Regisseur Kay Voges übernimmt 2025 die Leitung des Kölner Schauspiels. Ein Gespräch über die Relevanz des Theaters in Krisenzeiten.
Künftiger Kölner Schauspiel-Chef Kay Voges„Den Intendanten-Beruf muss man sich vorstellen wie Vatersein“
Das finale Jahr am Wiener Volkstheater ist geplant, zur Spielzeit 2025/26 wechselt Kay Voges ans Schauspiel Köln. Die Vorbereitungen für die Kölner Intendanz laufen bereits auf Hochtouren, die Vorfreude könnte nicht größer sein: Der in Düsseldorf geborene Theatermacher ist erklärter Fan der Stadt. Wir treffen Voges zum ersten Interview an einem traditionsreichen Hotspot im Belgischen Viertel, im Hallmackenreuther am Brüsseler Platz. Es geht um den Regisseur als Mängelwesen, die schwierige Wiedergeburt des Offenbachplatzes und Voges' Kölner Lieblingslied.
Kay Voges, wie machen wir gegenwärtiges, relevantes Theater? Die Frage haben Sie sich vor ein paar Wochen in Köln selbst gestellt, anlässlich eines Preises für das von Ihnen inszenierte Correctiv-Stück „Geheimplan gegen Deutschland“. Wie fällt Ihre Antwort aus?
Kay Voges: Die Antwort darauf ist eine permanente Suche, ein permanentes Sich-neu-hinterfragen, ein in die Welt hineinschauen und versuchen, sie zu verstehen. Was sind die Themen, die wir als Gesellschaft behandeln müssen? Was sind die Erzählweisen, die diesen Themen gerecht werden? Mit was für Werkzeugen können wir sie auf der Bühne bestmöglich packen? Deswegen habe ich die Akademie für Theater und Digitalität gegründet, weil wir unseren Werkzeugkasten permanent erweitern müssen. Das hat das Theater immer gemacht, schon im Kolosseum fragte man sich: Wie baut man eine Unterbühnenmaschinerie, um aufzutreten? Und jetzt fragen wir uns: Wie können wir digitale Neuerungen in diese Theatertechnik hineinbauen? Wo können wir neue technologische oder ästhetische Mittel einsetzen, um eine globalisierte, technisierte Welt zu erzählen, die uns zurzeit sehr krisengeschüttelt vorkommt? Das ist eine Abenteuerreise, die einem als Zweifelnden und Suchenden immer wieder zurückwirft.
Die allgemein diagnostizierte Krisenhaftigkeit betrifft nicht zuletzt das Theater selbst, das steht als klassische bürgerliche Institution doch auch unter Rechtfertigungszwang.
Ich weiß nicht, ob ich diese Analyse teile. Die Sehnsucht nach Gemeinschaft und nach einem kollektiven Erleben ist doch geblieben. Gerade nach Corona möchte man den anderen wieder spüren und erleben. Dieses gemeinschaftliche Erleben ist Demokratie-erhaltend. Wir müssen einander sehen, einander hören. Wie bei den Protesten, die Anfang des Jahres hier in Köln und überall in Deutschland stattfanden: Wir sind viele, wir stehen zusammen für Demokratie und für Gleichheit. Wenn wir diese Dinge im Theater erlebbar machen, werden wir kein bürgerliches Auslaufmodell sein, sondern weiterhin relevant bleiben.
Theater als Kunst der Anwesenheit: Widerspricht das nicht dem digitalen Werkzeugkasten, den Verschaltungen und Projektionen?
Nein, ich glaube, der Ruf, der mir als Digitaltheatermacher vorauseilt, ist von Redakteuren ein bisschen hochgejazzt worden. Bei mir steht der Mensch immer im Zentrum und die Schauspielenden im Zentrum des Theaters. Auf der Bühne bekommen wir ein Sinnbild unseres Lebens gespiegelt. Und unser Leben ist nun mal von virtuellen Wirklichkeiten umgeben. Aktienmärkte und Haushaltslöcher sind nicht fassbar und trotzdem tangieren sie unser Leben existenziell. Dieses Unsichtbare, das unser Leben beeinflusst, muss das magische Theater auf die Bühne bringen. Ob das der Geist im „Hamlet“ ist oder die Schuldenbremse von Lindner.
