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Legendäres KunstwerkWie Martin Kippenberger einem Kafka-Roman ein Happy End gab

Lesezeit 5 Minuten

Martin Kippenbergers „The Happy End of Franz Kafka’s Amerika“ im Essener Museum Folkwang

Köln – Mit der Schule hatte es Martin Kippenberger nicht so sehr und mit Büchern angeblich auch nicht. Es war also möglicherweise nicht nur Koketterie, wenn Kippenberger sagte, er habe Franz Kafkas Romanfragment „Amerika“, das Buch, das ihn zu seinem letzten großen, über mehrere Jahre hinweg entstandenen Meisterwerk inspirierte, zwar angefangen, aber niemals ausgelesen. Gut möglich, dass er schon beim ersten Satz hängen geblieben ist. Dort kommt der 16-jährige Karl Roßmann, der wegen einer Sexgeschichte aus seiner Heimat fliehen musste, in Amerika an und erblickt über sich die Statue der Freiheitsgöttin. In beidem konnte sich der 1997 verstorbene Kippenberger wohl bestens wiederfinden. Er trieb es schon als Jugendlicher ziemlich bunt, und die Freiheit, alles zu tun, was ihm gerade in den Sinn kam, machte er zu seinem ersten Gebot der Kunst.

Auch die jetzt im Essener Museum Folkwang aufgebaute Mammut-Installation „The Happy End of Franz Kafka’s Amerika“ wirkt auf den ersten Blick wie eine Laune, wie etwas, das man mit etwas Bedenkzeit vielleicht besser gelassen hätte. Sie besteht aus einem 20 mal 30 Meter großen, auf den Boden aufgemalten Fußballfeld, über das Kippenberger mehrere Dutzende Tische, Stühle und Skulpturen verteilte, und zwar so, als lade ein Trödler zum massenweisen Vorstellungsgespräch.

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Martin Kippenberger 

Auf beiden Seiten eines jeden Tisches steht ein Stuhl, der hier und da von einer „exotischen“ Holzfigur besetzt wird, in der Regel aber leer bleibt. Außerdem finden sich im möblierten Gewusel mehrere Hochsitze (für Jäger und Bademeister), ein Karussell, auf dem zwei beschirmte Schleudersitze ein Spiegelei umkreisen, oder Gläser, in denen eingeweckte Münder miteinander plaudern. Freunde des modernen Möbeldesigns werden zudem neben einigen Spezialanfertigungen für den Künstlerbedarf auch etliche Stuhl- und Schreibtischklassiker erkennen. Es ist, kurzum, ein erlesenes Sammelsurium. Aber nicht gerade das, was einem nach der Lektüre von Kafkas „Amerika“-Schlusskapitel vor Augen steht.

In diesem wird Karl Roßmann förmlich von einem Werbeplakat angeschrien: „Das große Theater von Oklahoma ruft euch!“, heißt es darauf, aber „nur heute“ und „nur einmal“. Wer Künstler werden wolle, melde sich: „Jeder ist willkommen. Verflucht sei, wer uns nicht glaubt.“ Also macht sich Roßmann, der sich im Leben bislang nirgendwo willkommen fühlte, auf den Weg. Bald steht er vor dem Rennplatz, auf dem man sich bewerben soll, und stößt auf Hunderte Frauen, die, als Engel verkleidet, auf einem Podium in Trompeten blasen. Im Inneren des Stadions versichert der Personalchef des großen Welt- und Naturtheaters, dass tatsächlich jeder gebraucht werde, man jedoch wissen müsse, welchen Beruf er ausübe, um ihn an der richtigen Stelle einsetzen zu können. Da Roßmann aber nichts gelernt hat, wird er von einer „Aufnahmekanzlei“ zur nächsten gescheucht, bis er endlich als europäischer Mittelschüler vor einem Schreiber Gnade findet.

Es sollte Kippenbergers Vermächtnis sein

Als Kippenberger dem Kafka-Fragment ein glückliches Ende andichtete, war sein eigenes, durchaus trauriges Ende bereits abzusehen. Nach einer Karriere voller Scharmützel wollte der Wahlkölner offenbar ein Vermächtnis hinterlassen, in dem die Suche nach einem Platz im Welttheater des Lebens einem als Wettkampf ausgetragenen Bewerbungsmarathon entspricht. Oder stellt sein von Tribünen flankiertes Spielfeld die Kunstwelt dar? Dafür spräche, dass Kippenberger etliche Werke auf dasselbe schickte, vor allem eigene, aber auch „geliehene“, und selbstredend sein auf Provokation gebürstetes Naturell. Im Unernst fand Kippenberger sein Lebenselixier und in Kollegen, die sich in scheinbaren Gewissheiten eingerichtet hatten, stets leichte Opfer. Am Ende ist dieses kafkaeske Möbellager daher vor allem ein 1400 Quadratmeter messendes Selbstporträt des Künstlers: Verstoßen, ein Gegenüber suchend und nur dort willkommen, wo Engel musizieren und jeder aufgenommen wird – im Reich des Todes.

Das passt eigentlich nicht mehr zum Klischee des größenwahnsinnigen Kippenberger-Ichs, dafür aber sehr schön zu dessen permanenter Selbstbefragung. Kippenberger sah im Künstler keinen Tiefsinn-Spender, sondern einen tragikomischen Klassenclown in der Schule des Kapitalismus (eine Rolle, die er dankbar annahm), und von wem sich Kippenberger das „Amerika“-Schlusskapitel auch erzählen ließ, derjenige wird sicher nicht vergessen haben, diesen Satz daraus zu zitieren: „Künstler werden wollte niemand, wohl aber wollte jeder für seine Arbeit bezahlt werden.“

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Ihren Kafka haben auch die Essener Kuratoren gelesen und der Rekonstruktion des 1994 uraufgeführten und seitdem selten in Gänze gezeigten Riesenwerks eine zweite Ausstellung in der örtlichen Villa Hügel beigegeben. In der knarzenden Industriellengruft der Krupp-Familie zeigen sie Kippenbergers Künstlerbücher und Plakate, durchaus mit Lust an Gegensätzen, aber auch in der Gewissheit, dass ihnen Kafka die Pointen serviert: „Es gab so viele Plakate, Plakaten glaubte niemand mehr“, heißt es in „Amerika“, was Kippenberger selbstredend als Aufforderung verstanden hätte, noch mehr Plakate zu produzieren.

Zwei Ausstellungen

„The Happy End of Franz Kafka’s Amerika“, Museum Folkwang, Essen, und „Vergessene Einrichtungsprobleme in der Villa Hügel“, Villa Hügel, Essen, jeweils bis 16. Mai.

Der Zutritt zu beiden Ausstellungen ist nur nach Anmeldung auf den Museumswebseiten möglich. Der Folkwang-Katalog erscheint im April.

Immerhin 100 Exemplare sind in der Villa Hügel zu sehen, Werbung für Ausstellungen, die Kippenberger zum Anlass nahm, den armen Schluckern, die sich keine Gemälde leisten können, wenigstens die Straßen mit Kunst zu tapezieren. Auch diese plakative Demokratisierung des Kunstbegriffs (ein Lieblingsprojekt der deutschen Nachkriegskunst) tränkte er freilich in Ironie, etwa mit Motiven aus dem Familienalbum oder einem Stilmischmasch, der jeder Idee einer künstlerischen Handschrift Hohn zu sprechen scheint. So zeigte Martin Kippenberger auf seinen Plakaten Gesicht – und Bierbauch. Aber vor allem seine Bereitschaft, sich jederzeit und überall dem Wettkampf um die Gunst des Publikums zu stellen.