Kunstsammlung NRWDie kleine Nachbarin hat ihre große Sammlung neu sortiert

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Adam und Eva stehen inmitten eines Gewusels an Formen.

Fernand Légers Adam und Eva ist in der Kunstsammlung NRW zu sehen.

Das Düsseldorfer K 20 am Grabbeplatz zeigt seine neue Schausammlung und lässt die moderne Kunstgeschichte deutlich weiblicher aussehen.

Als sich Charlotte Posenenske im Februar 1968 enttäuscht von der Kunst abwandte, um die Welt als 37-jährige Soziologiestudentin zu verbessern, war das genau der richtige Augenblick. Unter den 68ern galt Kunst vor allem als Mittel zum politischen Zweck, und mit Posenenskes Skulpturen, die aussahen wie sinnfrei in der Gegend herumstehende Belüftungsschächte, ließ sich auf den Straßen schwerlich eine Revolution anzetteln. In Posenenskes offenem Abschiedsbrief von der Kunstwelt klang das so: „Es fällt mir schwer, mich damit abzufinden, dass Kunst nichts zur Lösung drängender gesellschaftlicher Probleme beitragen kann.“ Aber was sein musste, musste eben sein, und so suchte Posenenske mit Studien zur Arbeitswelt den Weg vom Überbau zurück zur Basis.

Aus Sicht der Kunstgeschichte konnte es hingegen kaum einen schlechteren Zeitpunkt für Posenenskes Wechsel ins Politikfach geben. Konzeptkunst und Minimalismus begannen gerade, in Europa Fuß zu fassen, und die gebürtige Wiesbadenerin, die die NS-Zeit nur überlebte, weil Freunde der Familie sie versteckten, war nicht weniger radikal als Carl Andre, Donald Judd oder Imi Knoebel. Sie klebte farbige Bänder auf Papier, knickte Aluminiumplatten zu Wandreliefs und entwickelte „Prototypen“ für industrielle Serienproduktionen, deren Einzelteile von den „Konsumenten“ selbst verschraubt werden konnten. Als Vorbilder für diese aus Stahl oder Wellpappe gefertigten Module dienten vor allem Vierkantrohre, wie man sie für Lüftungsanlagen braucht.

Das Motto der neuen Schausammlung im Düsseldorfer K20 klingt unterkomplex

Das alles interessierte allerdings niemanden mehr, als die Minimalisten-Männer in den Kanon der modernen Kunstgeschichte aufrückten und ihre Werke die Museen füllten. Als Posenenske 1985 starb, war sie beinahe vergessen, eine Fußnote und damit das exakte Gegenteil von Joseph Beuys, mit dem sie sich in der neu eingerichteten Sammlungspräsentation im Düsseldorfer K20 eine Bühne teilt. Die Aufwertung der Vergessenen ist selbstredend eine politische Entscheidung, denn stilistisch liegen zwischen den beiden Welten. Aber die Gegensätze sind nicht nur ästhetisch reizvoll, sie zeigen auch zwei Möglichkeiten, wie die engagierte Kunst passive Betrachter in Akteure verwandeln möchte. Das Wichtigste ist aber: Posenenske Skulpturen können neben den Beuys-Installationen bestehen.

Es gibt große Museen, die Lehrsätze berühmter Theoretiker bemühen, wenn sie ihre Schausammlung neu sortieren. Das Motto der Kunstsammlung NRW (K20) am Grabbeplatz klingt dagegen unterkomplex: „Raus ins Museum! Rein in Deine Sammlung!“, so kann man sich als angesehene Museumsdirektorin nur ans Publikum ranschmeißen, wenn die eigene Auswahl über jeden Zweifel erhaben ist. Susanne Gaensheimer, Direktorin der Kunstsammlung, muss sich aber wohl keine Sorgen machen, dass sie demnächst von den Kollegen geschnitten wird.

Eine gemalte Suppendose mit zerrissener Banderole.