Sie haben einiges ausprobiert, bevor sie zum Theater gekommen sind. Könnten Sie ein wenig von diesen Umwegen erzählen?
Mir ging es schon früh darum, wie ich meine Fragen an die Welt konstruktiv nutzen kann. Vielleicht als Musiker? Also bin ich in eine Punkband gegangen. Das war super, aber über die drei Akkorde bin ich nicht hinausgekommen. Also fing ich an, zu schreiben. Nur schreiben so viele Leute besser als ich. Dann habe ich gemalt, aber das mit der Perspektive langweilte mich. Beim Fotografieren geht es schneller. Ich fand es schön, dass da Leute vor der Kamera stehen, aber ich wollte auch eine Geschichte erzählen. Wenn ich Regie führe, kann ich die Leute, die besser spielen, besser musizieren, besser malen und besser schreiben, mit einer Vision zusammenbringen. Das könnte doch die Begabung des Mängelwesens Kay Voges, das nichts so richtig gut kann, sein: All diese Menschen zusammenzubringen, um aus ihren Fähigkeiten ein Gesamtkunstwerk zu machen.
Sie wollten dann zuerst Filme machen …
… ja, aber ich merkte schnell, dass meine Filmregie nicht so gut ist wie die von Ingmar Bergman. In einer Biografie von ihm habe ich gelesen, dass er auch viel im Theater inszeniert hat. Also rief ich als 22-jähriger Kerl beim Theater in Krefeld an: Ich möchte so gut werden wie Ingmar Bergman, kann ich das bei ihnen lernen? Das wüssten sie nicht, haben die geantwortet, aber ich könnte gerne bei ihnen hospitieren und Kaffee kochen.
Und beim Kaffeekochen ...
... habe ich mich ganz ordentlich angestellt, durfte auch mal assistieren und wurde direkt nach Oberhausen weitervermittelt. Da konnte ich großartigen Regisseuren auf die Finger gucken und bekam recht früh eine Chance, ein kleines Kinderstück zu inszenieren. Bei dem habe ich vor allem von meinen Schauspielerinnen und Schauspielern gelernt. Und als ich genug assistiert hatte und kündigen wollte, gab mein damaliger Intendant Klaus Weise mir stattdessen einen Job als Hausregisseur. Ich sollte die kleine Studiobühne leiten. Das war ein Jackpot, ich habe in zwei Jahren neun Produktionen inszeniert.
Warum Kay Voges die Leitung eines Theaters mit der Probe einer Punkband vergleicht
Später haben Sie als freier Regisseur in der gesamten Republik inszeniert.
Aber die Erfahrung als Hausregisseur habe ich dabei vermisst. Diese kontinuierliche Arbeit mit einem Ensemble, bei der man auf dem, was man bei der letzten Produktion erreicht hat, für die nächste Arbeit aufbaut. Deshalb wollte ich eine Theaterleitung übernehmen. Vielleicht war das auch der alte Punkband-Gedanke: Wie schön das wäre, sich regelmäßig im Proberaum zu treffen und besser zu werden. Und so kam es, dass ich zwölf, 13 Jahre nach meiner ersten Regie das Dortmunder Schauspiel übernehmen durfte.
Sie waren zehn Jahre in Dortmund. Wie hat Sie diese Zeit geprägt?
Ein Schauspiel zu leiten, Verantwortung zu übernehmen, mit all den damit verbundenen Anforderungen, das war eine unglaubliche Lernerfahrung. Wie kuratiert man besser? Wie schafft man es, den Ensemblegeist zusammenzuhalten? Wie geht die Kommunikation ins Haus, in die Stadt hinein, mit der Politik? Den Intendanten-Beruf muss man sich vorstellen wie Vatersein. Man kann sich im Vorfeld noch so viele Bücher holen, man muss erst Vater werden, um zu lernen, was es heißt, Vater zu sein. Dortmund war ein guter Ort, mit einem tollem, neugierigen Publikum. Die Leute sagten mir: Wenn man zu Ihnen ins Theater kommt, Herr Voges, weiß man nie, was man kriegt, aber es ist immer spannend.
