Kolumne Der Deutschland-CocktailWir sollten Integration groß denken
Köln – Bin ich naiv? Dieser Tage frage ich mich das besonders oft. Nach meiner Vorstellung sollte Politik gestalten und zentrale Probleme der Menschen lösen. Wir aber reden nur über das politische Farbenspiel, schwadronieren von Jamaika, Schwampel oder Groko. Als Bürgerin komme ich mir zunehmend veralbert vor. Zwei Monate lang gab es Tag für Tag todlustige Metaphern und sterbenskomische Wortspiele von aufziehenden Hurrikans über Jamaika, Bundesbalkonen und Maschinenräumen.
Wir erfuhren, dass es 8500 Kilometer nach Jamaika sind und dass die große Koalition definitiv ausgeschlossen ist. Und als so naive Wählerlein, wie ich eines bin, sich gerade darauf eingestellt hatten, dass das schwarz-gelb-grüne Bündnis kommt und es keine Neuauflage der Koalition von Union und SPD geben wird, ist das eine schon Geschichte, das andere doch wieder eine Option. Und über dem ganzen Scherbenhaufen prasseln lautstarke Schuldzuweisungen und gegenseitige Beschimpfungen. Politik als reines Entertainment. Und da wundert man sich ernsthaft, dass die Menschen politikverdrossen werden?
Hoffen auf Bewegung beim Thema Migration
Zugegeben, aus einem Grund hatte ich gewisse Hoffnungen in ein Regierungsbündnis aus CDU/ CSU, FDP und Grünen gesetzt. Ich war optimistisch, dass eines der zentralen Themen unserer Zeit, eines, das dieses Land seit Jahrzehnten beschäftigt und ihm zuletzt die AfD beschert hat, vorangebracht werden könnte, nämlich das Thema Migration und Integration. FDP-Chef Christian Lindner hatte dem „Spiegel“ vor zwei Wochen vermutlich ganz zu Recht gesagt, wenn man die Bevölkerung nach ihren Prioritäten für eine Bundesregierung fragen würde, käme als erstes „Ordnung bei der Einwanderung“ heraus.
Die Grünen sahen es ähnlich. Beide Parteien hätten in einer neuen Bundesregierung also entsprechend drängen können, dass Deutschland endlich zu einer umfassenden Regelung kommt, die den Zustrom von Menschen reguliert, das Asylrecht entlastet, Integration systematisch angeht – und so jenen Druck aus dem Kessel nimmt, der das Schwungrad der Populisten maßgeblich antreibt.
Der SPD-Entwurf hat wenig zu bieten
Sollte es nun tatsächlich eine Neuauflage der großen Koalition geben, ist mit dieser Dynamik – Stand heute – nicht zu rechnen. Die SPD hat zwar jüngst einen Entwurf für ein Einwanderungsgesetz vorgestellt, doch der greift zu kurz und ist wenig ambitioniert. Er ist nämlich primär darauf ausgerichtet, neue Fachkräfte nach Deutschland zu locken. Für diese Menschen hat Deutschland aber bereits ein Einwanderungsrecht. Man denke auch an die Blaue Karte der EU, die hoch qualifizierten Ausländern eine Einreise ermöglichen soll. Bekanntlich ist sie ein Flop, denn wer zu dieser Zielgruppe gehört, der will gar nicht unbedingt nach Deutschland, sondern lieber in die USA, nach Paris oder London.
Deutschlands Problem besteht darin, dass unqualifizierte Arbeitskräfte ins Land drängen. Sie riskieren dafür sogar Leib und Leben, wagen sich auf eine gefahrvolle Überfahrt übers Mittelmeer, um zu uns zu gelangen. Wir müssen vor allem diesen Zustrom von Geflüchteten eindämmen. Nötig wäre es neben einem echten Konzept zur Bekämpfung von Fluchtursachen an Ort und Stelle, auch für diese Menschen einen realistischen Weg in die EU zu eröffnen, mit erfüllbaren Qualifikationsanforderungen. Hierzu wird es nicht reichen, ein paar gesetzliche Regelungen zu treffen. Substanziellere Anstrengungen sind nötig. Diese Menschen brauchen Unterstützung, anders als Akademiker, die Lust auf einen Job im Ausland haben. Der SPD-Entwurf hat an dieser Stelle wenig zu bieten.
Grund zur Unzufriedenheit gibt es genug
Der zweite große Bereich in diesem Themenkomplex ist die Steuerung von Integration. Sie spielt im SPD-Vorschlag ebenfalls nur in homöopathischen Dosen eine Rolle. Auch Integration muss endlich strategisch angegangen werden. Das betrifft sowohl Menschen, die bereits in Deutschland sind, als auch jene, die noch kommen werden. Einwanderung und Integration müssen groß gedacht werden, sehr groß – mindestens so groß wie heute die Umwelt-, Verkehrs- oder Landwirtschaftspolitik. Am Ende muss es ein eigenes Bundesministerium geben. Ein Einwanderungs- und Integrationsgesetz ist da nur der erste Schritt. Und selbst der droht in der aktuellen politischen Lage allenfalls zu einem Trippeln zu werden, wenn nicht gar zu unterbleiben.
Unsere Kolumnistin, geb. 1978 in Ahlen, ist Islamwissenschaftlerin und Religionspädagogin. 2010 gründete sie den Liberal-Islamischen Bund. Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt Lamya Kaddor über Interkulturalität und Integration.
Und nicht nur das. Während wir weiter die Zeit mit politischen Farbenspielen und Parteien-Hickhack vergeuden, statt über Inhalte zu reden, werden sich die Probleme weiter verschärfen. Lediglich die Frage, warum die Wähler so unzufrieden mit der Politik sind – die brauchen wir uns fortan nicht mehr zu stellen. Die Antwort ist derzeit allzu offenkundig.