Krimis mit SchnauzeJörg Fauser wird wiederentdeckt
Köln – Jörg Fauser zu lesen ist ein Erlebnis. Auch heute noch. Frisch, schnell, rau, witzig und spannend sind die Texte des Schriftstellers und Journalisten, der vor 75 Jahren geboren wurde und 1987 gestorben ist. Mit 18 Jahren sei ihm klar geworden, sagt sein Alter Ego Harry Gelb in dem autobiografischen Roman „Rohstoff“, „dass der Beruf des Schriftstellers der einzige war, in dem ich meine Apathie ausleben und vielleicht dennoch aus meinem Leben etwas machen konnte.“ Allerdings ist ihm bewusst, dass „die guten Bücher schon alle geschrieben“ sind. Er nennt da die „Lebenskünstler“ Henry Miller und Jack Kerouac, und ganz sicher könnte man noch William S. Burroughs hinzufügen, den Fauser sehr geschätzt hat. Und wie wollte Gelb alias Fauser seine Karriere angehen? „Ehrlich schreiben konnte man doch nur über das, was man selbst aus erster Hand erfahren hatte, die Technik kam dann schon, wenn man es nur ernsthaft genug mit dem Schreiben versuchte.“
Selbstironie ist eine feste Größe in Fausers Werk
Ehrlich schreiben – das bedeutet, dass wir mit dem Erzähler geradezu hautnah Nöte und Zwänge der Drogensucht erfahren, zumal in den Opium-Absteigen von Istanbul, wo es besonders düster wird. Aber es geht auch mitten hinein ins Wohnzimmer der Kommunarden im Berlin der 68er Jahre, was lustig ist. Dort kopiert man gerade für einen Raubdruck Wilhelm Reichs „Funktion des Orgasmus“, als sich Hilde, „ein junges Ding aus dem Hannoverschen“, zu Wort meldet: „Ich finde, wir sollten lieber darüber sprechen, warum ich keinen Orgasmus bekomme.“ Sie lässt wissen: „Seit wir alle zusammen schlafen, habe ich gar nichts mehr gehabt.“ Auch erheiternd, wenngleich nicht für den Erzähler, sind in diesem Roman all die Versuche, einen Verlag zu finden. Prominent und würdig sollte der schon sein. Aber nach den ersten Absagen ist das mit der Prominenz dann doch nicht mehr so wichtig. Selbstironie – das muss spätestens jetzt betont werden – ist eine feste Größe in Fausers Werk. So mutiert die Hausbesetzung in Frankfurt zu einem Slapstick-Kabinettstück: Die Rote Zelle Germanistik fordert einen Leseraum, doch der KSV will dort lieber eine Tischtennisplatte platzieren. Das ist die Argumentation: „Schon Genosse Lin Piao hat gesagt, Pingpong ist die Überwindung kapitalistischer Fremdbestimmung, sozialdemokratischer Trägheit und russisch-hegemonistischer Großmannssucht.“
Wie aus dem Nichts sind Fausers Bücher plötzlich wieder da. Der Diogenes Verlag macht es mit einer attraktiven Neuauflage möglich. Diese Bände liegen bereits vor: Der Roman „Rohstoff“, der Sammelband „Rohstoff Elements“ mit Gedichten, Prosa, Reportagen sowie der Kriminalroman „Das Schlangenmaul“. Als nächstes folgen Ende September die Kolumnen „Caliban Berlin“ und die Gedichte „Ich habe große Städte gesehen“. Fausers Texte finden nicht zuletzt unter seinen Kollegen unserer Tage viele Fürsprecher. Michael Köhlmeier schreibt im Nachwort zu „Rohstoff“, diesem „Bildungsroman“: „Jörg Fauser ist der Zauberer, ihn kann kein Teufel fassen. Aus der Sucht, aus dem Stoff, wird Rohstoff. Und der wird verwandelt in Literatur.“ Jürgen Ploog – der selbst als Anatol Stern in diesem Roman vorkommt – betont in seiner Einordnung von „Rohstoff Elements“, dass Fauser nicht an Posen, wohl aber an Haltung interessiert gewesen sei. Das lässt sich in diesem Band nicht überlesen – beispielsweise sind Fauser die „Hippie-Imitatoren“, wie er sie in seiner „Tanger“-Reportage“ beschreibt, ein Gräuel.
Marcel Reich-Ranicki befand, Fauser gehöre nicht zur Literatur
Zum Lobpreis des Kollegen holt auch Friedrich Ani aus. Im Nachwort zum schnodderig-schönen Kriminalroman „Das Schlangenmaul“ sagt Ani: „Sensationell, wie er dem flatterigen, ebenso desillusionierten wie von professioneller Neugier getriebenen Investigativjournalisten Heinz Harder die Aura eines geradezu klassischen Privatdetektivs verpasst“. Darum geht es: Harder wird von der noblen Cocktail-Schlürferin Nora Schäfer-Scheunemann beauftragt, nach ihrer – wie sie sagt – verschwundenen Tochter zu suchen; ein Fall ist das, der für den „Bergungsexperten für außergewöhnliche Fälle“ am Ende gefährlich wird. Das Schreiben, sagt Ani, sei für Fauser „die brutalstmögliche Konfrontation mit der Wirklichkeit gewesen.“
Soviel öffentlicher Zuspruch war Fauser, der diversen Drogen verfallen war, zu Lebzeiten nicht vergönnt. Als er 1984 beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt las, befand Marcel Reich-Ranicki, dass der Text „nicht hierher“ gehöre. Und man sieht im Video, wie dieses Verdikt den Autor schmerzte und niederpresste. Ob er noch etwas sagen wolle, wurde er zum Schluss gefragt, als ginge es nun zum Schafott. Fauser verzichtete, zog wortlos ab. Ein literarischer Außenseiter, ja, aber einer, der gelesen wurde. „Der Schneemann“ von 1981, mit Marius Müller-Westernhagen in der Hauptrolle, wurde ein großer Erfolg.
Jörg Fauser starb am 17. Juli 1987, als er in der Nacht nach seinem Geburtstag auf der Autobahn Richtung München ging. Er wurde von einem Lkw erfasst. Geblieben sind ein paar Verschwörungstheorien. Und seine Werke. Die lohnen sich. Wer Fauser liest, erfährt nicht nur mehr über die bunt und bunter werdende Bundesrepublik, sondern auch über das Leben.
INFOS
Auf der Crime Cologne in Köln erinnern Gerd Köster, Marcus Müntefering und Christof Hamann an Jörg Fauser – am 25. September, 20 Uhr, im Subway.
Die Neuausgabe der Werke Jörg Fausers erscheint im Diogenes Verlag.