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Konzert in KölnWarum Maya Hawke mehr ist als nur Tochter berühmter Eltern

Lesezeit 4 Minuten
Maya Hawke singt auf der Bühne der Kantine in Köln. In einer Hand hält sie das Mikrofon, mit der anderen stützt sie sich auf den Mikrofonständer.

Maya Hawke am Mittwochabend in der Kantine in Köln.

Maya Hawke kennt man aus „Stranger Things“ und auch als Tochter von Ethan Hawke und Uma Thurman. Dass sie viel mehr kann, zeigte sie jetzt in der Kantine in Köln.

Die Schlange vor der Kantine zieht sich bis zum Militärring. Ein Hauch von Teen Spirit liegt in der Luft, die Art flirrender Aufregung, wie man sie vor Auftritten von Harry Styles oder Olivia Rodrigo förmlich greifen kann. Dabei erwartet die Ausharrenden nur eine gute Stunde verträumt-verschrobener Folkmusik von einer jungen, später auf der Bühne dann unerwartet schüchternen Sängerin, die sich selbst als nicht-professionelle Musikerin beschreibt.

Eine professionelle Schauspielerin ist Maya Hawke dagegen allemal. Vielleicht kein Kino-, aber immerhin ein Netflix-Star, und das bedeutet für die größtenteils jüngeren Menschen, die hier anstehen, viel mehr. Hawke wurde einer breiten Öffentlichkeit als „Robin“ in der Erfolgsserie „Stranger Things“ bekannt, spielte anschließend eine Hauptrolle in „Do Revenge“, der hinreißenden High-School-Rachekomödie des Streamingdienstes. Demnächst wird sie im nächsten Wes-Anderson-Film und in Bradley Coopers Leonard-Bernstein-Biopic zu sehen sein, Hollywood liegt ihr also auch zu Füßen.

Dass das schon immer so war, muss sie sich häufiger vorhalten lassen, seit in den USA die von Sozialneid getriebene Diskussion über „Nepo-Babies“ tobt, Kinder berühmter Eltern, denen die Günstlingswirtschaft-Karriere in die Wiege gelegt wurde. Hawke ist, falls Sie das nicht längst wissen, Haute-Couture-Model in vierter Generation, vor allem jedoch die Tochter von Uma Thurman und Ethan Hawke, also zweier Filmstars, die respektive als Tarantino-Muse und Indie-König neben ihrem Ruhm auch noch das kulturelle Kapital der kunstaffiner Coolness mitbringen.

Welchen Co-Star aus „Stranger Things“ Maya Hawke wohl geküsst hat

Wenn Maya Hawke dann in der Kantine darüber singt, dass sie für ihre Mutter den Buchhalter belügen würde (im Song „Sweet Tooth“), denkt man jedenfalls unweigerlich an Thurmans Nouvelle-Vague-Gangsterbraut in „Pulp Fiction“, und wenn sie ihren Song „Hiatus“ mit der charmant dahingeworfen Zeile „Ich habe meinen Co-Star bei den Proben trotzdem geküsst“ ausklingen lässt, poppt sofort Steve „Ich hab‘ die Haare schön“ Harrington aus „Stranger Things“ vorm geistigen Auge auf. Albern, aber unvermeidbar.

Selbstredend ist der Streaming-Ruhm die Plattform, mit der sie, die ja noch ganz am Anfang ihrer Karriere steht, bereits große Säle füllt. Introvertierte junge Frauen, die zu gezupften Akustikgitarren ums eigene Seelenleben kreisen, gibt es eigentlich im Überangebot. Die Pointe dabei ist jedoch, dass Maya Hawke soundso aus der breiten Masse heraussticht: Schon aufgrund ihrer hohen, kehligen, Julie-London-mäßig hauchzarten, im entscheidenden Moment dann erstaunlich kräftigen Stimme.

Und mehr noch wegen ihrer Texte. Die entspringen zwar den Tagebucheinträgen einer verunsicherten Schülerin, doch nutzt Hawke den eigenen Bildungsroman als Steinbruch für Songs, die keine 15-Jährige zustande brächte. Das erzählt sie selbst so im Konzert, nachdem sie ihre Baseballmütze abgelegt, die gebleichten Haare freigewuschelt hat und langsam warm wird mit ihrem Publikum. Das besucht zum Teil selbst noch die Schule, auf Nachfrage der Sängerin gehen jedenfalls einige Hände hoch.

Von der High School ins New Yorker Metropolitan Museum

Eventuell kann der heimlichen High-School-Dichterin noch in einem Stück wie „Bloomed Into Blue“ nachspüren, in dem Hawke das Aufblühen eines gemobbten Mauerblümchens beschwört, vor allem jedoch möglichst viele Alliterationen mit dem Anfangsbuchstaben „B“ zusammenwürfelt. Ein Song wie „Thérèse“ aber hat schon Meisterklassen-Niveau: Auch hier erkundet Hawke die eigenen Befindlichkeiten, tut das aber anhand des berüchtigten Gemäldes „Thèrèse, träumend“ von Balthus.

Das befindet sich in der Sammlung des New Yorker Metropolitan Museums und zeigt eine gedankenverlorene Elfjährige, deren weißer Schlüpfer unterm gerafften Rock hervorlugt und, wenn man genau hinschaut, einen roten Blutfleck aufweist. Kein einfacher Stoff also, aber wie sich Hawke in die Abgebildete hineinversetzt, sie dem lüstern-pädophilen Blick des Malers entreißt, das ist schon sehr gelungen: „Es ist taktlos, es ist ein Test, es ist nur Thérèse“, sprechsingt Hawke im beinahe beiläufigen Refrain.

Zu den eigenen Stücken kommen noch zwei Coverversionen aus dem Plattenschrank ihrer Eltern dazu: Nick Caves „Into My Arms“ und „I Wanna Be Sedated“ von den Ramones, das sich hier wirklich anhört wie angenehm betäubt.

In Köln kann sich Hawke auf ein exzellentes Trio aus zwei Gitarristen und einem sehr behutsam vorgehenden Schlagzeuger verlassen, im Satzgesang zu viert klingen sie phänomenal. Und kurz vor Schluss improvisieren sie sogar ein Lied auf Themenzuruf („Self-Healing“) aus dem Publikum. Zusammen mit Will Graefe, der seine Akustikgitarre ab und an mit Effektpedalen zum aufkreischenden Rock-Gerät aufpimpt, posiert Hawke zudem als abgeklärtes Glamour-Pärchen: „Ich habe dir nicht eine wahre Sache erzählt“, singt Graefe. „Ich habe dich glauben lassen, dass ich den ganzen Frühling lang allein war“, flötet eiskalt Hawke zurück.

Nicht gespielt ist ihre zurückhaltende, aber lagerfeuerwarme Bühnenpräsenz. Als die Fans auf heimliche Verabredung hin Papierschmetterlinge vor ihre Handylampen halten und die Sängerin in grün-schimmerndes Licht tauchen, scheint Hawke kurz davor, in Tränen der Rührung auszubrechen. Das, oder sie ist wirklich eine sehr gute Schauspielerin. Beides wäre im Übrigen völlig okay.