Andy Warhols „Große zerrissene Campell's Suppendose (Schwarze Bohnen)“, aus dem Jahr 1962

Das 1986 an den Grabbeplatz gezogenen Haus verfügt über eine der besten Sammlungen moderner Kunst in Deutschland und Europa. Unter Gründungsdirektor Werner Schmalenbach kamen etliche Schlüsselarbeiten der Nachkriegskunst nach Düsseldorf, darunter Jackson Pollocks „Number 32“, und auch im Feld der klassischen Moderne gibt es von Beckmann bis Picasso lauter Meisterwerke. Das sind Selbstläufer, die Gaensheimer nun um jüngere Erwerbungen ergänzt. Die Sammlung wird dadurch vor allem weiblicher, mit fantastischen Werken von Rosemarie Trockel, Bridget Riley, Etel Adnan, Carmen Herrera, Sonia Delauney - und Charlotte Posenenske.

Der Rundgang beginnt klassisch mit einem historischen Exkurs und Düsseldorfer Lokalhelden. Otto Dix‘ Porträt der legendären „Künstlermutter“ und Kunsthändlerin Johanna Ey wird dabei etwas in die Ecke gedrängt von zwei Gemälden des abgewanderten Gerhard Richter: einem monumentalen Wolkenhimmel und einem Bild der Kunstsammlung am Grabbeplatz. Darauf folgt ein üppiger Ausschnitt der 1960 vom Land NRW erworbenen Paul-Klee-Sammlung, mit der alles begann, und danach geht es im Wesentlichen chronologisch weiter.

An vielen Stellen spiegelt die neue Präsentation die Sonderausstellungen der letzten Jahre wider

Wir erleben mit, wie die Künstler die Farbe aus dem Gefängnis der Linie befreien, streifen durch Paris, als es die Hauptstadt der Moderne war, sehen, wie die deutsche Kunstwelt mit dem Expressionismus in der Moderne ankommt (allerdings mit einem kolonial gefärbten Blick), und entdecken, dass es eine arabische Spielart des Surrealismus gab. An vielen Stellen spiegelt die neue Präsentation die Sonderausstellungen der letzten Jahre wider, sei es die große Carmen-Herrera-Retrospektive oder die Schau zur ägyptischen Surrealistengruppe „Art et Liberté“.

Die historische Erzählung durchbricht Gaensheimers Kuratorenteam mit Gegenüberstellungen unter dem Motto „Seite an Seite“. In einzelnen Räumen hängen frisch angekaufte Werke oft junger Künstler neben Klassikern der Moderne, was teilweise stilistisch stimmig ist (Lygia Papes Liebe zur Geometrie passt gut zu Piet Mondrian) und ansonsten den Blick für Qualitäten der Jüngeren schärfen soll. So sorgen die Kuratorinnen dafür, dass etwa Peter Ukas Gemälde einer schwarzen Frau nicht übersehen wird, indem sie ihm Frauenporträts von Picasso und Fernand Léger als Ausstellungs-„Paten“ an die Seite stellen. Verglichen mit den formensprengenden Klassikern wirkt der collagierte Realismus des in Köln lebenden Malers wie eine Rückkehr ins 19. Jahrhundert. Aber es ist eine Rückkehr zu Édouard Manet, einem der Gründerväter der Moderne.

Im „Heldensaal“ prunkt die Kunstsammlung mit ihren Großformaten. Pollocks „Number 32“ muss sich den Spott eines Pop-Art-Pinselstrichs von Roy Lichtenstein gefallen lassen, Gerhard Richter, Mark Rothko und Andy Warhol bilden einen Dreiklang des Erhabenen (Warhols serielles Suizidbild wirkt in dieser Gesellschaft beinahe abstrakt), und die Phalanx der US-Farbfeldmaler (Morris Louis, Kenneth Noland) wird durch Helen Frankenthaler durchbrochen. Monumentales ist ohnehin keine männliche Domäne mehr, das lernt man hier zum Abschied. Rosemarie Trockel, Bridget Riley oder Yayoi Kusama können das mindestens genauso gut.


„Raus ins Museum! Rein in Deine Sammlung! – Meisterwerke von Etel Adnan bis Andy Warhol“, Kunstsammlung NRW (K20), Grabbeplatz 5, Düsseldorf, Di.-So. 11-18 Uhr.