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Kommentar

Kolumne „Brandbriefe“
Warum ein AfD-Verbot endlich ernsthaft geprüft werden sollte

Lesezeit 4 Minuten
Polizisten bringen die bei der Razzia gegen mutmaßliche Rechtsextreme Festgenommenen zum Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof, der über die Untersuchungshaft entscheidet.

Polizisten bringen die mutmaßlich rechtsextremen Festgenommenen zum Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof.

Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, fordert Konsequenzen aus der Aufdeckung der Terrorgruppe „Sächsische Separatisten“.

Angesichts der Wahl in den USA und des Bruchs der Ampel-Koalition in Berlin ging diese Nachricht zur AfD zunächst etwas unter: Am Dienstag nahm die Polizei in Sachsen und in Polen auf Anweisung der Bundesanwaltschaft acht Mitglieder der mutmaßlichen Terrorgruppe „Sächsische Separatisten“ fest. Dabei wurden Waffen und Munition sichergestellt. Die Gruppe, deren Abkürzung „SS“ offenbar ganz bewusst in Analogie zu Himmlers „Schutzstaffel“ genutzt wurde, plante für einen „Tag X“, bewaffnete Milizen als „arische Schutztruppen“ loszuschicken, um systematisch Andersdenkende und Nichtdeutsche zu töten. Nach Spiegel-Informationen soll dabei auch ausdrücklich das Wort „Holocaust“ gebraucht worden sein.

Zu der Terrorgruppe gehörten auch AfD-Mitglieder

Zu der Terrorgruppe gehörten offenbar mindestens drei AfD-Mitglieder, darunter Kurt Hättasch, Mitglied des Stadtrates in Grimma und Schatzmeister der sächsischen Jungen Alternative, des Jugendverbandes der AfD. Er galt in der Partei als vielversprechendes Talent und soll bei seiner Festnahme mit einem Gewehr bewaffnet gewesen sein und sich verbarrikadiert haben; ein Polizist gab Schüsse ab.

Hättasch ging zuvor durch die Ideologieschule des „Instituts für Staatspolitik“ in Schnellroda in Sachsen-Anhalt. Geleitet wird dieses vor kurzem formal aufgelöste Institut von Götz Kubitschek, einem der maßgeblichen Vordenker der Neuen Rechten und Chefredakteur der „Sezession“, einer rechtsextremen Zeitschrift, die auch in der AfD gerne gelesen wird. Neben Mitgliedern der „Identitären Bewegung“ und der Jungen Alternative ist auch der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke gern gesehener Gast in Schnellroda. Kubitschek ist so etwas wie sein ideologischer Einflüsterer. Nach eigenen Angaben saß Kubitschek am Abend der Landtagswahl in Thüringen lange mit Höcke zusammen und plante das weitere Vorgehen der AfD, die in Thüringen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wurde und bei der Wahl fast ein Drittel der Wählerstimmen erhielt.

Vielfältige Verbindungen der AfD zu extremistischen Gruppierungen

Der Fall der „Sächsischen Separatisten“ macht erneut deutlich, welche Gefahr von der AfD ausgeht – auch wenn sich die Partei jetzt bemüht, sich von den Festgenommenen zu distanzieren. Im vergangenen Jahr hatte das BKA bereits eine andere mutmaßliche Terrorgruppe festnehmen lassen, die Reichsbürgertruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß. Mitglied der Gruppe war die frühere AfD-Bundestagsabgeordnete Birgit Malsack-Winkemann, die sich derzeit vor dem OLG Frankfurt verantworten muss. Zum Umfeld der Gruppe gehörte zudem der Thüringer Aktivist Frank Haußner, ein Duzfreund von Höcke.

Die Verbindungen der AfD in das „patriotische Vorfeld“, wie Höcke es nennt, sind vielfältig. Dazu zählen die Reichsbürgerszene, Putin-Anhänger, Pandemieleugner, „Freie Sachsen“ und „Freie Thüringer“ bis hin zu expliziten Neonazis aus Gruppierungen wie dem „Dritten Weg“ und anderen. Etliche von ihnen sind als gewalttätig einzustufen.

Die AfD ist tatsächlich so etwas wie der starke parlamentarische Arm dieser potenziell gewalttätigen und recht heterogenen rechtsextremen Szene
Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald

Die AfD ist tatsächlich so etwas wie der starke parlamentarische Arm dieser potenziell gewalttätigen und recht heterogenen rechtsextremen Szene. Unter dem in Schnellroda entwickelten Schlagwort vom „solidarischen Patriotismus“ verbreitet die AfD Verheißungen der Ungleichheit und redet Ideologien der Ungleichwertigkeit das Wort. Politische Gegner entmenschlicht sie, indem sie sie als „Feinde“ markiert. Ständig hetzt sie gegen die Parteiendemokratie. 2023 raunte Höcke in Weimar, in Zukunft könnte die Parteiendemokratie durch altgermanische Thing-Versammlungen abgelöst werden. Die Gleichberechtigung der Geschlechter wird von AfD-Funktionären in Frage gestellt; Menschen mit Behinderungen will sie ausgrenzen und „Produktive“ gegen „Unproduktive“ stellen. Auch in die vom Grundgesetz garantierte Freiheit von Kunst und Wissenschaft greift die AfD immer wieder ein. Zudem verbreitet sie notorisch Geschichtsrevisionismus und würdigt NS-Opfer herab.

Positionen der AfD verstoßen gegen das Grundgesetz

All dies sind Positionen, die gegen das Grundgesetz verstoßen und gegen die freiheitlich-demokratischen Grundordnung gerichtet sind. Und die AfD hat die Mittel und den Willen, diese Positionen auch durchzusetzen. Dabei setzen AfD-Mitglieder, wie der jüngste Fall aus Sachsen zeigt, auch auf Gewalt. Ohne Zweifel ist sie eine Partei, die die liberale, plurale Demokratie bekämpft und durch einen autoritären, völkischen Staat ersetzen möchte. Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat sind deshalb aufgefordert, ein Verbot der AfD, die offen rechtsextrem und verfassungswidrig auftritt, nun endlich ernsthaft juristisch zu prüfen.

Das Argument, man missachte mit einem Verbotsverfahren 30 Prozent der Wähler:innen im Osten, ist nicht stichhaltig. Nach dieser Argumentation hätte das Bundesverfassungsgericht 1952 auch nicht die neonazistische Sozialistische Reichspartei (SRP) verbieten dürfen, die in manchen Gegenden Niedersachsens ähnlich stark war wie die AfD heute in Thüringen. Tatsächlich beendete das SRP-Verbot eine virulente Gefahr für die junge und fragile Demokratie in Westdeutschland.

Rechtliche und inhaltliche Auseinandersetzung mit der Partei nötig

Ein Verbotsverfahren gegen die AfD wird sicherlich mehrere Jahre dauern. Allein schon aus diesem Grund ist zusätzlich die inhaltliche Auseinandersetzung mit der AfD nötig. Vor allem aber ist sie nötig, um die Menschen, die diese Partei zuletzt gewählt haben, zurückzuholen und von den Vorzügen der liberalen, pluralen Demokratie und einer offenen, solidarischen Gesellschaftsordnung zu überzeugen. Dazu gehören ein respektvoller Umgang miteinander und die Fähigkeit, Lösungen für die drängenden Probleme dieser Zeit im argumentativen Austausch gemeinsam zu erarbeiten, immer in der Achtung vor der Würde des Menschen – des Menschen, nicht nur des Deutschen.