Das Kunstmuseum Bonn zeigt eine wunderbare Werkschau der Künstlerin Wiebke Siem. Sie plättet Männer mit einem Augenzwinkern.
Wiebke Siem im Kunstmuseum BonnWenn die fleißige Hausfrau von der Decke hängt
Eigentlich ist das Nudelholz ein typisch weibliches Handwerkszeug. Es dient der fleißigen Hausfrau in der Küche, um den Teig zu rollen, und der zornigen Gattin - jedenfalls nach einem alten Witzklischee - wenn es den spät heimkehrenden Ehemann zu plätten gilt. Stellt man das Nudelholz aber in die Senkrechte, wird plötzlich ein Männlichkeitssymbol daraus: Oben der Kopf, unten der ebenso große Penis und dazwischen ein lang hingestreckter Körper, dem man zur Abrundung des femininen Mannsbilds noch Kochlöffel und Holzhämmer als Beine und Arme verpassen kann.
Wiebke Siem liebt Verwirrspiele zwischen Mann und Frau
Die Künstlerin Wiebke Siem liebt solche Verwirrspiele zwischen den Geschlechtern - und zwischen toten und lebendigen Dingen. Es gibt wohl keinen Haushaltsgegenstand, den sie nicht in Mann oder Frau verwandeln könnte, und kein Möbelstück, in dem sie nicht die menschliche Silhouette sieht. Besonders haben es ihr dabei die guten Stuben der Nachkriegsjahre angetan, das scheinbar wunschlose Unglück des Gelsenkirchener Barocks. Im Bonner Kunstmuseum stehen ihre lebensgroßen Puppenhäuser in einer Sackgasse der wunderbaren Ausstellung „Wiebke Siem – Das maximale Minimum“: In der Küche hängt die Hausfrau als glockenförmiger Lampenschirm von der Decke, und im Schlafzimmer quillt ein unförmiges Etwas mit erigierter Nase aus dem Kleiderschrank.
Früher wurde an feministischer Kunst gerne bemängelt, ihr fehle es an Witz. Dabei sind manche Dinge nun mal nicht zum Lachen, und vermutlich mag sich nicht jede zum Leben in einer Männerwelt verurteilte Frau in Galgenhumor flüchten. Die Skulpturen von Wiebke Siem sind in diesem Sinn postfeministisch – wenn sie das Nudelholz schwingt, trifft sie die Männer mit einem Augenzwinkern. Ansonsten ist Siem Traditionalistin, gerade in ihrer Materialästhetik. Wie die feministischen Pionierinnen der 1970er Jahre greift sie auf Stoffe und Praktiken zurück, die als typisch weiblich gelten, zu Modetextilien und Nähmaschine, Küchenzeug und Puppenhäusern. Aber ihr geht es nicht mehr darum, die weibliche Handwerkskunst zu rehabilitieren. Sie macht aus der Verachtung für Stricken, Stopfen oder Kochen einen listigen, gegen ihre Urheber gerichteten Herrenwitz.
Bei Siem muss man stets auf Geschlechtsmerkmale gefasst sein
In der modernen Kunstgeschichte fand Siem dafür auch viele männliche Verbündete. Am Anfang der Bonner Ausstellung stehen Modepuppen mit Damenkleidern, lauter Unikate, die einerseits die textile Handwerkskunst am Bauhaus zitieren, aber auch eine ironische Verbeugung vor den atemberaubend unpraktischen „Objekten zum Benutzen“ sind, die Franz Erhard Walther aus Holz, Baumwolle und Schaumstoff schuf. Im nächsten Saal sehen wir eine Riege aus lebensgroßen Gliederpuppen, die auch aus der Produktion Oskar Schlemmers stammen könnten; allerdings stehen sie Spalier im Kinderzimmer eines Riesen, dessen Spielzeug uns auf Alice-im-Wunderland-Statur schrumpfen lässt.
Hat man die Ausstellungsschleuse passiert, in der die Besucher eingeladen sind, selbst Hand anzulegen und Marionetten aus Küchenwerkzeugen zu bauen, erreicht man das Reich der Comics. Hier hat Wiebke Siem einem Schrank mit offener Tür lange Arme angehängt – und den Titel „Der Exhibitionist“. Eine Kabelrolle lässt ihre übergroßen Hände schleifen und reckt dafür ein männliches Glied empor. Überhaupt muss man bei Siem stets auf Geschlechtsmerkmale gefasst sein – mitunter schwellen ihre Figuren auf die niedliche Drastik archaischer Fruchtbarkeitssymbole an. Bald sieht man überall Schweinereien, wie die riesige Stoffgurke, die es scheinbar rittlings mit einem Schlitten treibt. Aber das zentrale Werk dieser Abteilung ist die „Weibliche Skulptur“, ein züchtiges Schaumstoffgewusel mit Pumps, das sich über eine alte Nähmaschine beugt. Solche Antiquitäten verhalfen Frauen einst als Näherinnen zu etwas mehr finanzieller Unabhängigkeit. Für den männlichen Blick waren ihre Werke vielleicht gerade deswegen niemals gut genug.
Für die bekanntesten Arbeiten Wiebke Siems muss man in Bonn das Stockwerk wechseln. Im oberen Geschoss stehen ihre lebensgroßen „Maskenkostüme“ für die moderne Frau, eine graue Elefantenhose mit Gehänge oder ein hautfarbenes Ganzkörperkleid mit spitzen Brüsten und bis zum Boden hängenden Armen. Jede Figur trägt eine Maske, wie man sie so ähnlich aus ethnologischen Museen kennt – ein freundlicher Hinweis darauf, dass im kolonialistischen Zeitalter auch das weibliche Geschlecht gerne dem „Naturvolk“ zugeschlagen wurde. Im Erdgeschoss gibt es dazu die passende Afrika-Sammlung mit angeblichen Totem und Artefakten aus hölzernen Haushaltsgegenständen. Wiebke Siem nennt dieses Esszimmer-Arrangement „Die Fälscherin“, wie zum Hohn auf die modernen Künstler, die sich ihre Sehnsucht nach dem „echten“ Leben ausgerechnet mit kolonialen Maskenspielen erfüllten.
„Wiebke Siem. Das maximale Minimum“, Kunstmuseum Bonn, bis 17. September 2023. Der Katalog kostet 28 Euro.