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Kultfilm „The Shining“Wie Jack Nicholson lachend neben einer lebenden Leiche raucht

Lesezeit 4 Minuten
Jack Nicholson und Joe Turkel lehnen sich gegenüber an der Bar im Ballsaal-Set von "The Shining"

Jack Nicholson (l.) und Joe Turkel am Set von 'The Shining'

Im Kölner Taschen-Verlag ist jetzt das definitive Buch zu Stanley Kubricks Horrorklassiker „The Shining“ erschienen, mit nie gesehenen Bildern.

Das Filmmagazin „Trailer“ im österreichischen Fernsehen glänzte mit geschliffenen formulierten Kommentaren, aber auch mit langen Ausschnitten aus den besprochenen Filmen. Als im Herbst 1980 „The Shining“ in die europäischen Kinos kam, war „Trailer“ jedenfalls meine beste Chance, einen Blick auf Stanley Kubricks ersten Horrorfilm zu erhaschen, der ansonsten durch die FSK-16-Freigabe für mich auf Jahre hin unerreichbar bliebe (von den Freuden der Videothek ahnte ich noch nichts).

Eventuell zu Recht. Die Bilder von Kinderdarsteller Danny Lloyd, der auf seinem Dreirad durch die Endlosflure des Overlook Hotel pedaliert, nur um vorm ominösen Zimmer 237 anzuhalten; der in den Gängen den ermordeten Grady-Zwillingen begegnet und mit kehliger Stimme Zwiegespräche mit „Tony“ führt, dem kleinen Mann, der in seinem Mund wohnt und ihn vor tödlicher Gefahr warnt – sie setzten sich in meinem unreifen Kopf fest. Fortan wartete ich Nacht für Nacht auf Einflüsterungen einer körperlosen Stimme. Die Furcht vor langen Hotelfluren blieb bis heute.

„Toy Story“-Regisseur Lee Unkrich sammelt seit 30 Jahren alles zu „The Shining“

Lee Unkrich aus Ohio war nur ein paar Jahre älter, als seine Mutter beschloss, ihn zu einer Vorstellung von „The Shining“ mitzunehmen. Der Film, schreibt Unkrich in seinem neuen Buch „Stanley Kubrick's The Shining“, „drang auf eine Weise in meine Psyche ein, wie ich es noch nie erlebt hatte, es war berauschend“. Die Obsession hielt an, der US-Amerikaner wurde selbst Filmemacher und konnte sich mit Pixars „Toy Story 3“ in die Annalen der Filmgeschichte einschreiben.

Nebenbei trug er fieberhaft Geschichten und Objekte rund um „The Shining“ zusammen. Als sich die Gelegenheit ergab, im Londoner „Stanley Kubrick Archive“ zu forschen, beschloss Unkrich, ein Making-of-Buch des Horrorklassikers zu produzieren. Denn während an Interpretationen und Verschwörungsmythen zum Film kein Mangel herrscht, weiß man vergleichsweise wenig über den Produktionsprozess des Meisterwerks.

Stanley Kubrick, Jack Nicholson und Shelley Duvall am Set von "The Shining"

Stanley Kubrick, Jack Nicholson und Shelley Duvall am Set von „The Shining“

Er kontaktierte Jan Harlan, den Schwager des 1999 gestorbenen Regisseurs. Der musste ihm freilich eröffnen, dass schon ein anderer Autor, J. W. Rinzler, ein ähnliches Projekt angefragt habe. Rinzler hatte unter anderem Drehberichte zu „Star Wars“, den „Indiana Jones“-Filmen und „Alien“ verfasst, aber 30 Jahre lang zu „The Shining“ recherchiert wie Unkrich, das hatte er nicht. Man tat sich zusammen und das Buch wurde zur gemeinsamen, zehn Jahre währenden Herzensangelegenheit, als wäre der akribische Geist Kubricks in das Autorenduo gefahren: 2023 – zwei Jahre nach Rinzlers Tod – brachte der Kölner Taschen-Verlag ihre „Shining“-Tiefenbohrung als limitierte Edition heraus, jetzt erscheint quasi die Volksausgabe (in englischer Sprache).

Die zwei Bände im gelben Schuber sind freilich noch edel genug, ein Fotoalbum versammelt mehr als 400 Bilder von den Dreharbeiten, die meisten sieht man hier zum ersten Mal: Aufnahmen von der Konstruktion der aberwitzig aufwendigen Hotel-Kulissen in den englischen Elstree-Studios, Kostüm- und Szenenproben des Ensembles, nicht verwendete Szenen, Schnappschüsse von Pausenclownereien. Wir sehen den sechsjährige Danny Lloyd, der dem Meisterregisseur zeigt, wie man einen Bildausschnitt wählt, wir sehen Jack Nicholson, der auf einem Bett neben der Darstellerin der „alten Frau im Bad“ liegt. Sie trägt nur ihre Verwesungsschminke auf dem nackten Körper, beide lachen und rauchen.

Am Set von "The Shining"

Am Set von 'The Shining'

Noch erhellender ist der zweite, in hellrotem Plastik gebundene Band, eine grelle Bibel, die auf mehr als 900 gleichfalls reich bebilderten Seiten alles, aber auch wirklich alles über Vorbereitungen, Dreharbeiten und Nachbearbeitung des Filmes erzählt: von Stanley Kubricks quälenden Entscheidungs- und Umentscheidungsprozessen, von Aufbau und Funktionsweise der Steadicam, die die klaustrophobisch-immersiven Kamerafahrten des Films erst ermöglichte, von Shelley Duvalls Magenkrämpfen nach der 100. Klappe, von den Setbesuchen Steven Spielbergs, George Harrisons und Werner Herzogs – letzterer riet Kubrick, den mal laut übers Parkett ratternden, mal vom Teppich gedämpften Klang des Dreirads genau so zu belassen –, bis zu Klatschgeschichten über Nicholsons nächtliche Aktivitäten.

Was Rinzler und Unkrich hier zusammengetragen haben, ist nicht weniger detailverliebt, spannend und ergiebig als das bewunderte Werk, am Ende glaubt man mehr über den Film zu wissen als Kubrick selbst. Und doch behält der Film sein Geheimnis, bleiben das Overlook Hotel und seine Flure so unheimlich wie eh und je.

Man solle „The Shining“, schreibt Steven Spielberg in seinem Vorwort, in der Sekunde, nachdem man das Buch ausgelesen hat, sofort wieder anschauen: „Es ist mir egal, ob Sie den Film schon 50-mal gesehen haben, Sie werden ihn nie wieder auf dieselbe Weise sehen. Es wird alles verändern.“

Lee Unkrich, J. W. Rinzler: „Stanley Kubrick's The Shining“, Taschen, 1396 S., 100 Euro