Kommentar zum Fall Nemi El-HassanWer darf aus seinen Fehlern lernen?
Köln – Wie geht es weiter für die Journalistin Nemi El-Hassan? Wird sie die WDR-Sendung „Quarks“ moderieren oder nicht? Diese Fragen sind noch völlig offen. Der WDR hat nach den Islamismus- und Antisemitismus-Vorwürfen gegen die 27 Jahre alte Medizinerin eine Prüfung angekündigt, deren Ende noch nicht feststeht.
Die Vorwürfe gegen sie wiegen in der Tat schwer. Sie hat 2014 in Berlin an dem Al-Quds-Marsch teilgenommen, bei dem antisemitische Parolen der übelsten Art gerufen wurden. Und auch einen Poetry-Slam-Beitrag von ihr aus demselben Jahr ist hochproblematisch. El-Hassan hat sich nun in einem Interview mit „Spiegel online“ erstmals und sehr deutlich zu den Vorwürfen geäußert. „Ich schäme mich für diese Zeit“, sagte sie darin. Sie sei „komplett unreflektiert und uninformiert“ gewesen.
Nemi El-Hassan muss sich kritische Fragen gefallen lassen
Nun muss sie sich natürlich die Frage gefallen lassen, warum sie mit diesem Teil ihrer Lebensgeschichte nicht offen umgegangen ist. Warum sie ihn nicht in ihrer Arbeit thematisiert hat. Warum sie mit dem WDR, als es darum ging, „Quarks“ zu moderieren, nicht offen gesprochen hat. Zu sagen, sie habe diesen Teil ihres Lebens verdrängt, reicht da nicht.
Und auch der Sender hätte nach einer kurzen Recherche auf diese Fragen stoßen können. Hätte er sie vorher damit konfrontiert, wäre dem WDR selbst und der jungen Journalistin vieles erspart geblieben. Zugleich wirft der Fall ein Schlaglicht auf eine grundlegende Frage: Eine zunehmend diverse Gesellschaft muss sich auch ihren blinden Flecken stellen – und zwar ohne wiederum in rassistische und islamfeindliche Muster zu verfallen.
Nemi El-Hassan beschreibt ihre Politisierung in dem Interview. So wie ihr geht es vermutlich vielen jungen Deutschen mit einem ähnlichen Migrationshintergrund. Antisemitismus und Israel-Hass kommen nicht nur von Rechtsradikalen.
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Aber wer darf in diesem Land Fehler machen? Dass Medien wie die „Bild“-Zeitung, die sonst an jeder Ecke gegen eine vermeintliche Cancel Culture wettern, nun genau das in diesem Fall fordern, ist bezeichnend. Wer sieht, wie viel Hass und Hetze der jungen Frau begegnen, bekommt eine Ahnung, wie groß der Druck ist, der auf ihr lastet. Und versteht vermutlich auch, warum sie nicht offener mit diesem Teil ihrer Geschichte umgegangen ist.
Das ist keine Entschuldigung, aber eine mögliche Erklärung. Sie hätte offener mit ihren blinden Flecken umgehen müssen, keine Frage. Aber eine diverse, pluralistische Gesellschaft muss ihr auch eine echte Chance geben, wenn sie aus diesen Fehlern gelernt hat.