AboAbonnieren

Kolumne „Brandbriefe“Wie Rechtsextreme versuchen, die Nazis reinzuwaschen

Lesezeit 4 Minuten
Denkmal mit der Darstellung von KZ-Überlebenden vor der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald

Denkmal vor der Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald

In der abschließenden Folge der Kolumne schreibt Jens-Christian Wagner über den Geschichtsrevisionismus als Angriff auf die Demokratie.

Auf den Nationalsozialismus bezogener Geschichtsrevisionismus ist kein neues Phänomen. Schon vor 1945 verbreiteten die Nationalsozialisten schuldumkehrende Legenden, sprachen von jüdischen Vernichtungsplänen gegenüber Deutschland oder davon, dass für den Zweiten Weltkrieg wahlweise die Juden, die Briten, die Polen oder die Sowjetunion verantwortlich seien. Nach dem Krieg wärmten ehemalige Nazis und neue Rechtsextreme diese Legenden auf.

Ziel solcher Legenden war und ist es, die deutsche Geschichte in eine Erfolgsgeschichte umzudeuten und die Verbrechen des Nationalsozialismus (wie auch des deutschen Kolonialis­mus) kleinzureden, zu verharmlosen und zu relativieren oder eine Schuld­umkehr zu betreiben, indem die Alliierten (oder auch jüdische Verschwörer) als die eigentlichen Kriegsverbrecher und Schuldigen dargestellt werden. Wer Nationalismus und Stolz auf die deutsche Geschichte propagiert, muss versuchen, sie vom Makel der NS-Verbrechen zu befreien, sie gewissermaßen zu entkriminalisieren. Oder man schiebt sie anderen in die Schuhe. So behaupten Rechtsextreme neuerdings, die Nazis seien in Wirklichkeit Linke gewesen, schließlich nannten sie sich ja National-„Sozialisten“. Auf diese Weise versuchen sie, rechtsextremes Denken vom Stigma Auschwitz zu befreien.

Eine neue Welle geschichtsrevisionistischer Mythen flutet die sozialen Medien

In jüngster Zeit hat sich dieser Trend verstärkt. Im Zuge digitaler Desinformation flutet eine neue Welle geschichtsrevisionistischer Mythen die sozialen Medien. Was früher nur bei obskuren Verlagen mit Postfachadressen verfügbar war, ist heute nur einen Mausklick entfernt. In Foren, Blogs und sozialen Netzwerken kursieren Holocaust-verharmlosende und NS-verherrlichende Inhalte, die mit alarmierender Geschwindigkeit viral gehen. Und es bleibt nicht bei digitalen Angriffen auf die Erinnerungskultur: Immer öfter melden Gedenkstätten Schmierereien mit rechtsextremen Inhalten auf Info- oder Gedenktafeln. Besonders fassungslos macht, dass in Weimar in den vergangenen Jahren rund 50 Bäume abgesägt wurden, die individuell an Häftlinge des KZ Buchenwald erinnern.

Die Verantwortung für diese Entwicklung liegt nicht nur bei anonymer Internetpropaganda, sondern auch bei politischen Akteuren, die geschichtsrevisionistische Mythen aktiv verbreiten und die Gedenkstättenarbeit anfeinden. Das gilt vor allem für die die rechtsoffene bis rechtsextreme Mischszene aus Reichsbürgern, „Montagsdemonstranten“, Identitären, Pandemieleugnern, Putin-Anhängern wie auch die Neue und die Alte Rechte – und für die AfD. Letztere ist sowohl Symptom als auch Motor dieser Entwicklung. Wiederholt hat sie sich durch geschichtsrevisionistische Parolen hervorgetan. Besonders alarmierend ist, dass diese Aussagen nicht nur im politischen Raum, sondern auch aus den Parlamenten heraus verbreitet werden.

Solche Videos verstärkten den Rechtsruck unter jungen Wählerinnen und Wählern

Ein prominentes Beispiel ist der AfD-Politiker Jörg Prophet. Er diskreditierte die Gedenkstättenarbeit als „Schuldkult“, setzte die britischen Luftangriffe auf Dresden im Februar 1945 mit dem Judenmord in Auschwitz gleich und raunte von deutschen Opfern in den Rheinwiesenlagern. Wenn solche Thesen aus den Parlamenten heraus verbreitet werden, verleiht ihnen das eine scheinbare demokratische Legitimation. Dazu tragen auch TikTok-Videos wie die des AfD-Spitzenkandidaten zur Europawahl Maximilian Krah bei, der jungen Menschen einredete, sie sollten stolz auf ihre Ahnen sein, die keine Verbrecher gewesen seien. Diese Videos wurden hunderttausendfach geteilt und verstärkten den Rechtsruck unter jungen Wählerinnen und Wählern.

Häufig werden geschichtsrevisionistische Mythen, Chiffren und Signalwörter von Menschen außerhalb des Milieus gar nicht in ihrer Bedeutung erkannt – oft, weil das historische Wissen nicht vorhanden ist. Geschichtsrevisionistische Mythen können sich so ungehindert verbreiten; entsprechende Narrative werden zunehmend normalisiert. Hier setzt das Projekt „Geschichte statt Mythen“ der Uni Jena und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora an. Es verbindet Forschung mit historisch-politischer Bildung: Systematisch werden durch das Monitoring von Reden, Publikationen und Social-Media-Posts geschichtsrevisionistische Positionen in der rechtsextremen und rechtsoffenen Mischszene in Thüringen erfasst und die gängigen Argumentationsmuster ausgewertet.

Dabei fragt das Projekt auch nach dem Fortwirken geschichtspolitischer Positionen der SED-Propaganda. Die Ergebnisse werden fortlaufend in einem Blog veröffentlicht. Darin werden nicht nur die gängigen geschichtsrevisionistischen Legenden vorgestellt, sondern es wird auch deutlich gemacht, wer sie mit welchen Mitteln und zu welchem Zweck verbreitet. Einträge finden sich etwa zu den AfD-Politikern Björn Höcke und Jörg Prophet, aber auch zu Erinnerungsorten der Neuen Rechten wie der „Gedächtnisstätte Guthmannshausen“, die Geschichtsrevisionismus mit Ahnen-Esoterik verbindet.

Der Blog richtet sich an die allgemeine Öffentlichkeit, bietet aber sicherlich auch Fachleuten neue Informationen. Gefördert wird das Projekt von der Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft, leider vorerst nur bis April 2025. Es ist zu hoffen, dass sich eine Anschlussfinanzierung findet, denn es ist kaum zu erwarten, dass der Geschichtsrevisionismus im Frühjahr 2025 urplötzlich von der Bildfläche verschwindet. Es liegt in der Verantwortung der Gesellschaft, sich dem Geschichtsrevisionismus entgegenzustellen und sich dafür einzusetzen, dass die auf wissensbasierte Reflexion und die Würdigung der Opfer ausgerichtete Erinnerungskultur erhalten bleibt, denn auf ihr basiert unser demokratisches und die Menschenwürde achtendes Wertesystem.


Jens-Christian Wagner, Leiter der Gedenkstätte Buchenwald, schreibt im Wechsel mit Henning Borggräfe, Direktor des NS-Dokumentationszentrums, in der Kolumne „Brandbriefe – Zwischen Köln und Buchenwald“ über die Arbeit in den Gedenkstätten und die politische und gesellschaftliche Lage in Deutschland. Mit dieser Folge laufen die „Brandbriefe“ aus.

Die Kampagne „Demokratie ist alternativlos“ des Fördervereins El-De-Haus verbindet beide Einrichtungen und will durch Spenden u.a. Workshops finanzieren.