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Kunstvermittlung in KölnWas Sie über sich lernen können, wenn Sie „Bilder erleben“

Lesezeit 4 Minuten
Das Team von „Bilderleben“ um Hans-Christian Heiling (links) im Kölner Museum Ludwig.

Das Team von „Bilderleben“ um Hans-Christian Heiling (links) im Kölner Museum Ludwig.

„Bilderleben“ ist eine Form psychologischer Kunstvermittlung von Hans-Christian Heiling, angeleitet von Studierenden. Wie es geht.

Bogumila Alfter stellt sich vor, der Halbkreis links unten im Gemälde, geformt wie ein Glas, wäre ein Cocktail. Der Block darüber, eine Terrasse. Sie erzählt von ihrer Imagination, dort oben zu sitzen, mit ihrem Getränk in der Hand. Tatsächlich aber sitzt die blonde Frau auf einem schwarzen Klapphocker im Museum Ludwig. Vor ihr: Das Bild, das es heute gilt, zu „erleben“. „Farben, Formen, Kreise, Rechtecke. Die Sonne, Planeten“, beschreibt sie es. Sie erahnen bereits, es wird expressionistisch, es wird abstrakt. Von wem das Werk ist, soll dabei keine Rolle spielen.

Alfter studiert Psychologie bei Hans-Christian Heiling in Köln. Mit Studierenden der Universität gründete der Psychotherapeut und Unternehmensberater 2006 „Bilderleben“. Er lädt dazu ein, sich einen dieser Klapphocker im Museum zunehmen, die eben nicht nur für ältere Besuchende oder abzeichnende Kunststudierende da sind, und ein Bild länger auf sich wirken zu lassen - ohne auf das Label zusehen.

Wie das geht, übt auch Karina Domin. Die Kölner Psychologiestudentin beschreibt ihr Erleben des Bildes als „seltsam, nicht von dieser Welt“, sagt sie, „es ist chaotisch, aber nicht allzu schlimm.“ Geht nicht auch von dem beinah schwarzen Hintergrund eine gewisse Wärme aus? Die junge Frau mit langem krausen Haaren sucht nach Hoffnung.

Das „Bilderleben“-Team sitzt in einem Halbkreis auf ihren Hockern im zweiten Stock. Die gelbe Frauenbüste von Otto Freundlich scheint die Runde unfreiwillig zu komplettieren. Sie steht neben dem Werk, das an diesem Donnerstagabend seine Betrachtenden auseinander nimmt.

„Bilderleben“ bietet Kunstvermittlung in drei Kölner Museen

Das Team liest aus Notizbüchern vor, wie das Bild wirkt. Je mehr Eindrücke die Studierenden schildern, desto intensiver kommt die düstere Seite des Bildes zum Vorschein. Hanna Büdenbender reagiert abwehrend: „Ich ärgere mich.“ Sie versucht, einen Sinn zu erkennen, „wenn die Dreiecke Berge sind, wieso sind sie dann unten?“ In der linken Ecke, neben dem „Cocktail“-Halbkreis ragen blaue Spitzen in die Höhe, daneben Linien. Ein Meer? Es sei so statisch. „Ich würde das Bild gerne schütteln, die Formen ordnen“, sagt Büdenbender.

„Wie lange lässt sich das Idyll noch halten?“, fragt Heiko Westerburg. Er konzentriert sich auf die Halbkreise, die sich auf einer langen diagonalen Linie aneinanderreihen. Steigen sie auf oder fallen sie ab? Einer hängt am Linienende unten links über. Westerburg konzentriert sich auf das drohende Hinabfallen, „in die Unterwelt“, diese linke Ecke mit den „Bergen“, „sie hat etwas Verschlingendes.“

Wir gehen davon aus, dass ein Kunstwerk immer bestimmte seelische Grundprobleme anspricht.
Psychologe und Berater Hans-Christian Heiling

Heiling hakt nach: „Wie war das für dich?“ Es sei anstrengend, dieses Bild zu erleben. Nach dieser einen durchaus klischeebehafteten Psychologen-Frage, die Heiling den Teilnehmenden stellt, bricht er direkt wieder mit den Vorurteilen, die man gegenüber seinem Konzept haben könnte: Was die individuellen Eindrücke aussagen, welche Schlüsse man daraus ziehen könnte, muss man sich im Anschluss selbst überlegen.

„Wir gehen davon aus, dass ein Kunstwerk immer bestimmte seelische Grundprobleme anspricht“, sagt Heiling über seinen Ansatz. Kontrolle, Unruhe, an einem Kipppunkt zu stehen... Welche das jeweils sind, kommt auf die Betrachtenden an. Nur so viel gibt der Psychologe zu bedenken: „Verdrängung kann auch ein gesunder Mechanismus sein.“

Dieser Abend fungiert als interner Probelauf. Das Team nennt es Supervision, bei der es sich auf die Reaktionen der eigentlichen Führungsteilnehmenden am nächsten Tag vorbereitet, indem es die eigenen kennenlernt. Studierende der Psychologie, Kunst und ihrer Vermittlung leiten immer freitags das „Bilderleben“ in den Kölner Museen Ludwig, Wallraf-Richartz und das Schnütgen an.

Bilder erleben: Betrachter suchen Hoffung, verdrängen Bedrohung

Die Supervision zeigt, dass die meisten Betrachtenden bewusst das Warme, Bunte, Vergnügliche sehen wollen – und die Bedrohung versuchen auszublenden. Das gelingt noch beim Vortragen der ersten Notizen, im Gespräch öffnet sich unweigerlich die tiefere Ebene. Da ist dieses rosafarbene spitze Dreieck, das das „Idyll“ gerade noch zusammen, die Halbkreise auf ihrer Linie hält.

Am nächsten Tag wird ein Führungsteilnehmer eine Schultüte in ihm sehen. Ein anderer einen Keil, der sich in das „Cocktailglas“ gewaltvoll hineinbohrt, als stieße er in eine Schale voll Blut. Der Keil ist namensgebend für dieses Bild: „Scharfruhiges Rosa“ von Wassily Kandinsky.

Das Werk dieser Woche hat Hans-Christian Heiling vermutlich nicht zufällig gewählt, schon dessen Maler beschäftigte die psychologische Wirkung von Farbe. „Scharfruhiges Rosa“ entstand 1924 im Zusammenhang mit Kandinskys kunsttheoretischen Überlegungen während seiner Zeit am Bauhaus. Es ist angelehnt an den russischen Konstruktivismus. Wiktor Kandinsky, Cousin von Wassily und als Begründer der russischen Psychiatrie gehandelt, beschrieb das Psychische schon nicht mehr als metaphysisch, sondern als Erfahrungsgeschehen.

Vielleicht hätte Kandinsky die Reaktion, sein Werk schütteln zu wollen, und die anfänglichen Abneigungen gegen seine verstörenden Formen also gefallen. An diesem Abend im Museum sind sie jedenfalls mehr als legitim, ein gewollter Einstieg in jene Vermittlung von Kunst: Ob Sie etwas über Kunst wissen, ist nicht wichtig, um sie erleben zu können.

„Bilderleben“ findet freitags um 16 Uhr zu verschiedenen Kunstwerken in den Kölner Museen Ludwig, Wallraf-Richartz und Schnütgen statt. Anmeldung per Webseite oder Telefon 0177 27 56 678, Teilnahmegebühr 30 Euro zuzüglich Museumseintritt.