Trotzdem zog es Sie irgendwann weg.
Nach zehn Jahren hatte ich viel gelernt und umgesetzt, hatte eine Sanierung überstanden und Außenspielstätten gegründet. Außerdem bekam ich Anfragen von großen Häusern, inszenierte parallel am Hamburger Schauspielhaus, am Burgtheater, an der Volksbühne in Berlin. Das Dortmunder Haus war zu klein für mich geworden. Wenn man das Gefühl hat, nur noch ausgetretene Pfade zu laufen und es allzu bequem ist, wird die Kunst dadurch nicht besser. Dann ist es Zeit, sich wieder stören zu lassen.
Stefan Bachmann hat uns gesagt, dass Köln ein Sehnsuchtsort für Sie sei. Stimmt das und wenn ja, warum?
Ich bin gebürtiger Düsseldorfer und habe 20 Jahre in Krefeld gelebt, aber viel Lebens- und Arbeitszeit habe ich in Köln verbracht. Wenn ich irgendwann nicht mehr Intendant bin, habe ich mir immer gedacht, sondern es mir als freier Regisseur aussuchen kann, wo ich wohnen will, ziehe ich nach Köln. Das ist groß genug, dass ich das Gefühl habe, in einer Weltstadt zu sein. Und klein genug, um nicht in der Einsamkeit der Masse unterzugehen. Die Kölner Mentalität ist meine Mentalität. Ich liebe die Sprache, ich liebe die Direktheit, die Zugänglichkeit. Das habe ich in Wien vermisst.
In Wien, wo Sie noch für eine Spielzeit das Volkstheater leiten, mussten Sie sich die Liebe des Publikums härter erkämpfen als in Dortmund.
Bei einem meiner ersten Besuche in Wien fragte mich jemand: Herr Voges, wollen sie in Wien schnell berühmt werden? Ich sagte: Ich möchte eigentlich nur gute Arbeit machen. Darauf er: Da haben sie Glück, ansonsten hätte ich Ihnen raten müssen, schnell zu sterben. Die Wiener lieben die Toten am allermeisten. Gustav Mahler haben sie als Staatsopernintendant gehasst. Erst als er tot war, waren sie stolz auf ihn. Oder denken Sie an den Hass, der Claus Peymann als Burgtheaterdirektor entgegenschlug. Jetzt wollen Sie ihm ein Denkmal bauen. Ein Piefke als Leiter des österreichischen Volkstheaters, das galt vielen Rechtskonservativen als Affront. Das ist eine Form von Xenophobie, mit der ich nicht gerechnet hatte. Doch seitdem klar ist, dass ich nach Köln wechsele, steigt die Auslastung am Volkstheater und die Kritiken und Kommentare fallen positiv aus.
Am Ende haben Sie das Publikum doch noch gekriegt.
Das coolste, diverseste Theaterpublikum Wiens – das maße ich mir jetzt einfach mal an – kommt ins Volkstheater. Es ist auch nicht nur jung, zu uns kommen Menschen von 16 bis 90. Es gibt drei große Schauspieltheater in Wien. Mein Ziel war es, das Volkstheater als innovative, mutige Bühne zu positionieren. Wir haben eine eigene Marke geschaffen in der Stadt und das feiern wir jetzt noch mal ein Jahr lang. Ich will nicht leise verschwinden.
In Köln ist die Situation eine andere, da leiten Sie den großen Tanker in der Stadt. Was haben Sie sich für Ihre Intendanz vorgenommen?
Wir müssen Theater für alle Kölnerinnen und Kölner machen, das ist der Auftrag eines Stadttheaters. Alle, von Jung bis Alt, vom Zeitungsverkäufer bis zum Universitätsprofessor, müssen einen Ort haben, von dem sie sagen: Da gibt es etwas für uns. Vielleicht nicht alles für alle, aber für jeden etwas. Durch die drei Spielstätten – Großes Haus, Kleines Haus, Depot 2 – haben wir auch die Möglichkeiten, eine große Bandbreite an gegenwärtiger Theaterkunst zu zeigen.
