Das Leverkusener Originalklang-Ensemble L’arte del mondo erinnert auf zwei neuen Klassik-CDs an vergessene Komponisten der Mozartzeit.
L’arte del mondoWie man Männer verhext und in wilde Tiere verwandelt
Giuseppe Gazzaniga (1743-1818) kennen heute nur noch Experten der Operngeschichte. Nicht ganz: Aus der Feder des seinerzeit europaweit gefeierten Veronesers stammt ein „Don Giovanni“, den Mozart ausweislich seines eigenen Meisterwerks offensichtlich gekannt hat. Besser als er selbst ist womöglich sein Librettist Giovanni Bertati geläufig, einer der führenden Textlieferanten gerade für die Opera buffa des späteren 18. Jahrhunderts (darunter auch für Domenico Cimarosas „Heimliche Ehe“, einen der letzten großen Triumphe der ausgehenden Epoche).
Werner Ehrhardt, Leiter des in Leverkusen stationierten Originalklang-Ensembles L’arte del mondo, der seit 2010 beharrlich vergessene Opern des 18. Jahrhunderts ausgräbt, sie im Bayer-Erholungshaus aufführt und bei dieser Gelegenheit auch vom WDR für das Label dhm/Sony produzieren lässt, ist jetzt im Bestand von rund 50 Gazzaniga-Opern fündig geworden und hat dessen 1772 entstandene Buffa „L’isola d’Alcina“ auf CD gebannt. Der Name Alcina im Titel verrät hinlänglich, worum es geht. Alcina ist jene Zauberin aus Ariosts Epos „Orlando furioso“, die vorzugsweise auf ihrer Insel Männer verhext und in wilde Tiere verwandelt.
Mit vitalem Temperament reizen Ehrhardt und L'arte del mondo die komischen Effekte der Partitur aus
Der Stoff gehört zu den bevorzugten Sujets der Barockoper und wurde unter anderem von Händel und Vivaldi bearbeitet. Im Unterschied zu diesen „ernsten“ Versionen ist Gazzanigas Werk eine heitere Angelegenheit, die mit den Alcina-Motivtraditionen bereits parodistisch spielt. So kennen hier besagte Männer, als sie auf der Insel landen, selbstverständlich den Mythos der Zauberin (vielleicht aus der Operngeschichte) – was sie indes nicht davor bewahrt, auf sie erneut hereinzufallen.
Mit vitalem Temperament reizen Ehrhardt und die Seinen die komischen Effekte der Partitur aus. Diese ergeben sich nicht zuletzt daraus, dass die männlichen Partien hier tatsächlich mit Sängern aus den unterschiedlichen Herkunftsländern der fiktiven Figuren besetzt sind, die je nachdem ihr Italienisch massiv mit dem Akzent des Native Speaker färben. In der Rolle des deutschen „Barons von Brikbrak“ etwa brilliert in diesem Sinne aufs Köstlichste Florian Götz. Nicht alle Vokalsolisten halten diese Höhe, eine leichte Enttäuschung beschert ausgerechnet Francesca Lombardi Mazzulli in der Titelpartie mit stellenweise inhomogener Linienführung, etwas unfreier Performance und einem nicht immer wohllautenden Timbre. Am besten gefallen die Sänger als Crew in den teils ausgedehnten Ensembles.
Und die Musik? Nun ja, Ehrhardt macht – auch dank seines virtuosen (vielleicht ein bisschen übertreibenden) Rezitativbegleiters Massimiliano Toni am Hammerklavier – das Beste draus, mehr steckt wohl nicht drin. Gazzaniga wartet mit guten szenischen Wirkungen auf, die den gewieften Buffa-Routinier verraten. Harmonik und Melodik aber bleiben schematisch und unspezifisch, an seine italienischen Zeitgenossen Paisiello und Cimarosa reicht er kaum heran, von Mozart ganz zu schweigen. Dass es da viel Luft nach oben gibt, wird dem Hörer sofort deutlich, wenn er die Auftrittsarie der Alcina hört: „Sono Alcina“. Die stammt nämlich nicht von Gazzaniga, sondern von Haydn, der sie 1786 als Einlagearie komponierte. Trotzdem ist die Begegnung interessant – auch deshalb, weil sie einiges über das Gefälle in der Rezeptionsgeschichte verrät. Es sei nicht vergessen: Die „Insel der Alcina“ war seinerzeit ein echter Hit.
Die vier knackig musizierten Werke von Joseph Aloys Schmittbaur sind eine echte Entdeckung
Sinfonien der Mozartzeit sind ein weiterer Schwerpunkt von Ehrhardts Arbeit mit L’arte del mondo. Die neueste CD auf diesem Feld – sie enthält vier knackig musizierte Werke von Joseph Aloys Schmittbaur (1718-1809) – ist insofern belangvoll, als der gebürtige Bamberger Schmittbaur, der den größten Teil seines produktiven Musikerlebens am Hof von Karlsruhe verbrachte, zwischen 1775 und 1777 als Domkapellmeister in Köln amtierte (und in dieser Funktion auch im Nachgang noch von Ferdinand Franz Wallraf gerühmt wurde). In den beiden Jahren schrieb er nicht nur viel kirchliche Gebrauchsmusik, sondern auch – 1776 – drei der von Ehrhardt eingespielten Sinfonien (opus 2, Nr. 1-3). Hinzu kommt auf der CD die späte C-Dur-Sinfonie von 1797.
Schmittbaur erreichte das seinerzeit biblische Alter von 91 Jahren. Als er starb, war Haydn bereits ein halbes Jahr tot. Wiewohl im Spätbarock sozialisiert, war er somit ein Zeitgenosse der Wiener Klassik. Die äußeren Formen zeigen ihn entsprechend auf der Höhe der Zeit: Seine Sinfonien sind durchgängig viersätzig – also mit Menuett an dritter Stelle –, der Spätling von 1797 hat eine so ausgedehnte wie düstere langsame Einleitung, die Bläser werden immer wieder solistisch geführt. In den schnellen Sätzen ist hingegen die Sonatenhauptsatzform keineswegs die Norm, obwohl Schmittbaur mit starken Themenkontrasten arbeitet.
Die langsamen Sätze wiederum zeigen mit ihrer Vorhaltsmelodik das Erbe der Empfindsamkeit. „Wiener klassisch“ im engeren Sinne ist hier alles in allem wenig, immerhin gemahnt Schmittbaurs ausgeprägter Humor zuweilen dann doch an Haydn – etwa wenn er lange Strecken aus Begleitfiguren baut und also vorführt, wie man auch ohne Themen ansprechende Musik machen kann. Gemeinhin erscheint die Stadt Köln als Musikzentrum so richtig auf der Landkarte erst im 19. Jahrhundert. Die neue Schmittbaur-CD könnte dazu anregen, diesen Start vorzuverlegen.