Lana Del Reys „Did You Know That There's a Tunnel Under Ocean Blvd“ glänzt im alten Hollywoodflair und neuem Trap-Sound.
Lana Del Reys neues AlbumNackter Kopfsprung in unseren Verstand
Wenn eine helle, lüsterne, grundtraurige Stimme über melodische Streicher, klimpernde Pianonoten und akustische Gitarren klingt, auf denen ein Rauschfilter wie aus alten Hollywoodstreifen liegt, hören wir Lana Del Rey. Die US-Amerikanerin versetzt in eine träumerische Sphäre, eine vergangene Utopie, in der Drogenexzesse und toxische Liebschaften glorifiziert werden und Texte keinen Sinn ergeben müssen.
Ihre liebliche, unschuldige, von Lust durchtriebene Stimme und ihre leise, kraftvolle, unaufgeregte, dramatische Musik sind unverkennbar. Sie hat eine ganze Generation, in der nicht die Geburtsjahre, sondern eine allgemeine Depression der gemeinsame Nenner ist, geprägt. Sie macht es so mühelos. Lana Del Rey hat den vom alten Hollywood inspirierten, traurigen Lounge-Sound perfektioniert.
Das Herz muss erst brechen
Und zum Glück bringt sie ihn mit ihrem neuen Album zurück. „Did You Know That There's a Tunnel Under Ocean Blvd“ hat einen so sperrigen, melodischen Titel, wie er nur von der 37-Jährigen stammen kann und hat eben diesen unverwechselbaren Old-Hollywood-Glam-Klang. Doch zum Glück bringt das Album auch noch so viel mehr, diverse (mehr oder wenige gelungene) Gastauftritte und einige Überraschungen mit.
„Ich wünschte, ich könnte nackt in deinen Geist eintauchen“ singt Del Rey im erstaunlich elektronischen Song „Fishtail“, der mit seinen pulsierenden, leicht bedrohlichen Beats an Billy Eilishs „Bad Guy“ erinnert. Diesen für Lana Del Rey neuen Sound, der ihr ebenso gut steht wie ihre musikalische Wohlfühlzone, erforscht sie vor allem zum Ende des Albums. Das Motiv des Skinnydips in den Geist einer Person taucht in einigen der 16 Songs auf. Del Rey will sich nackig machen, ihre innersten Gedanken und Gefühle mit einer Person teilen.
Das Album ist introspektiver, tiefgründiger, reflektierter als sonst. So nimmt sie immer wieder Bezug auf alte Songs, die häufig dysfunktionale Beziehungen, gewaltvolle, mächtige Männer romantisierten. „Vielleicht nehme ich meine Brille ab, damit ich aufhöre, rote Fahnen grün zu malen“, singt sie in „Fishtail“ und folgt ihrem Vorschlag textlich in einigen Liedern. Für Fans der Red-Flag-Songs bietet Del Rey aber trotzdem auch auf ihrem neunten Studioalbum Stoff – zum Beispiel mit „Candy Necklace“ und „Let The Light In“.
Der Cocktail von Dingen, die die Neuronen im Inneren verdrehen
Besonders tiefe Einblicke gewährt Del Rey in ihre Gedanken über Familie, wie sie uns und sie formt, wie sie uns schaden kann, wie es ist Menschen zu verlieren. Schon im ersten Song „The Grants“, benannt nach ihrem gebürtigen Nachnamen, geht es um ihre Familie. In „Kintsugi“ nimmt sie Abschied von ihrer Großmutter und anderen geliebten Menschen.
„Es ist nur so, dass ich mir selbst nicht traue mit meinem Herzen / Aber ich musste es ein bisschen mehr brechen lassen / Denn sie sagen, dafür ist es da“ singt sie in dem sechsminütigen Song, während sie nur vom leisen Klavier begleitet wird, die Melodie formt ihr Gesang. Wie bei der japanischen Kunstform, die gebrochenes Porzellan mit Gold zusammenklebt, muss Del Ray erst ihr Herz brechen lassen, all den Schmerz des Todes zulassen, um es dann umso schöner zusammenzusetzen. „So kommt das Licht rein“.
Es ist die für Lana Del Rey so typische bildliche Sprache, mit Vergleichen und Metaphern von überall inspiriert, die auch im nächsten Song „Fingertips“, der nur aus Strophen besteht, ohne Refrain auskommt, überzeugt. Die beiden Lieder sind die textlastigsten. Während „Kintsugi“ jedoch ihre Geliebten ehrt, scheint sie in „Fingertips“ mit ihrer Familie abzurechnen. Es ist eine von Streichinstrumenten begleitete Analyse ihrer DNA, „der Cocktail von Dingen, die die Neuronen im Inneren verdrehen“, ohne den sie sterben würde.
Das Erlebnis einer amerikanischen Hure
Absoluter Höhepunkt – sowohl musikalisch als auch inhaltlich – ist jedoch „A&W“, der die wundervollen Gegensätze des Albums widerspiegelt. Es ist ein prunkvolles, dunkles Klavierstück, in dem Del Reys flüsternde Stimme noch eleganter und heller klingt. Untypisch gesellschaftskritisch geht es um Vergewaltigung und Objektifizierung von Frauen. Die US-Amerikanerin singt von dem Verlust ihrer Unschuld, dass nur ihre Haare, ihre Figur, ihr Aussehen wahrgenommen werden: „Es ist das Erlebnis einer amerikanischen Hure“.
Nach 4:09 Minuten setzt dann ein Trap-Beat ein, der die Hörerin, den Hörer, mit seinem sparsamen Text „Jimmy, Jimmy, Cocoa Puff, Jimmy, Jimmy, Ritt / Jimmy, Jimmy, Cocoa Puff, Jimmy, mach mich high“ in einen Trip hineinzieht. Da ist sie wieder: Die Königin der unsinnigen, grandiosen Texte, der trippigen Erfahrungen und des melancholischen Schauers, der sich über das gesamte achtzig minütige Album auf der Haut festsetzt.