Selten wirkte das Schauspiel Köln so einladend wie im Mülheimer Interim. Wie wollen Sie diese Niederschwelligkeit am Offenbachplatz beibehalten?
Ich glaube, es wird eine Herausforderung werden, diesen Offenbachplatz nach 13 Jahren Baustelle wieder ins Bewusstsein der Kölnerinnen und Kölner zurückzuführen und mit Leben zu füllen. Das ist kein Selbstläufer, da müssen wir viel Energie reinstecken, viel Liebe und Geduld. Wir werden eine große Kommunikationsarbeit leisten müssen, für den neuen, alten Standort und auch für einige neue Handschriften. Nach zwei, drei Jahren sitzt man dann hoffentlich genauso selbstverständlich am Offenbachplatz wie im Carlsgarten, und sagt sich: Mein Gott, was ist das für ein Reichtum an kultureller Vielfalt, den wir in dieser Stadt haben.
Wissen Sie schon, wen sie an Schauspielenden nach Köln mitnehmen?
Ich bin gerade dabei ein Ensemble von Spielerinnen und Spielern zusammenzustellen, von denen ich mir sicher bin, dass die Ihr Herz auf die Bühne legen und mit jeder Faser ihres Körpers für die Menschen in der Stadt spielen. Die Leidenschaft, die wir tagtäglich auf die Bühne bringen, muss die Argumente dafür liefern, warum es sich lohnt, ins Schauspielhaus zu gehen. Es ist ein wunderbares Haus. So wunderschön das Depot ist, so wichtig ist es auch, dass es ein Opernhaus und ein Schauspielhaus im Herzen der Stadt gibt. Das kann man niemandem erzählen, dass die viertgrößte Stadt Deutschlands ihre Kultur an der Peripherie stattfinden lässt.
Und das Spielzeit-Programm?
Ich plane gerade die Spielzeiten 25/26 und auch schon 26/27. In Wien hatte ich gerade Saisonabschluss, am nächsten Morgen hatte ich gleich meine erste Sitzung in Köln. In den nächsten Monaten werde ich in zwei Welten leben.
Was hat Sie bislang an Köln überrascht, im Positiven wie im Negativen?
Ich begegne hier großartigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Haus. Die sind seit 13 Jahren in einer nicht gerade komfortablen Arbeitssituation – und trotzdem setzen sie das, was sie tun, mit Leidenschaft, Liebe und Konstruktivität um. Nicht so schön ist die momentane Haushaltssituation. Ich will hier eigentlich über den Aufbau und den Start am Offenbachplatz sinnieren, stattdessen gerate ich mitten hinein in Spardebatten. Das macht mir Sorge.
Lassen Sie uns mit ein, zwei Fragen zum Kennenlernen abschließen: Welches Buch hat Sie zuletzt beeindruckt?
Zuletzt hat mich ein Interviewband mit Nick Cave fasziniert. Der Umgang mit dem Verlust seines Sohnes, sein Ringen mit Glauben, seine Erzählungen über Entstehungsprozesse. Wie da Persönliches und Künstlerisches zusammengeht, fand ich aufregend. Vieles davon kann ich auf die eigene Arbeit übertragen. Aber die Sammlung auf meinem Nachttisch ist groß. Ich brauche dringend diese paar Tage Urlaub, ich muss noch viele Texte lesen, die demnächst in Köln auf die Bühne kommen werden.
Wo wir gerade bei Nick Cave waren, welche Musik begeistert sie zurzeit?
Team Scheiße! „Ich bin ein fucking Schmetterling, flatter, flatter, flatter“: Das finde ich die beste neue Punkplatte seit langem. Auf der Höhe der Zeit und im Sound der alten Tage. Letztes Silvester habe ich mal nachgeschaut, was ich im vergangenen Jahr am häufigsten gehört habe. Auf Platz 1 war tatsächlich „Tommi, ich glaub’, ich hab’ Heimweh“ von AnnenMayKantereit. Und ich dachte mir: Ach guck mal, und das in dem Jahr, wo entschieden worden ist, dass du nach Köln kommst. Das war sehr schön.