Beim „Langen Abend der Literatur“ im studio dumont begeisterten Carsten Henn, Elke Heidenreich und andere Expertinnen und Experten mit spannenden Einblicken in den Literaturbetrieb.
Langer Abend der LiteraturIm Backstage-Bereich der Wortkünstler
Elke Heidenreich ist ein menschgewordener Pageturner: Auch nach einer anderthalbstündigen Podiumsdiskussion hört man ihr zu, als hätte die Veranstaltung gerade erst begonnen. Die 79-jährige Autorin stellt mit all ihrem Witz und ihrem Charme ihr neues Buch „Ihr glücklichen Augen: Kurze Geschichten zu weiten Reisen“ vor. Heidenreichs Anekdoten, die von einer Audienz beim Papst in Rom bis hin zu einem Auftritt von Roberto Blanco in Bad Oeynhausen reichen, werden angereichert von ihrem tiefen Einblick in die Welt der Literatur.
Doch zunächst gibt es bei dem vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ organisierten „Langen Abend der Literatur“ einen Einblick in das Innenleben des Literaturbetriebs. Moderiert von der stellvertretenden Chefredakteurin Sarah Brasack nehmen der Autor Carsten Henn, die Programmleiterin für internationale Literatur des Kiwi-Verlags Helga Frese-Resch, lit. Cologne-Chef Rainer Osnowski und die Kulturchefin des „Kölner Stadt-Anzeiger“ Anne Burgmer das Publikum mit in den Backstage-Bereich der Literaturszene.
Corona für die „lit. Cologne“ eine große Herausforderung
Obwohl während der Corona-Pandemie sehr viel gelesen wurde, war es für Rainer Osnowski doch eine „Zeit zwischen Hoffen und Bangen“. Geholfen habe vor allem die Solidarität, die sie etwa von den Menschen und der Stadt erfahren hätten. Diese Unterstützung zeigte sich etwa darin, dass 40 Prozent der Gäste trotz der Ausfälle von Veranstaltungen ihre Karten behalten hätten.
Auch für den Kölner Bestseller-Autor Carsten Henn war die Pandemie herausfordernd. Ihm wurden wegen Corona allein im ersten Jahr 50 Lesungen abgesagt. Sein Roman „Der Buchspazierer“ konnte nicht pünktlich gedruckt werden, sodass dieser ausgerechnet im lukrativen Verkaufs-Monat Dezember nicht lieferbar war. Am Ende landete der Roman trotzdem auf der Bestsellerliste und blieb dort so lange, bis das Nachfolgebuch „Der Geschichtenbäcker“ erschien. Damit hatte Henn gleich zwei Bücher gleichzeitig in den Top 10.
Den Erfolg des Buchs erklärt er sich damit, dass es einen Nerv traf. Immerhin tut die Figur genau das, wozu viele Buchhändler während der Pandemie übergingen: nämlich Bücher zu liefern. „Wir sehnen uns alle nach sozialer Wärme, nach jemandem, der zu uns kommt, mit uns redet, uns ein Buch bringt. Deswegen hat das Buch viele Menschen in diesem Moment abgeholt.“
Elke Heidenreichs Buch ist aus Reisetagebüchern entstanden
Nach der Diskussion liest Elke Heidenreich aus ihrem Buch „Ihr glücklichen Augen“ vor, gibt Urlaubstipps und zeigt sich dabei als zutiefst menschenfreundlich. Meistens zumindest. Auf die von Max Frisch ausgeborgte Frage, ob man in der Fremde bei Treffen mit Landsleuten dann Heimweh bekomme oder gerade nicht, antwortet sie: „Es gibt furchtbare Idioten, die man trifft, die in kurzen Hosen in den Mailänder Dom gehen und in Badeschlappen, da schämt man sich. Und es gibt ganz nette Menschen, die sagen: ,Ich kenn Sie doch', und mich ansprechen, und dann trinkt man ein Glas Wein zusammen.“
Solche Reise-Erinnerungen hielt Heidenreich in kleinen Notizbüchern fest. Während der Pandemie habe sie dann aus den Notizen Geschichten gemacht und so sei ihr Buch entstanden. Eine dieser Geschichten spielt in Rom. Dort trifft sie „als welthungrige Studentin“ auf einen Mann namens Friedrich Moll, liebevoll F. Moll genannt. Als dessen Cousine schleicht sie sich zu einer Privataudienz mit „il papa buono“ Giovanni XXIII. ein. Der Papst unterhält sich kurz mit den Anwesenden und segnet sie. Die frisch gesegnete Heidenreich, nun „gebenedeit unter den Weibern“ und ergriffen von der Begegnung mit Giovanni, will daraufhin das Zuhause ihres Papstes kennenlernen. Dort sieht sie zum ersten Mal Michelangelos Pieta, damals noch ohne Panzerglas im Petersdom ausgestellt.
Dem Text, der ihre Rührung über Michelangelos Werk beschreibt, liegt Heidenreichs ganzer Charakter zu Grunde: poetisch, tief ergreifend und doch direkt, getränkt von Humor und einer Liebe für die schönen Dinge, zu denen sie auch die Begegnung mit den Menschen zählt. Diese hätten sie in ihren Reisen immer gut behandelt. „Die Menschen sind freundlich. Letztlich sind sie freundlich.“
Buch-Tipps der Autorin von „Ihr glücklichen Augen“
Dieser Optimismus speist sich nicht aus einer Unkenntnis über die schlechten Dinge. Auch die Missstände in der Literatur werden Thema, namentlich die Nichtberücksichtigung von Frauen, denen es in der Vergangenheit besonders schwer gemacht wurde zu schreiben, die aber auch dann ignoriert wurden, wenn sie es trotzdem taten. Als Empfehlung für gute Bücher weiblicher Autorinnen nennt Heidenreich Hanya Yanagiharas „Ein wenig Leben“, „Americanah“ von Chimamanda Ngozi Adichie oder „Die Interessanten“ von Meg Wolitzer. Über Bücher, die sie in ihrem persönlichen Leben begleiteten, schrieb Heidenreich das Buch: „Hier geht’s lang: Mit Büchern von Frauen durchs Leben.“
Man kann Rainer Osnowski nur beipflichten, der zu Beginn der Veranstaltung lobte: „Wenn Sie im Moment keine Lust haben zu reisen, lesen Sie dieses Buch und Sie werden durch die ganze Welt kommen.“