Unterstützung der Gedenkstättenarbeit. Gleiches gilt für die CDU, auch wenn in deren Wahlprogramm deutlich mehr zur SED-Diktatur und zu den Heimatvertriebenen steht als zu den NS-Verbrechen, und für die SPD.

Auf den ersten Blick dürfte sich eine Brombeer-Koalition, was die Unterstützung durch die Landesregierung anbelangt, also eher nicht negativ auf die Arbeit der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora auswirken. Trotzdem ist es auch hier das BSW, das Zweifel aufkommen lässt: Mit ihrer Putin-Nähe und antiisraelischen Positionen könnte die Wagenknecht-Partei in Konflikt nicht nur mit den Gedenkstätten, sondern auch mit den Überlebendenverbänden geraten.

Im Internationalen Komitee Buchenwald-Dora etwa, in dem sich KZ-Überlebende und ihre Angehörigen aus vielen Ländern zusammengeschlossen haben, hat man für Putin- und Hamas-Apologeten wenig Verständnis: Der Präsident des Komitees und Buchenwald-Überlebende Naftali Fürst verlor beim Hamas-Massaker am 7. Oktober 2023 eine Angehörige, und der ukrainische Vizepräsident Boris Romantschenko, der Buchenwald, Mittelbau-Dora und Bergen-Belsen überlebt hatte, starb 2022 beim russischen Beschuss seiner Heimatstadt Charkiw.


Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, schreibt im Wechsel mit Henning Borggräfe, Direktor des NS-Dokumentationszentrums, in der Kolumne „Brandbriefe - Zwischen Köln und Buchenwald“ über die Arbeit in den Gedenkstätten und die politische und gesellschaftliche Lage in Deutschland. Die Kampagne „Demokratie ist alternativlos“ des Fördervereins El-De-Haus verbindet beide Einrichtungen und will durch Spenden u.a. Workshops finanzieren.